Zur Darlegungslast bei Ansprüchen wegen betrügerischen Anlagemodellen nach dem Schneeballsystem
BGH v. 4.2.2021 - III ZR 7/20
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche nach einer fehlgeschlagenen Kapitalanlage, die sich in dritter Instanz nur noch gegen den Beklagten richten. Der Beklagte war Alleinaktionär, alleiniges Mitglied des Verwaltungsrats und Hauptentscheidungsträger der in der Schweiz ansässigen und in Deutschland tätigen S. AG. Diese bot über die von ihr beherrschte B. L. S. AG ein als "Cashselect" bezeichnetes Anlagemodell an. Danach sollten die Anleger ihre Versicherungen, Bausparverträge und ähnliche Kapitalanlagen kündigen bzw. kündigen lassen, um die Rückkaufswerte dann der S. AG zur Verfügung zu stellen. Das Geld sollte gewinnbringend - zuletzt vornehmlich in Unternehmen aus der Branche der erneuerbaren Energien - investiert werden. Die Anleger schlossen dafür Verträge über den "Ankauf von Rückkaufswerten aus Vermögensanlagen", die als Kaufpreis für die erworbenen Rückkaufswerte spätere Auszahlungen der S. AG vorsahen, die - je nach Preismodell - entweder in Raten oder als einmalige Zahlung an den Anleger geleistet werden sollten (Vertragstypen A-F mit unterschiedlichen Laufzeiten) und eine erhebliche Verzinsung vorsahen. Über eine Erlaubnis nach dem Schweizer Bankgesetz oder nach dem Kreditwesengesetz verfügte die S. AG nicht.
Auch der Kläger schloss auf der Grundlage des von ihm am 27.2.2012 abgegebenen - vorformulierten - Angebots mit der S. AG einen solchen auf Erwerb des Rückkaufswerts seiner bei der V. L. - bestehenden Lebensversicherung gerichteten Vertrag. Den erzielten Erlös stellte er dem Anlagemodell (Vertragstyp E) entsprechend der S. AG - nachrangig zu den Forderungen sonstiger gegenwärtiger und zukünftiger Gläubiger - zur Verfügung. Der Betrag sollte sodann ratierlich mit Gewinn binnen 15 Jahren zurückgezahlt werden. Zeitgleich mit dem Angebot erteilte der Kläger mehreren - von der S. AG beauftragten - Rechtsanwälten Vollmacht zur Kündigung der Vermögensanlage, von der diese im Folgenden Gebrauch machten.
Anfang März 2012 ließ die Schweizer Finanzmarktaufsicht die Geschäftsräume der S. AG in der Schweiz durchsuchen. Kurze Zeit später wurde die in Deutschland ansässige L. O. I. GmbH (nachfolgend L. O.) - unter Mitwirkung des Beklagten, der an der Gesellschaft zumindest anfänglich beteiligt war - gegründet, die den Anlegern die Übernahme der Verträge unter der Überschrift "aus den Unternehmen der S. AG wird L. O. " anbot. Der Kläger unterzeichnete Ende April 2012 einen entsprechenden Übernahmevertrag. Im August 2012 untersagte die Schweizer Finanzmarktaufsicht der S. AG den Vertrieb ihrer Produkte. Anfang 2013 wurde der Konkurs über das Vermögen der S. AG eröffnet. Mitte 2013 wurde auch die T. C. GmbH, in die die L. O. rund ein halbes Jahr nach ihrer Gründung umbenannt worden war, insolvent.
Der Beklagte ist mittlerweile im Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit der S. AG rechtskräftig wegen Betrugs in Tatmehrheit mit drei Fällen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges im Tatzeitraum 2009/2010 zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Der Kläger, der keine Auszahlungen erhalten hat, verlangt u.a. die Erstattung des der S. AG zur Verfügung gestellten Rückkaufswerts seiner Versicherung, den er mit rd. 60.000 € beziffert. Er hat insbesondere unter Hinweis auf das gegen den Beklagten ergangene Strafurteil behauptet, das Anlagemodell habe - zumindest bis zur der gedachten Gewinnverzinsung, zu der es nicht mehr gekommen sei - auf einem sog. "Schneeballsystem" beruht, nach dem ältere Verträge mit dem Geld aus neueren Verträgen bedient worden seien. Der weitere Vorwurf, es habe ein verbotenes Einlagengeschäft vorgelegen, ist nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens.
LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Die Gründe:
Mit der vom OLG gegebenen Begründung kann ein auf den Vorwurf, ein sog. "Schneeballsystem" betrieben zu haben, gestützter Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 826 BGB oder aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB gegen den Beklagten nicht verneint werden.
Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Beurteilung des OLG, der Kläger habe die Voraussetzungen eines solchen Anspruchs nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Das OLG hat die Anforderungen, die an die Substanz des Klägervortrags zu stellen sind, überspannt und die sekundäre Darlegungslast des Beklagten nicht berücksichtigt. Infolgedessen hat es sich mit dem Klägervorbringen verfahrensfehlerhaft nicht mehr näher befasst. Der Kläger hat sich bereits in erster Instanz darauf berufen, das von der S. AG angebotene Anlagemodell habe auf einem sog. Schneeballsystem beruht. In zweiter Instanz hat er insoweit auf das inzwischen gegen den Beklagten ergangene Strafurteil Bezug genommen. Auf den Hinweis des OLG, deliktische Ansprüche gegen den Beklagten seien mit Blick auf die strafrechtliche Verurteilung zwar nicht ausgeschlossen, müssten aber in Bezug auf den abweichenden Zeitraum näher konkretisiert werden, hat er geltend gemacht, die - von dem Beklagten gesteuerte - S. AG habe gegenüber ihren Kunden wie ihm eine Zins- und Rückzahlungsverpflichtung übernommen, obgleich sie keinerlei Erlöse mit den Geldern erzielt, sondern die Verträge älteren Datums mit den Geldern aus den Verträgen jüngeren Datums bedient habe; dies sei auch noch nach Mai 2010 - mithin nach dem Wechsel des "Geschäftsmodells" - weiterhin geschehen. Dieses Vorbringen hätte das OLG nicht als unsubstantiiert und damit unschlüssig zurückweisen dürfen.
Auf der Grundlage dieses Vortrags kommen gegen den Beklagten Ansprüche vielmehr sowohl aus § 826 BGB als auch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB in Betracht. Ist vorhersehbar, dass bei einem Anlagemodell die den Anlegern versprochene Rendite nicht aus den Erträgen des Anlageobjekts, sondern aus den Einlagen weiterer Anleger bedient werden wird (sog. Schneeballsystem), erfüllt dies regelmäßig sowohl die Voraussetzungen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gem. § 826 BGB als auch diejenigen eines Eingehungsbetrugs gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB. Der Geschädigte genügt seiner Darlegungslast regelmäßig bereits dadurch, dass er Umstände vorträgt, die das (weitere) Betreiben eines solchen Schneeballsystems als naheliegend erscheinen lassen. Den Gegner trifft in solchen Fällen eine sekundäre Darlegungslast. Er hat sich im Rahmen der ihm nach § 138 Abs. 2 ZPO obliegenden Erklärungspflicht zu den Behauptungen der beweispflichtigen Partei zu äußern; anderenfalls gilt das Vorbringen des Geschädigten als zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO).
Das Vorbringen des Klägers als richtig unterstellt, ist ihm infolge der Handlungen des Beklagten ein Schaden in Höhe des der S. AG zur Verfügung gestellten Rückkaufswerts seiner Lebensversicherung entstanden. Besteht der Schaden in der sittenwidrigen Herbeiführung eines Vertrages, richtet sich der Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses. Gleiches gilt, wenn man auf einen auf einer irrtumsbedingten Vermögensverfügung beruhenden Schaden des Klägers i.S.v. § 263 StGB abstellt. Ein solcher bestünde in einer nicht durch einen Vermögenszuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts seines Vermögens. Das Berufungsurteil war daher aufzuheben und die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückzuverweisen.
BGH online
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche nach einer fehlgeschlagenen Kapitalanlage, die sich in dritter Instanz nur noch gegen den Beklagten richten. Der Beklagte war Alleinaktionär, alleiniges Mitglied des Verwaltungsrats und Hauptentscheidungsträger der in der Schweiz ansässigen und in Deutschland tätigen S. AG. Diese bot über die von ihr beherrschte B. L. S. AG ein als "Cashselect" bezeichnetes Anlagemodell an. Danach sollten die Anleger ihre Versicherungen, Bausparverträge und ähnliche Kapitalanlagen kündigen bzw. kündigen lassen, um die Rückkaufswerte dann der S. AG zur Verfügung zu stellen. Das Geld sollte gewinnbringend - zuletzt vornehmlich in Unternehmen aus der Branche der erneuerbaren Energien - investiert werden. Die Anleger schlossen dafür Verträge über den "Ankauf von Rückkaufswerten aus Vermögensanlagen", die als Kaufpreis für die erworbenen Rückkaufswerte spätere Auszahlungen der S. AG vorsahen, die - je nach Preismodell - entweder in Raten oder als einmalige Zahlung an den Anleger geleistet werden sollten (Vertragstypen A-F mit unterschiedlichen Laufzeiten) und eine erhebliche Verzinsung vorsahen. Über eine Erlaubnis nach dem Schweizer Bankgesetz oder nach dem Kreditwesengesetz verfügte die S. AG nicht.
Auch der Kläger schloss auf der Grundlage des von ihm am 27.2.2012 abgegebenen - vorformulierten - Angebots mit der S. AG einen solchen auf Erwerb des Rückkaufswerts seiner bei der V. L. - bestehenden Lebensversicherung gerichteten Vertrag. Den erzielten Erlös stellte er dem Anlagemodell (Vertragstyp E) entsprechend der S. AG - nachrangig zu den Forderungen sonstiger gegenwärtiger und zukünftiger Gläubiger - zur Verfügung. Der Betrag sollte sodann ratierlich mit Gewinn binnen 15 Jahren zurückgezahlt werden. Zeitgleich mit dem Angebot erteilte der Kläger mehreren - von der S. AG beauftragten - Rechtsanwälten Vollmacht zur Kündigung der Vermögensanlage, von der diese im Folgenden Gebrauch machten.
Anfang März 2012 ließ die Schweizer Finanzmarktaufsicht die Geschäftsräume der S. AG in der Schweiz durchsuchen. Kurze Zeit später wurde die in Deutschland ansässige L. O. I. GmbH (nachfolgend L. O.) - unter Mitwirkung des Beklagten, der an der Gesellschaft zumindest anfänglich beteiligt war - gegründet, die den Anlegern die Übernahme der Verträge unter der Überschrift "aus den Unternehmen der S. AG wird L. O. " anbot. Der Kläger unterzeichnete Ende April 2012 einen entsprechenden Übernahmevertrag. Im August 2012 untersagte die Schweizer Finanzmarktaufsicht der S. AG den Vertrieb ihrer Produkte. Anfang 2013 wurde der Konkurs über das Vermögen der S. AG eröffnet. Mitte 2013 wurde auch die T. C. GmbH, in die die L. O. rund ein halbes Jahr nach ihrer Gründung umbenannt worden war, insolvent.
Der Beklagte ist mittlerweile im Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit der S. AG rechtskräftig wegen Betrugs in Tatmehrheit mit drei Fällen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges im Tatzeitraum 2009/2010 zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Der Kläger, der keine Auszahlungen erhalten hat, verlangt u.a. die Erstattung des der S. AG zur Verfügung gestellten Rückkaufswerts seiner Versicherung, den er mit rd. 60.000 € beziffert. Er hat insbesondere unter Hinweis auf das gegen den Beklagten ergangene Strafurteil behauptet, das Anlagemodell habe - zumindest bis zur der gedachten Gewinnverzinsung, zu der es nicht mehr gekommen sei - auf einem sog. "Schneeballsystem" beruht, nach dem ältere Verträge mit dem Geld aus neueren Verträgen bedient worden seien. Der weitere Vorwurf, es habe ein verbotenes Einlagengeschäft vorgelegen, ist nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens.
LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Die Gründe:
Mit der vom OLG gegebenen Begründung kann ein auf den Vorwurf, ein sog. "Schneeballsystem" betrieben zu haben, gestützter Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 826 BGB oder aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB gegen den Beklagten nicht verneint werden.
Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Beurteilung des OLG, der Kläger habe die Voraussetzungen eines solchen Anspruchs nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Das OLG hat die Anforderungen, die an die Substanz des Klägervortrags zu stellen sind, überspannt und die sekundäre Darlegungslast des Beklagten nicht berücksichtigt. Infolgedessen hat es sich mit dem Klägervorbringen verfahrensfehlerhaft nicht mehr näher befasst. Der Kläger hat sich bereits in erster Instanz darauf berufen, das von der S. AG angebotene Anlagemodell habe auf einem sog. Schneeballsystem beruht. In zweiter Instanz hat er insoweit auf das inzwischen gegen den Beklagten ergangene Strafurteil Bezug genommen. Auf den Hinweis des OLG, deliktische Ansprüche gegen den Beklagten seien mit Blick auf die strafrechtliche Verurteilung zwar nicht ausgeschlossen, müssten aber in Bezug auf den abweichenden Zeitraum näher konkretisiert werden, hat er geltend gemacht, die - von dem Beklagten gesteuerte - S. AG habe gegenüber ihren Kunden wie ihm eine Zins- und Rückzahlungsverpflichtung übernommen, obgleich sie keinerlei Erlöse mit den Geldern erzielt, sondern die Verträge älteren Datums mit den Geldern aus den Verträgen jüngeren Datums bedient habe; dies sei auch noch nach Mai 2010 - mithin nach dem Wechsel des "Geschäftsmodells" - weiterhin geschehen. Dieses Vorbringen hätte das OLG nicht als unsubstantiiert und damit unschlüssig zurückweisen dürfen.
Auf der Grundlage dieses Vortrags kommen gegen den Beklagten Ansprüche vielmehr sowohl aus § 826 BGB als auch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB in Betracht. Ist vorhersehbar, dass bei einem Anlagemodell die den Anlegern versprochene Rendite nicht aus den Erträgen des Anlageobjekts, sondern aus den Einlagen weiterer Anleger bedient werden wird (sog. Schneeballsystem), erfüllt dies regelmäßig sowohl die Voraussetzungen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gem. § 826 BGB als auch diejenigen eines Eingehungsbetrugs gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB. Der Geschädigte genügt seiner Darlegungslast regelmäßig bereits dadurch, dass er Umstände vorträgt, die das (weitere) Betreiben eines solchen Schneeballsystems als naheliegend erscheinen lassen. Den Gegner trifft in solchen Fällen eine sekundäre Darlegungslast. Er hat sich im Rahmen der ihm nach § 138 Abs. 2 ZPO obliegenden Erklärungspflicht zu den Behauptungen der beweispflichtigen Partei zu äußern; anderenfalls gilt das Vorbringen des Geschädigten als zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO).
Das Vorbringen des Klägers als richtig unterstellt, ist ihm infolge der Handlungen des Beklagten ein Schaden in Höhe des der S. AG zur Verfügung gestellten Rückkaufswerts seiner Lebensversicherung entstanden. Besteht der Schaden in der sittenwidrigen Herbeiführung eines Vertrages, richtet sich der Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses. Gleiches gilt, wenn man auf einen auf einer irrtumsbedingten Vermögensverfügung beruhenden Schaden des Klägers i.S.v. § 263 StGB abstellt. Ein solcher bestünde in einer nicht durch einen Vermögenszuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts seines Vermögens. Das Berufungsurteil war daher aufzuheben und die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückzuverweisen.