29.01.2018

Zur Bedeutung der Distributionsrate auf das Vorliegen einer Spitzenstellungsabhängigkeit

Steht eine sortimentsbedingte Abhängigkeit in Rede, kommt es für die Frage, wann ein Unternehmen als kleines oder mittleres Unternehmen anzusehen ist, regelmäßig entscheidend auf einen Vergleich der Größe des behinderten Unternehmens mit seinen Wettbewerbern an. Entschließt sich ein Anbieter zu einem bestimmten Zeitpunkt dazu, den Vertrieb seiner Waren auf ein qualitatives selektives Vertriebssystem umzustellen, spricht es regelmäßig für das Vorliegen einer Spitzenstellungsabhängigkeit, wenn sich für den Zeitraum zuvor eine hohe Distributionsrate feststellen lässt.

BGH 12.12.2017, KZR 50/15
Der Sachverhalt:
Die Klägerin betreibt den Einzelhandel mit Lederwaren, zu denen u.a. Koffer rechnen. Sie unterhält fünf Ladengeschäfte in München und eines in Regensburg. Die Klägerin veräußert vielfach Waren zu Preisen, die unter den von den Herstellern empfohlenen Verkaufspreisen liegen. Darauf macht sie durch farbige Preisschilder aufmerksam, auf denen dem durchgestrichenen empfohlenen Verkaufspreis des Herstellers der von ihr geforderte, niedrigere Preis gegenübersteht.

Die Beklagte stellt her und vertreibt Koffer unter der Marke "Rimowa". Sie belieferte die Klägerin zuletzt auf der Grundlage eines Händlervertrags aus dem Jahr 2005. Diesen Vertrag kündigte sie zum 30.9.2012. Zugleich bot sie der Klägerin den Abschluss eines neuen "Händlervertrags zum selektiven Vertriebssystem 2011" an, der u.a. die Verpflichtung des Händlers vorsieht, die Koffer der Beklagten in bestimmter Weise zu präsentieren und ein Shop-in-Shop-System der Beklagten zu erwerben und einzusetzen. Auf einen Abschluss des neuen Händlervertrags für sämtliche Ladengeschäfte der Klägerin konnten sich die Parteien nicht einigen. Der Auftritt der Klägerin entspricht aus Sicht der Beklagten nicht ihrem Geschäftskonzept und ihrer Marketingstrategie.

Das LG wies die Klage, die darauf gerichtet ist, die Beklagte zu verurteilen, das Angebot der Klägerin zum Abschluss des Händlervertrags für die sechs Ladengeschäfte anzunehmen und die Klägerin zu den Konditionen dieses Vertrags mit dem jeweilig aktuellen Produktsortiment zu den Preisen der jeweils aktuellen Händlerpreislisten zu beliefern, ab. Das OLG gab der Klage statt. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH die Sache auf und verwies Sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Zutreffend sieht das OLG die Klägerin als kleines oder mittleres Unternehmen i.S.v. § 20 Abs. 1 S. 1 GWB an.

Wann ein Unternehmen als kleines oder mittleres Unternehmen anzusehen ist, ist im Gesetz nicht bestimmt. Nach der Rechtsprechung des Senats lässt sich diese Einstufung nicht nach absoluten Zahlen festlegen. Steht - wie hier - eine sortimentsbedingte Abhängigkeit in Rede, kommt es regelmäßig entscheidend auf einen Vergleich der Größe des behinderten Unternehmens mit seinen Wettbewerbern an. Danach kann die Klägerin nicht als Großunternehmen des Handels angesehen werden. Sie betreibt lediglich sechs Einzelhandelsgeschäfte für Lederwaren in München und Regensburg. Sie steht zudem nicht nur mit anderen Einzelhändlern, sondern auch mit den Betreibern großer Kaufhäuser im Wettbewerb. Sind diese danach in die Beurteilung einzubeziehen, ist die Annahme des OLG, bei der Klägerin handele es sich um ein kleines oder allenfalls mittleres Unternehmen, im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Die Revision hat aber jedenfalls deshalb Erfolg, weil die Feststellungen des OLG zu den Umständen, aus denen es eine Spitzenstellungsabhängigkeit der Klägerin von der Beklagten gefolgert hat, nicht verfahrensfehlerfrei getroffen worden sind. Nach der Rechtsprechung des BGH liegt eine Spitzenstellungsabhängigkeit vor, wenn ein Hersteller aufgrund der Qualität und Exklusivität seines Produkts ein solches Ansehen genießt und eine solche Bedeutung auf dem Markt erlangt hat, dass der nachfragende Händler in seiner Stellung als Anbieter darauf angewiesen ist, gerade (auch) dieses Produkt zu führen, weil sein Fehlen im Angebot zu einem Verlust an Ansehen und zu einer gewichtigen Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit des Händlers führte und sich daher vorhandene Möglichkeiten, auf andere Anbieter auszuweichen, nicht als ausreichend und zumutbar erweisen.

Maßgebliche Bedeutung kommt regelmäßig der Distributionsrate zu. Verhält es sich so, dass der Verkehr das Angebot eines bestimmten Produkts bei einem Händler als selbstverständlich voraussetzt, und führt das Fehlen dieser Ware im Angebot zu einem Verlust an Ansehen und zu einer gewichtigen Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit des Händlers, wird sich dies auch in einer entsprechenden Distributionsrate niederschlagen. Die Ware wird sich in diesem Fall im Sortiment fast aller vergleichbaren Händler finden. Eine hohe Distributionsrate stellt daher zumindest bei Waren, die nicht über ein selektives Vertriebssystem abgesetzt werden, ein deutliches Indiz für eine Spitzenstellungsabhängigkeit dar. Bei einem Vertrieb der betreffenden Waren über ein qualitatives selektives Vertriebssystem kann diesem Indiz ein geringeres Gewicht beizulegen sein. In diesem Fall beliefert der Anbieter nur solche Händler, die bereit sind, bestimmte qualitative Vorgaben, etwa eine gehobene Ausstattung oder eine bevorzugte Lage des Ladengeschäfts, zu erfüllen.

Die Bereitschaft der Händler hierzu kann darauf hinweisen, dass die Produkte des Anbieters für sie von besonderer Bedeutung sind. Zugleich kann der Befund, dass die betreffenden Waren nicht von fast allen vergleichbaren Händlern geführt werden, bei einer solchen Sachlage seine Erklärung darin finden, dass bestimmte Händler den Kriterien des selektiven Vertriebs nicht genügen. Entschließt sich ein Anbieter zu einem bestimmten Zeitpunkt dazu, den Vertrieb seiner Waren auf ein qualitatives selektives Vertriebssystem umzustellen, spricht es regelmäßig für das Vorliegen einer Spitzenstellungsabhängigkeit, wenn sich für den Zeitraum zuvor eine hohe Distributionsrate feststellen lässt. Vorliegend hat sich die Beklagte im Jahr 2011 dafür entschieden, ihre Waren künftig in einem qualitativen selektiven Vertriebssystem abzusetzen. Das OLG ist daher im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass der Distributionsrate in den Jahren 2005 bis 2010 Bedeutung zukommt. Es hat jedoch wesentliches Vorbringen der Beklagten hierzu nicht berücksichtigt.

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