Zum Wirkungsverlust einer in der Berufungsinstanz vorgenommenen Klageerweiterung bei Zurückweisung der Berufung durch einstimmigen Beschluss
BGH 3.11.2016, III ZR 84/15Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung. Zwischen den Parteien ist u.a. streitig, ob sich die Beklagte erfolgreich auf die Einrede der Verjährung berufen kann. Der Kläger erwarb nach mehreren Beratungsgesprächen mit Mitarbeitern der Beklagten im Oktober 2006 Anteile an einem Investmentfonds zu einem Anlagebetrag von 15.000 € mit einem darin enthaltenen Ausgabeaufschlag von rd. 600 €. Auf dem von dem Anlageberater erstellten handschriftlichen Vorsorgeplan ist unter Nr. 1 "Geldanlage 15.000 € ohne Kapitalverzehr" vermerkt. Auch das dem Kläger überlassene Berechnungsbeispiel enthält einen Eintrag "Kapitalverzehr: Nein".
Der Kläger erhielt jährlich Depotauszüge, aus denen sich ständig reduzierende Depotwerte, zuletzt 9.400 €, ergaben. Der Auszug vom 20.9.2007 weist einen Depotwert von rd. 14.400 € aus. In einem Schreiben an die Beklagte vom 24.1.2011 schilderte der Kläger das Zustandekommen der Verträge im Oktober 2006 und führte aus: "In der Folgezeit habe ich feststellen müssen, dass aus den mir übergebenen Depotauszügen und Bescheinigungen der Depot-Wert meiner Anlage von 15.000 € sich ständig reduziert hat. Es stellt sich für mich die Frage, wie sollen die jährlichen Beitragszahlungen gemäß Auszahlplan von rd. 900 € jährlich bis zum Jahre 2029 sichergestellt werden und wie ist der Kapitalerhalt am Ende der Laufzeit gegeben?"
Der Kläger macht u.a. geltend, er habe im Rahmen der Beratungsgespräche vorgegeben, dass der Kapitalstock der Anlage nicht angegriffen werden solle. Da dieses Anlageziel - wie er erst 2010 bemerkt habe - nicht mehr habe erreicht werden können, sei er fehlerhaft beraten worden. Der Kläger reichte mit am 10.12.2012 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz eine auf Schadensersatz i.H.v. 16.800 € nebst Zinsen Zug-um-Zug gegen Abtretung der Fondsanteile sowie auf Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten gerichtete Klage ein.
Das LG wies die Klage ab. Nachdem das anschließend mit der Sache befasste KG darauf hingewiesen hatte, dass beabsichtigt sei, die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO im Beschlusswege zurückzuweisen, erweiterte der Kläger mit Schriftsatz vom 9.12.2014 seine Klage um einen Schadensersatzbetrag von rd. 5.200 €. Das KG wies die Berufung mit der Maßgabe zurück, dass auch die mit Schriftsatz vom 9.12.2014 erweiterte Klage abgewiesen werde. Auf die Revision des Klägers hob der BGH den Beschluss des KG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Das KG hätte über die im Berufungsverfahren erfolgte Klageerweiterung nicht nach § 522 Abs. 2 ZPO entscheiden dürfen.
Eine zweitinstanzliche Klageerweiterung hindert zwar das KG ebenso wie eine zweitinstanzliche Widerklage nicht, bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen einen Beschuss nach § 522 Abs. 2 ZPO zu erlassen. Wird die den erstinstanzlichen Streitgegenstand betreffende Berufung durch einen einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen, verlieren allerdings sowohl die Klageerweiterung als auch die Widerklage entsprechend § 524 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung.
Zwar ist die prozessuale Situation einer (erst) in zweiter Instanz vorgenommenen Klageerweiterung bei gleichzeitiger Aussichtslosigkeit der Berufung i.S.v. § 522 Abs. 2 ZPO in der ZPO nicht geregelt. Weder § 522 ZPO noch § 533 ZPO enthalten insofern eine ausdrückliche Bestimmung. Auch den Gesetzesmaterialien lässt sich hierzu nichts entnehmen. Sowohl der Normzweck des § 522 Abs. 2 ZPO, die zügige Erledigung des Rechtsstreits zu fördern, als auch der Umstand, dass die Berufungsinstanz vornehmlich der Fehlerkontrolle dienen soll, gebieten es allerdings, diese Regelungslücke durch eine analoge Anwendung des § 524 Abs. 4 ZPO zu schließen. Mit beidem ist es nicht vereinbar, in die Prüfung der Erfolgsaussicht gem. § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO auch die Frage der Begründetheit einer zweitinstanzlichen Klageerweiterung einzubeziehen.
Das gesetzgeberische Anliegen, offensichtlich aussichtslose Berufungen im Beschlussweg zurückzuweisen, hätte i.Ü. auch einer mündlichen Verhandlung sowohl über die Berufung als auch über den mit der Klageerweiterung geltend gemachten entgegengestanden. Diesem Anliegen würde nicht Rechnung getragen, wenn der Berufungskläger mit einer - ggf. geringfügigen - Erweiterung seiner Klage eine mündliche Verhandlung erzwingen könnte, obwohl die Berufung in Bezug auf die erstinstanzliche Beschwer des Berufungsklägers keine Aussicht auf Erfolg bietet.
Soweit das KG das Rechtsmittel auch in Bezug auf die erweiterte Klage zurückgewiesen hat, beruht der angefochtene Beschluss auf der festgestellten Rechtsverletzung. Hätte es die entsprechende Anwendbarkeit des § 524 Abs. 4 ZPO beachtet, hätte es über den mit der Klageerweiterung erhobenen Anspruch nicht entscheiden dürfen. Ein etwaiger späterer Rechtsstreit über den Gegenstand der Klageerweiterung wäre in erster Instanz zu führen gewesen. Es kann aus den nachstehenden Gründen auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Frage der Verjährung von einem anderen Gericht anders beurteilt worden wäre.
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