15.02.2024

Zum Verstoß gegen das Transparenzgebot bei unverbrieften Namensschuldverschreibungen

Der BGH hat sich vorliegend mit dem Verstoß gegen das Transparenzgebot bei unverbrieften Namensschuldverschreibungen und der Darlegungs- und Beweislast bei der Vereitelung der Durchsetzung von (Zins- und Kapitalrückzahlungs-)Forderungen befasst.

BGH v. 18.1.2024 - III ZR 245/22
Der Sachverhalt:
Der Kläger macht Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit einer Kapitalanlage geltend. Er zeichnete am 17.9.2014 eine unverbriefte Namensschuldverschreibung der US Öl und Gas NSV 5 GmbH & Co. KG (im Folgenden: NSV 5, NSV 5 KG oder Emittentin) über 20.000 € nebst einem Agio von 800 € (Zeichnungsbetrag: 20.800 €). Des Weiteren bevollmächtigte er im Zeichnungsschein die T. GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (Treuhänderin oder Insolvenzschuldnerin), die Namensschuldverschreibung für ihn zu verwalten und sämtliche mit ihr verbundenen Rechte und Pflichten in seinem Interesse wahrzunehmen. Diese war zu keinem Zeitpunkt als Gesellschafterin an der Emittentin beteiligt. Deren persönlich haftende Gesellschafterin war die E. C. I. Beteiligungsgesellschaft mbH (ECI GmbH). Der Kläger leistete den Zeichnungsbetrag. Er erhielt in der Folgezeit Zahlungen i.H.v. insgesamt 1.800 €.

Die näheren Bedingungen der Kapitalanlage waren in einem Verkaufsprospekt niedergelegt. Danach sollte die Emittentin das von den Anlegern eingezahlte Kapital (ohne Agio) in inhaltsgleiche Namensschuldverschreibungen der D. O. & G. AG (DOG AG) investieren, welche es nach Abzug von näher bezeichneten Kosten in Form von Gesellschafterdarlehen an ihre US-Tochtergesellschaft, die Cornucopia Oil & Gas Company LLC. (Cornucopia), weitergeben sollte. Diese wiederum sollte die Darlehensmittel zur Exploration, Produktion und zum Verkauf von Erdöl und Erdgas in dem Fördergebiet "Kitchen Lights Unit" in Alaska verwenden. Zur Erfüllung aller Ansprüche der Anleger aus den von ihnen erworbenen Rechten gegen die Emittentin trat diese die ihr gegen die DOG AG zustehenden Ansprüche aus den Namensschuldverschreibungen an die Anleger erfüllungshalber ab. Jeder Anleger konnte seine Ansprüche also sowohl gegenüber der Emittentin als auch gegenüber der DOG AG geltend machen; Letztere musste er vorrangig in Anspruch nehmen.

Nach § 13 der in den Verkaufsprospekt inkorporierten Anlagebedingungen (AB) war die Laufzeit der Namensschuldverschreibungen bis zum 30.6.2018 befristet; die Emittentin konnte einmalig eine Verlängerung der Laufzeit von bis zu einem Jahr vornehmen. Nach § 15 Abs. 1 AB waren alle Ansprüche des Anlegers auf Rückzahlung von Kapital nachrangig und eine Rückzahlung solange und soweit ausgeschlossen, wie die Rückzahlung einen Grund für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Emittentin herbeigeführt hätte. In § 18 AB war vorgesehen, Beschlüsse in Anlegerversammlungen zu fassen, soweit es um Rechte und Pflichten des Anlegers ging. Die Anlegerversammlungen waren unter bestimmten Voraussetzungen von der Treuhänderin einzuberufen und zu leiten. Zur Beschlussfassung genügte grundsätzlich die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen; Beschlüsse zur Änderung der Anlagebedingungen bedurften einer Mehrheit von 75% der abgegebenen Stimmen sowie der Zustimmung der Emittentin. Für einen Anleger, der nicht an der Versammlung teilnahm, übte die Treuhänderin seine Stimmrechte aus, und zwar nach ihrem freien Ermessen unter Berücksichtigung des Gesamtinteresses aller Anleger, wie es im Verkaufsprospekt zum Ausdruck kam.

Mit Schreiben vom 8.9.2015 lud die Insolvenzschuldnerin die Anleger unter Beifügung einer Tagesordnung zu einer außerordentlichen Anlegerversammlung auf den 8.10.2015 ein. Die Tagesordnungspunkte 5 und 6 sahen die Beschlussfassung über die Änderung der Bedingungen der Namensschuldverschreibungen dahingehend vor, dass die Emittentin den Anspruch auf die Rückgewähr des Anleihekapitals und die vereinbarten Zinsen vorzeitig erfüllen konnte, und sie für diesen Fall die Option erhielt, das Anleihekapital und die restlichen Anleihezinsen an Erfüllungs statt durch Aktien der D. O. & G. S.A. zu leisten. Die Anlegerversammlung stimmte am 8.10.2015 mit einer Mehrheit von über 75% der abgegebenen Stimmen beiden Tagesordnungspunkten zu. Dabei gab die Zustimmung der Insolvenzschuldnerin, die über 20.189 Stimmen verfügte, bezüglich derer sie von den Anlegern keine Weisung für die Abstimmung erhalten hatte, den Ausschlag.

Die Emittentin nahm die ihr eingeräumte Option noch in der Anlegerversammlung wahr. Der Kläger erhielt in der Folge 2.119 Namensaktien Klasse D der D. O. & G. S.A., Luxemburg (DOG S.A.). Die Aktien waren bis zum 6.10.2018 vinkuliert. Die DOG S.A. war und ist nicht an einer Börse gelistet. Die Emittentin wurde am 11.4.2016 wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöscht. Im Dezember 2019 und Oktober 2020 wiesen die zuständigen Amtsgerichte die Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der ECI GmbH und über das der B. AG, vormals DOG AG, jeweils mangels Masse ab. Über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin eröffnete das AG Hamburg mit Beschluss vom 16.12.2020 das Insolvenzverfahren und bestellte den jetzigen Beklagten zum Insolvenzverwalter.

Das LG wies die seinerzeit noch auf Rückzahlung des Zeichnungsbetrags abzgl. erhaltener Zahlungen nebst Rechtshängigkeitszinsen Zug um Zug gegen Übertragung der Namensaktien gerichtete Klage ab. Das OLG gab der Klage überwiegend statt, stellte eine Forderung i.H.v. von rd. 24.000 € zur Insolvenztabelle fest und wies die weitergehende Berufung des Klägers zurück. Auf die Revision des Beklagten hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Das OLG hat im Ausgangspunkt zutreffend erkannt, dass die Insolvenzschuldnerin ihre Pflichten aus dem Treuhandvertrag jedenfalls dadurch verletzte, dass sie die Stimmrechte derjenigen Anleger, die ihr keine Weisung für die Abstimmung erteilt hatten ("neutrale" Stimmrechte), so ausübte, dass die auf eine Änderung der Anleihebedingungen gerichteten Vorlagen zu den Tagesordnungspunkten 5 und 6 die hierfür in § 18 Abs. 5 AB vorgesehene Mehrheit von 75% der abgegebenen Stimmen fanden. Denn einer derart gravierenden Änderung - die von den Anlegern gezeichneten Namensschuldverschreibungen mit begrenzter Laufzeit sollten durch zunächst bis zum 6.10.2018 vinkulierte und auch danach nicht an einer Börse handelbare Aktien "ersetzt" werden - hätte die Insolvenzschuldnerin als Treuhänderin in Ausübung der "neutralen" Stimmrechte allenfalls dann zustimmen dürfen, wenn hierfür eine hinreichend klare Regelung in den Anleihebedingungen vorhanden gewesen wäre. Das aber war nicht der Fall.

Der IX. Zivilsenat des BGH hat im Urteil vom 16.1.2020 (IX ZR 351/18) die Regelung des § 18, wie sie - wortlautidentisch mit dem hier zur Beurteilung stehenden § 18 AB - in den Bedingungen der US Öl und Gas NSV 1 GmbH & Co. KG, der US Öl und Gas NSV 2 GmbH & Co. KG, der US Öl und Gas NSV 4 GmbH & Co. KG und der US Öl und Gas NSV 6 GmbH & Co. KG enthalten ist, für unwirksam erklärt, weil mit dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unvereinbar. Er hat ausgeführt, dessen Anforderungen werde § 18 der Anleihebedingungen nicht gerecht. Die Klausel sehe lediglich vor, dass die Anlegerversammlung Beschlüsse "um Rechte und Pflichten" der Anleger treffen könne. Der Begriff der Rechte und Pflichten entbehre jeder Konkretisierung. Der Anleger müsse sich wenigstens ein grobes Bild davon machen können, welche Belastungen auf ihn zukämen. Daran fehle es im Streitfall. Würde die Regelung des § 18 der Anleihebedingungen gebilligt, könnte durch Beschluss der Anlegerversammlung nach Belieben in die Rechtsposition der Anleihegläubiger eingegriffen werden. Eine Änderung des Äquivalenzverhältnisses zwischen den beiderseitigen Leistungen müsse für den Anleger erkennbar und kalkulierbar sein. Ein mehr oder weniger schrankenloses Ermessen sei mit dem Transparenzgebot unvereinbar. Dabei falle zusätzlich ins Gewicht, dass nicht erschienene Anleger in der Anlegerversammlung durch die von der Emittentin bestimmte und nur kraft der vorformulierten Anleihebedingungen bevollmächtigte Treuhänderin vertreten würden.

Dem schließt sich der in der vorliegenden Sache erkennende Senat in Bezug auf die hier in Rede stehende Bestimmung des § 18 AB an. Mit ihrer Zustimmung in Ausübung der "neutralen" Stimmrechte verletzte die Insolvenzschuldnerin infolgedessen ihre Pflichten aus dem Treuhandvertrag gegenüber jedem der 20.189 Anleger, der ihr keine Weisung zur Zustimmung erteilt hatte, und mithin auch gegenüber dem Kläger. (Auch) er kann daher diese - für das Abstimmungsergebnis ausschlaggebende - Pflichtverletzung geltend machen. Er ist nicht darauf beschränkt, nur die - für das Ergebnis folgenlose - pflichtwidrige Ausübung seines eigenen Stimmrechts durch die Insolvenzschuldnerin zu rügen.

Die Ansicht des OLG, dem Kläger sei aufgrund der Pflichtverletzungen der Insolvenzschuldnerin ein Schaden in Höhe des investierten Kapitals entstanden, ist hingegen von Rechtsirrtum beeinflusst. So kann "ein Schaden in Höhe des investierten Kapitals" nicht schon deswegen als entstanden angesehen werden, weil die Emittentin bereits am 11.4.2016 "ohne Liquidationsverfahren im Handelsregister gelöscht wurde" und infolgedessen "nicht mehr in Anspruch genommen werden kann". Ebenso wenig kann ohne Weiteres angenommen werden, dass "dem Kläger bereits dadurch der geltend gemachte Schaden entstanden ist", dass die Emittentin, "kausal eingeleitet durch das Abstimmungsergebnis vom 8.10.2015, schon im April 2016 liquidiert wurde und deshalb nicht mehr in Anspruch genommen werden kann".

Bei der Prüfung, ob infolge des Verhaltens der Insolvenzschuldnerin zum Nachteil des Klägers ein Schaden eingetreten ist, ist vielmehr zunächst zugrunde zu legen, dass die Ansprüche des Klägers aus der Namensschuldverschreibung gegen die Emittentin, die B. AG, vormals DOG AG, und - gem. den §§ 128, 161 Abs. 2 HGB - die ECI GmbH rechtlich uneingeschränkt fortbestehen, weil § 18 AB, auf den die auf der Anlegerversammlung am 8.10.2015 zu den Tagesordnungspunkten 5 und 6 gefassten Beschlüsse gestützt wurden, unwirksam ist. Des Weiteren ist von der nicht angegriffenen Feststellung auszugehen, dass die Emittentin am 11.4.2016 "wegen Vermögenslosigkeit" im Handelsregister gelöscht wurde. Daran anknüpfend setzt die Annahme eines beim Kläger eingetretenen Schadens voraus, dass die Emittentin am 8.10.2015 hinreichend vermögend war, um aus den Namensschuldverschreibungen resultierende fällige Forderungen zumindest teilweise zu bedienen, und sich an diesem Zustand bis zur Fälligkeit der Zinsforderungen aus der am 17.9.2014 von ihm erworbenen Namensschuldverschreibung und bis zur Fälligkeit der sich aus ihr ergebenden Kapitalrückzahlungsforderung, die bis zum 30.6.2019 hätte hinausgeschoben werden können, ohne die am 8.10.2015 gefassten Beschlüsse nichts geändert hätte.

Dies darzulegen und unter Beweis zu stellen, ist Sache des Klägers als Anspruchsteller. Anders als das OLG meint, geht es hier nämlich nicht um die Frage, ob der (behauptete) Schaden bei rechtmäßigem (Alter- nativ-)Verhalten der Insolvenzschuldnerin ebenfalls entstanden wäre, so dass der Beklagte entsprechend darlegungs- und beweisbelastet wäre. Denn die Frage der Werthaltigkeit der Ansprüche aus den Namensschuldverschreibungen im Zeitpunkt der Beschlussfassung am 8.10.2015 beantwortet sich unabhängig davon, welchen Inhalt das Einladungsschreiben hatte und wie die Insolvenzschuldnerin auf der Anlegerversammlung abstimmte. Es liegt vielmehr ein Fall vor, in dem die Vereitelung von (Zins- und Kapitalrückzahlungs-)Forderungen in Rede steht. In einem solchen Fall jedoch ist die Durchsetzbarkeit der Forderung Voraussetzung für den Schadensersatzanspruch und demgemäß vom Anspruchsteller zu beweisen.

Mehr zum Thema:

Aufsatz:
Aktuelle Rechtsprechung des III. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs zum Kapitalanlagerecht
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Aufsatz:
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