Zur Anrechnung einer außergerichtlich angefallenen Geschäftsgebühr gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG auf die im Klageverfahren anfallende Verfahrensgebühr
BGH 29.11.2011, XI ZB 16/11Die Parteien streiten im Verfahren der Kostenfestsetzung darum, ob bei der Berechnung der von der Beklagten der Klägerin zu erstattenden Kosten die geltend gemachte Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG) in voller Höhe anzusetzen ist, oder ob auf diese Gebühr bei der Kostenfestsetzung gem. Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG die für die vorgerichtliche Tätigkeit ihres Prozessbevollmächtigten angefallene Geschäftsgebühr teilweise anzurechnen ist.
Der instanzgerichtliche Prozessbevollmächtigte der Klägerin wandte sich im Mai 2007 an die Beklagte und machte im Namen der Zedentin Schadensersatzansprüche wegen fehlerhafter Anlageberatung geltend. Hierfür stellte er der Zedentin mit der über 3.085 € lautenden Gebührenrechnung vom 10.8.2007 eine 1,9-fache Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG in Rechnung. Nachdem das im Namen der Zedentin an die Beklagte gerichtete Schreiben erfolglos geblieben war, trat die Zedentin ihre Ansprüche an die Klägerin ab, die die Beklagte aus abgetretenem Recht mit der Klage in Anspruch nahm. Gegenstand der Klage waren u.a. die vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten von 3.085 €.
Mit Urteil des LG vom 4.3.2009 wurde die Beklagte insoweit antragsgemäß verurteilt. Das OLG bestätigte das Urteil mit mittlerweile rechtskräftigem Urteil vom 2.11.2009 und erlegte die Kosten des Rechtsstreits in vollem Umfang der Beklagten auf. Im Kostenfestsetzungsverfahren lehnte das LG die Erstattungsfähigkeit der vom Klägervertreter geltend gemachten vollen Verfahrensgebühr ab und rechnete mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 9.12.2010 eine Geschäftsgebühr mit einem Gebührensatz von 0,65 auf die Verfahrensgebühr an.
Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Klägerin wies das OLG zurück und führte zur Begründung aus, der Klägervertreter habe unstreitig wegen seiner außergerichtlichen Tätigkeit eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG verdient. Diese sei jedenfalls in dem vom LG vorgenommenen Umfang gem. Vorbemerkung 3 Abs. 4 S. 1 VV zum RVG auf die vom Klägervertreter zur Erstattung angemeldete Verfahrensgebühr anzurechnen, weil diese wegen desselben Gegenstands entstanden sei. Die Anrechnung sei im Verhältnis zur Beklagten gem. § 15a Abs. 2 RVG zu berücksichtigen, da die Geschäftsgebühr durch das Urteil des OLG vom 2.11.2009 tituliert worden sei.
Der BGH wies die gegen den Beschluss des OLG gerichtete Rechtsbeschwerde der Klägerin zurück.
Die Gründe:
Das OLG hat zu Recht die außergerichtliche Geschäftsgebühr gem. Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG auf die vom Klägervertreter verdiente Verfahrensgebühr angerechnet und dabei angenommen, die Beklagte könne sich nach § 15a Abs. 2 Fall 2 RVG auf die Anrechnung berufen, weil wegen des Anspruches auf die Geschäftsgebühr bereits ein Vollstreckungstitel vorliege.
Das Urteil des OLG vom 2.11.2009 stellt einen die Anrechnung gem. § 15a Abs. 2 Fall 2 RVG rechtfertigenden Vollstreckungstitel bzgl. der Geschäftsgebühr dar. Die Rechtsbeschwerde kann hiergegen nicht mit Erfolg einwenden, der Vollstreckungstitel weise keine exakte Bezifferung des Anspruchs aus. Das Gegenteil ist der Fall. Auch wenn der Begriff "Geschäftsgebühr" weder im landgerichtlichen Urteil noch im Berufungsurteil ausdrücklich genannt wird, kann kein Zweifel daran bestehen, dass die vom Klägervertreter verdiente vorgerichtliche Geschäftsgebühr dort tituliert worden ist. Vielmehr sind die vorgerichtlichen Anwaltskosten im landgerichtlichen Tenor und bestätigend im oberlandesgerichtlichen Tenor jeweils betragsmäßig i.H.v. 3.085 € gesondert tituliert.
Ohne Rechtsfehler ist das OLG auch zu dem Ergebnis gelangt, gem. Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG sei die titulierte Geschäftsgebühr auf die vom Klägervertreter verdiente Verfahrensgebühr anzurechnen, weil sie wegen desselben Gegenstandes entstanden sei wie die Verfahrensgebühr. Für die Anrechnung nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG kommt es nach der Rechtsprechung des BGH nicht darauf an, ob die Geschäfts- und die Verfahrensgebühr dieselbe Angelegenheit oder unterschiedliche kostenrechtliche Angelegenheiten betreffen; entscheidend ist allein, dass wegen desselben Gegenstands bereits eine Geschäftsgebühr entstanden ist. Die Frage, ob eine vorgerichtliche anwaltliche Tätigkeit und die anschließende Klage in diesem Sinne denselben Gegenstand gem. Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG betreffen, ist daher anhand einer wirtschaftlichen Betrachtung zu entscheiden.
Der hierfür zu fordernde sachliche Zusammenhang ist problemlos gegeben, wenn der vom Rechtsanwalt angemahnte Zahlungsbetrag anschließend eingeklagt wird. Einen solchen Fall hat das OLG hier zu Recht bejaht. Wie auch die Rechtsbeschwerde nicht in Abrede stellt, handelt es sich bei den außergerichtlich gegenüber der Beklagten geltend gemachten Ansprüchen wegen fehlerhafter Anlageberatung um diejenigen, die später eingeklagt worden sind. Dass sie vorgerichtlich von der Zedentin aus eigenem Recht geltend gemacht wurden und prozessual von der Klägerin aus abgetretenem Recht, ändert - wie das OLG zu Recht angenommen hat - nichts an der zur Anrechnung nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG führenden wirtschaftlichen Identität.
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