18.02.2022

Zur Bewertung von Geldforderungen in der Handelsbilanz

Zur Beurteilung der richtigen bilanziellen Bewertung einer (möglicherweise) risikobehafteten Forderung ist im Zivilprozess in der Regel die Einholung eines Sachverständigengutachtens geboten, es sei denn, das Gericht verfügt ausnahmsweise selbst über die notwendige besondere Sachkunde und weist die Parteien zuvor hierauf hin.

BGH v. 20.1.2022 - III ZR 194/19
Der Sachverhalt:
Der Kläger hatte im Mai 2010, die Klägerin im September 2010 Hypothekenanleihen der W-AG erworben. Hauptgeschäftsgegenstand der 2003 gegründeten, mittlerweile insolventen W-AG, die sich insbesondere durch Hypothekenanleihen finanzierte, waren An- und Verkauf sowie Verwaltung von Grundstücken. Die Beklagte testierte die Jahresabschlüsse der W-AG für die Geschäftsjahre 2007 bis 2012.

Die Kläger machten geltend, die Kaufpreisforderungen hätten offensichtlich nicht mit dem Nennbetrag in den Jahresabschluss für das Jahr 2008 eingestellt werden dürfen, sondern mit dem Betrag der Anschaffungskosten für die Grundstücke bewertet werden müssen, so dass die Abschlüsse von vornherein einen Fehlbetrag hätten ausweisen müssen. Sie, die Kläger, hätten die Anlagen in Kenntnis der ursprünglichen Abschlüsse erworben; wäre ein Fehlbetrag ausgewiesen worden, hätte die W-AG überhaupt keine Anleihen mehr platzieren können. Sie warfen der Beklagten vor, sie i.S.d. § 826 BGB vorsätzlich sittenwidrig geschädigt zu haben, und begehrten Erstattung ihrer Aufwendungen für den Erwerb der Anleihen abzüglich der Rückflüsse.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat der Klage im Berufungsverfahren überwiegend, nämlich hinsichtlich der Klägerin i.H.v. 16.365 € und des Klägers i.H.v. 15.940 €, stattgegeben. Auf die Revision der Beklagten hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen.

Gründe:
Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB nicht bejaht werden. Seine Beurteilung, das von der Beklagten erteilte Testat sei fehlerhaft, beruht auf Rechtsfehlern.

Die Beurteilung, ob zum maßgeblichen Zeitpunkt Umstände vorlagen, die die Abschreibung einer Forderung vonnöten machten, und in welchem Umfang dies gegebenenfalls vorzunehmen war, erfordert demgemäß eine umfassende Würdigung der Einzelfallumstände, die zumeist besonderen kaufmännischen und bilanztechnischen Sachverstand voraussetzt. Deshalb ist im Zivilprozess in der Regel die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Beurteilung der richtigen bilanziellen Bewertung einer (möglicherweise) risikobehafteten Forderung geboten, es sei denn, das Gericht verfügt ausnahmsweise selbst über die notwendige besondere Sachkunde und weist die Parteien zuvor hierauf hin.

Es ist nicht ersichtlich, dass die Bewertung der hier in Rede stehenden Kaufpreisforderungen zum maßgeblichen Stichtag keine besondere Sachkunde erforderte. Vielmehr belegen die eingehenden - rechtlich nicht zweifelsfreien - Erörterungen der Vorinstanz das Gegenteil. Das Berufungsgericht hat aber nicht dargetan, über die erforderliche Sachkunde zu verfügen. Dementsprechend hätte es den Klägervortrag zur Wertlosigkeit der Forderungen, wie die Revision mit Recht rügt, nicht ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens als richtig feststellen dürfen. Beide Seiten hatten entsprechende Anträge gestellt.

Das Berufungsgericht hat es insofern rechtsfehlerhaft unterlassen, diesen Beweisanträgen nachzugehen, was im neuen Verfahren nachzuholen sein wird. Da hiernach bislang prozessordnungsgemäß getroffene Feststellungen dazu fehlen, wie die Forderungen zu bewerten waren sowie ob und gegebenen-falls in welchem Umfang das Testat objektiv fehlerhaft war, kann derzeit auch nicht beurteilt werden, ob das Verhalten der Beklagten als gewissenlos zu beurteilen ist.

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