Zur Auslegung des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 96/9/EG über den rechtlichen Schutz von Datenbanken im Hinblick auf den Schutz einzelner Daten in Landkarten
BGH 18.9.2014, I ZR 138/13Der klagende Freistaat Bayern gibt durch das Landesamt für Vermessung und Geoinformation topographische flächendeckende Landkarten für das gesamte Bundesland Bayern im Maßstab 1:50.000 (sog. TK 50) heraus. Diese Karten werden nach (bundesweit) einheitlichen Abbildungsvorschriften (einem sog. Musterblatt) und einem einheitlichen geodätischen Bezugssystem erstellt.
Der beklagte Verlag veröffentlicht u.a. Atlanten, Tourenbücher und Karten für Radfahrer, Mountainbiker und Inline-Skater. Der Kläger behauptet, der Beklagte habe zur Erstellung seines Kartenmaterials in - soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung - sechs Karten die TK 50-Karten des Klägers genutzt und die diesen zugrundeliegenden Daten übernommen. Der Kläger nimmt den Beklagten auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung in Anspruch genommen und begehrt die Feststellung der Schadensersatzverpflichtung.
Das LG gab der Klage statt. Die Verurteilung zur Unterlassung ist in Rechtskraft erwachsen, nachdem der Beklagte sich hiergegen mit der Berufung nicht gewandt hat. Das OLG wies die Klage ab, soweit der Beklagte zur Auskunftserteilung und Rechnungslegung verurteilt und die Schadensersatzpflicht des Beklagten festgestellt worden ist. Es hat die Revision nur insoweit zugelassen, als es die auf den Schutz von Datenbanken nach §§ 87a ff. UrhG gestützten Ansprüche verneint hat. Mit seinem Rechtsmittel verfolgt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Der BGH hat das Verfahren ausgesetzt und dem BGH zur Auslegung des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 96/9/EG über den rechtlichen Schutz von Datenbanken folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
"Ist bei der Frage, ob eine Sammlung von unabhängigen Elementen i.S.v. Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 96/9/EG vorliegt, weil sich die Elemente voneinander trennen lassen, ohne dass der Wert ihres informativen Inhalts dadurch beeinträchtigt wird, jeder denkbare Informationswert oder nur derjenige Wert maßgebend, welcher unter Zugrundelegung der Zweckbestimmung der jeweiligen Sammlung und der Berücksichtigung des sich daraus ergebenden typischen Nutzerverhaltens zu bestimmen ist?"
Die Gründe:
Der Erfolg der Revision hängt davon ab, ob der Beklagte das Recht des Klägers an Datenbanken gem. §§ 87a ff. UrhG verletzt hat. § 87a Abs. 1 UrhG setzt Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 96/9/EG um und greift die Schutzvoraussetzungen nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie auf. § 87a Abs. 1 S. 1 UrhG ist deshalb richtlinienkonform auszulegen.
Der Senat geht davon aus, dass eine topographische Landkarte eine Zusammenstellung von Daten enthält, die systematisch angeordnet sind. Nicht abschließend geklärt ist, welche Anforderungen an die Unabhängigkeit der Elemente nach Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 96/9/EG zu stellen sind. Darauf bezieht sich die Vorlagefrage. Nach der Rechtsprechung des EuGH liegt eine Sammlung von unabhängigen Elementen vor, wenn die Elemente sich trennen lassen, ohne dass der Wert ihres informativen, literarischen, künstlerischen, musikalischen oder sonstigen Inhalts dadurch beeinträchtigt wird. Daraus folgt aber nicht ohne weiteres, ob die aus dem jeweiligen Kartenmaterial des Klägers übernommenen Daten, die die Beschaffenheit bestimmter Punkte der Erdoberfläche beschreiben, unabhängige Elemente i.S.v. Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 96/9/EG darstellen.
Diese Frage ist in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten. Teilweise wird das Vorliegen unabhängiger Elemente abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, dass bei einer Landkarte die zusammengefügten Informationen in der vorgenannten Art ineinander verschmolzen und hierdurch aufeinander bezogen seien. Dadurch erhalte die Landkarte ihren eigentlichen Informationswert, der weit über den Wert der punktuellen Information hinausgehe. Dagegen wird von anderen angenommen, dass bereits die Information, was sich an einer bestimmten Geokoordinate befinde, ausreichend sei, um ihre Unabhängigkeit anzunehmen. So schließe die Möglichkeit, die Einzelinformation auch in ihrer Kombination zu nutzen, deren einzelne Zugänglichkeit nicht aus, sondern sei nur deren Folge.
Dabei hängt die Frage, ob bei topographischen Karten die Trennung der Daten vom topographischen Zusammenhang ihren Informationswert beeinträchtigt, davon ab, nach welchen Maßstäben dieser Wert zu bestimmen ist. Aus Sicht des Senats ist davon auszugehen, dass nicht jegliche Minderung des Werts der Information durch die Trennung dazu führt, dass die Daten nicht mehr als unabhängige Elemente anzusehen sind. Es steht der Qualifizierung einer Information als unabhängiges Element demnach nicht entgegensteht, wenn dieses Element das Interesse des Nutzers der Datenbank nicht vollständig, sondern nur teilweise befriedigt. Für den Streitfall würde dies bedeuten, dass die in einer topographischen Landkarte enthaltenen einzelnen Daten, etwa die Information, ob es in einer bestimmten Ortschaft eine Kirche gibt oder diese Ortschaft an einem Fluss liegt, einen selbständigen Informationswert haben können, selbst wenn das Interesse des Nutzers der Karte sich auf weitere Informationen beziehen wird.
Deshalb kommt es aus Sicht des Senats darauf an, ob eine Beeinträchtigung des Wertes eines Elements in inhaltlicher Hinsicht nach der Trennung schon dann zu verneinen ist, wenn das Element noch über einen Informationswert verfügt, oder ob in die Beurteilung der Beeinträchtigung des Informationswerts des Elements nach der Trennung die Zweckbestimmung der jeweiligen Sammlung und das sich daraus ergebende typische Nutzerverhalten einzubeziehen sind. Ist Ersteres der Fall, wären die Elemente einer topographischen Landkarte unabhängig, weil die mit jedem Koordinatenpunkt auf der Karte verbundene Information auch nach der Trennung erhalten bleibt. Ist dagegen Letzteres entscheidend, wären die Elemente einer topographischen Landkarte nicht unabhängig.
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