16.06.2011

Zur Durchsetzbarkeit eines bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehenden Aufrechnungsrechts

Ein bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehendes Aufrechnungsrecht bleibt auch dann erhalten, wenn die aufgerechnete Gegenforderung nach einem rechtskräftig bestätigten Insolvenzplan als erlassen gilt. Die Zulassung der Aufrechnung gem. § 94 InsO nach rechtskräftiger Bestätigung eines Insolvenzplans führt nicht zwangsläufig zu unbilligen Ergebnissen.

BGH 19.5.2011, IX ZR 222/08
Der Sachverhalt:
Über das Vermögen der I-GmbH (Schuldnerin) wurde im Dezember 2006 das Insolvenzverfahren eröffnet. Das verklagte Land meldete Umsatzsteuerforderungen aus den Jahren 2005 und 2006 zur Insolvenztabelle an, die i.H.v. mehr als 1 Mio. € festgestellt wurden. Mit Zustimmung der Vertreterin des Beklagten beschloss die Gläubigerversammlung einen Insolvenzplan, dessen gestaltender Teil für die nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger einen Teilerlass von 93,65 Prozent ihrer Forderungen vorsah. Das Insolvenzgericht bestätigte den Insolvenzplan und hob das Insolvenzverfahren im März 2007 auf.

Die Schuldnerin erbrachte die nach dem Insolvenzplan dem Beklagten geschuldeten Zahlungen. Anschließend machte sie gegen diesen Werklohnansprüche für Bauleistungen geltend, die sie bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens für ihn erbracht hatte. Der Beklagte zahlte nach Rechtshängigkeit der zunächst auf Zahlung von 117.585 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichteten Klage einen Teilbetrag von 36.273 € und rechnete im Übrigen mit dem noch nicht getilgten Teil seiner Umsatzsteuerforderungen der Jahre 2005 und 2006 auf.

Das LG wies die Klage mit Ausnahme eines Anspruchs auf Zinsen und Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten ab. Das OLG gab der Klage antragsgemäß statt. Über das Vermögen der Schuldnerin wurde mittlerweile erneut ein Insolvenzverfahren eröffnet; der Insolvenzverwalter hat den Rechtsstreit aufgenommen. Auf die Revision des Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Berufung gegen das Urteil des LG zurück.

Die Gründe:
Die Forderungen der Schuldnerin sind, soweit sie nicht durch Zahlung erfüllt wurden, durch die vom Beklagten erklärte Aufrechnung erloschen.

Die Aufrechnung mit einer Forderung, die nach dem Insolvenzplan als erlassen gilt, bleibt entgegen der Ansicht des OLG gem. § 94 InsO möglich, wenn die Aufrechnungslage bereits zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestand. Nach § 94 InsO wird das bei Verfahrenseröffnung bestehende Recht eines Insolvenzgläubigers zur Aufrechnung "durch das Verfahren nicht berührt". Dem Gesetzeswortlaut ist zwar nicht eindeutig zu entnehmen, ob sich die Aufrechnungsbefugnis auch gegenüber der gestaltenden Wirkung eines Insolvenzplans (§ 254 Abs. 1 InsO) durchsetzt. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollte § 94 InsO aber diese Wirkung haben.

Der mit § 94 InsO verfolgte Regelungszweck macht seine Anwendung im Falle eines Insolvenzplans allerdings nicht zwingend erforderlich. Die Vorschrift dient nach allgemeiner Ansicht dem Vertrauensschutz. Eine vor Insolvenzeröffnung erworbene Aufrechnungsbefugnis und die daraus folgende Selbstexekutionsbefugnis sind eine von der Rechtsordnung weitgehend geschützte Rechtsstellung (vgl. §§ 389, 392, 406 BGB), die auch im Insolvenzverfahren uneingeschränkt anerkannt bleiben soll. Der Senat hält es letztlich für ausschlaggebend, dass mit der InsO die nach früherem Recht bestehenden Aufrechnungsmöglichkeiten nicht beschränkt werden sollten.

Die Zulassung der Aufrechnung gem. § 94 InsO nach rechtskräftiger Bestätigung eines Insolvenzplans führt auch nicht zwangsläufig zu unbilligen Ergebnissen. Aufrechnungsmöglichkeiten eines Insolvenzgläubigers sind vor der Entscheidung über die Bestätigung des Insolvenzplans für den Insolvenzverwalter erkennbar. Er kann z.B. versuchen, den betreffenden Gläubiger zu einem Verzicht auf sein Aufrechnungsrecht zu bewegen, oder - falls dies nicht gelingt - die fortbestehende Aufrechnungsmöglichkeit bei der Gestaltung des Insolvenzplans einbeziehen.

Das Berufungsurteil war danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO); der Senat konnte in der Sache selbst entscheiden. Die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Aufrechnung nach § 387 BGB i.V.m. § 94 InsO liegen vor. Zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Dezember 2006 hatte der Beklagte gegen die Schuldnerin eine fällige Umsatzsteuerforderung in einer die Forderungen der Schuldnerin auf Bezahlung von Bauleistungen (81.311 €) übersteigenden Höhe.

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