16.10.2017

Zur Fortdauer der Wirkungen der Verstrickung im Insolvenzverfahren

Eine durch Zwangsvollstreckung im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag erlangte Sicherung führt zur öffentlich-rechtlichen Verstrickung des Vermögensgegenstandes. Verstrickung tritt auch ein bei einer während der Dauer des Insolvenzverfahrens durchgeführten Zwangsvollstreckung. Die Wirkungen der Verstrickung dauern im Insolvenzverfahren fort, bis sie auf einem dafür vorgesehenen Weg beseitigt worden sind.

BGH 21.9.2017, IX ZR 40/17
Der Sachverhalt:
Der Schuldner eröffnete bei der beklagten Bank im August 2011 ein Pfändungsschutzkonto. Zwischen Juli und November 2011 ließen verschiedene Gläubiger des Schuldners der Beklagten insgesamt sieben Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse bzgl. der Ansprüche des Schuldners zustellen. Ein weiterer Pfändungs- und Überweisungsbeschluss wurde der Beklagten am 3.7.2012 zugestellt. Am 28.8.2012 eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter.

Die Beklagte führte das Pfändungsschutzkonto auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens weiter. Soweit die Zahlungseingänge auf dem Pfändungsschutzkonto nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Pfändungsfreigrenze überstiegen, übertrug die Beklagte diese Beträge auf ein von ihr geführtes Separierungskonto. Dieses Konto wies zum 17.10.2013 einen Stand von rd. 1.800 € auf. Der Kläger forderte die Beklagte auf, die auf diesem Konto angesammelten Beträge an ihn zu überweisen. Die Beklagte teilte mit, dass aufgrund der vorliegenden Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse über dieses Kontoguthaben nicht verfügt werden könne und sie das Guthaben deshalb nicht auszahlen könne.

Das AG wies die Zahlungsklage ab; das LG gab ihr statt. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Berufung des Klägers gegen das Urteil des AG zurück.

Die Gründe:
Das LG meint zu Unrecht, dass die aufgrund der Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse erfolgte Beschlagnahme des Guthabens und die damit eingetretene öffentlich-rechtliche Verstrickung dem Zahlungsanspruch nicht entgegenstehe. Vielmehr kann der Drittschuldner sich gegenüber dem Auszahlungsverlangen des Insolvenzverwalters damit verteidigen, dass die Verstrickung der Vermögenswerte fortbesteht (vgl. § 829 Abs. 1 S. 1 ZPO). Dies gilt auch dann, wenn die Zwangsvollstreckung nach § 89 InsO unzulässig oder die vom Insolvenzgläubiger durch Zwangsvollstreckung erlangte Sicherung nach § 88 InsO unwirksam sein sollte.

Das Guthaben aus den von der Beklagten auf dem Sonderkonto separierten Beträgen wird von den Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen erfasst. Es handelt sich vorliegend um Pfändungen des Guthabens eines Kontos bei einem Kreditinstitut. Diese umfassen auch zukünftige Guthaben (§ 833a ZPO). Die von der Beklagten auf dem Konto separierten Beträge unterliegen daher der Verstrickung, die grundsätzlich durch die Beschlagnahme mit der Zustellung des Pfändungsbeschlusses an den Drittschuldner der zu pfändenden Geldforderung bewirkt wird. Sie begründet ein staatliches Herrschaftsverhältnis, das zu einer Sicherstellung der Forderung im Interesse des Vollstreckungsgläubigers führt.

Das Insolvenzverfahren hat für sich genommen keinen Einfluss auf die Verstrickung. Ein Zugriff auf die von Pfändungsmaßnahmen eines Gläubigers erfassten Gegenstände ist auch im Insolvenzverfahren erst möglich, wenn die Wirkungen der Verstrickung beseitigt sind. Wird die Vollstreckungsmaßnahme nicht von Amts wegen aufgehoben, muss der Insolvenzverwalter die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung bei dem nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuständigen Vollstreckungsorgan, ggf. im Wege der Erinnerung geltend machen. Dies gilt für die Rückschlagsperre gem. § 88 InsO wie das Vollstreckungsverbot gem. 89 InsO gleichermaßen. Zu Unrecht meint das LG, dass die Verstrickung bis zum Ende des Insolvenzverfahrens ruht. Vielmehr bedarf es stets einer entsprechenden Entscheidung des Vollstreckungsorgans.

Da der Drittschuldner ein berechtigtes Interesse an Rechtssicherheit hat, ist es nicht gerechtfertigt, dass die Wirkungen der §§ 88, 89 InsO auch die Verstrickung erfassen. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus § 836 Abs. 2 ZPO. Gem. § 836 Abs. 2 ZPO gilt der Überweisungsbeschluss, auch wenn er mit Unrecht erlassen ist, zugunsten des Drittschuldners dem Schuldner gegenüber solange als rechtsbeständig, bis er aufgehoben wird und die Aufhebung zur Kenntnis des Drittschuldners gelangt. Da §§ 88, 89 InsO nur bestimmte Vollstreckungsmaßnahmen verbieten, ist es für den an der Vollstreckung nicht beteiligten Drittschuldner erforderlich, auf rechtssichere Weise Gewissheit zu erhalten, ob die gepfändeten Forderungen noch der Verstrickung unterliegen oder nicht.

Solange die öffentlich-rechtliche Verstrickung nicht gerichtlich aufgehoben worden ist, kann das Pfändungspfandrecht nach Beendigung des Insolvenzverfahrens wieder wirksam werden. Letztlich spricht auch die Regelung des § 89 Abs. 3 InsO dafür, dass bei einer trotz Verbots durchgeführten Zwangsvollstreckung die öffentlich-rechtliche Verstrickung solange andauert, bis sie auf einem dafür vorgesehenen Weg beseitigt worden ist. Der Gesetzgeber hat die Norm gerade für die Fälle geschaffen, dass Vollstreckungsverbote im Einzelfall nicht beachtet werden. Hätte die Vollstreckung von vornherein keine Verstrickungswirkung, bedürfte es keines gesonderten Rechtsbehelfs über Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Vollstreckung.

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