09.09.2024

Zur Frage der Zulässigkeit der Übersendung von presserechtlichen Informationsschreiben an Presseunternehmen

Die Übersendung eines presserechtlichen Informationsschreibens an ein Presseunternehmen stellt grundsätzlich nur dann einen unmittelbaren Eingriff in dessen Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar, wenn es zuvor durch ein sog. Opt-Out zu verstehen gegeben hat, dass es die Zusendung solcher Schreiben nicht wünscht.

BGH v. 25.6.2024 - VI ZR 64/23
Der Sachverhalt:
Die Klägerin zu 1) und die ehemalige Klägerin zu 2), die während des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens auf die Klägerin zu 1) verschmolzen worden ist (Klägerinnen), sind Medienunternehmen, die Zeitschriften herausgeben und vertreiben. Sie nehmen die Beklagten auf Unterlassung presserechtlicher Informationsschreiben in Anspruch.

Die Beklagte zu 1) betreibt eine presserechtlich tätige Rechtsanwaltskanzlei. Bei dem Beklagten zu 2) handelt es sich um einen Partner der Beklagten zu 1). Die Beklagten zu 1) und 2) versenden, wenn sie etwa aufgrund einer aktuellen Veröffentlichung einer Presseredaktion von einer Übernahme der Berichterstattung durch andere Presseredaktionen ausgehen, sog. presserechtliche Informationsschreiben, in denen sie für den Fall einer solchen Berichterstattung presserechtliche Rechtsbehelfe ankündigen. Am 21.10.2020 versandte die Beklagte zu 1) im Namen und im Auftrag der Beklagten zu 3), einer Nachrichtensprecherin, jeweils ein vom Beklagten zu 2) unterzeichnetes "presserechtliches Informationsschreiben" an die beiden Klägerinnen mit folgendem Inhalt:

"Presserechtliches Informationsschreiben
[(Vor- und Nachname der Beklagten zu 3)]
Aus Anlass einer BUNTE-Berichterstattung, die auf einer Berichterstattung der BILD-Zeitung aufbaut, zeigen wir an, dass wir [Beklagte zu 3] in ihren presserechtlichen Angelegenheiten vertreten. Unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Berichterstattung verletzt die Berichterstattung über das private Beziehungsleben unserer Klientin ihre Persönlichkeitsrechte. Es ist rechtskräftig anerkannt, dass sie eine Berichterstattung über ihr Privatleben nicht hinnehmen muss. Vor diesem Hintergrund sind wir auch bereits erfolgreich gegen die BILD-Zeitung vorgegangen, die freiwillig eine Unterlassungsverpflichtungserklärung zu ihrer Berichterstattung vom letzten Wochenende abgegeben hat. Ebenso sind wir beauftragt,

gegen die aktuelle BUNTE-Berichterstattung, die eine massive Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellt, vorzugehen. Vor diesem Hintergrund weisen wir darauf hin, dass jegliche Übernahme einer Berichterstattung zu der Privatsphäre unserer Klientin rechtswidrig wäre und vor dem Hintergrund des nunmehr bekannten entgegenstehenden Willens unserer Klientin auch dazu führen würde, dass es sich um eine hartnäckige Rechtsverletzung handeln würde. Wir bitten daher um dringende Beachtung."

Die Abgabe einer von den Klägerinnen geforderten strafbewehrten Unterlassungserklärung lehnten die Beklagten zu 1) und 2) ab.

Das LG untersagte der Beklagten zu 3), den Klägerinnen sog. presserechtliche Informationsschreiben zuzusenden, wenn dies geschieht wie mit Schreiben der Beklagten zu 1) und 2) vom 21.10.2020. Die Klage gegen die Beklagten zu 1) und 2) wies es ab, weil diese keine Störer seien; sie hätten erkennbar nicht im eigenen Namen, sondern in rechtlicher Vertretung der Beklagten zu 3) gehandelt. Auf die Berufung der Klägerinnen änderte das OLG unter Zurückweisung des Rechtsmittels der Beklagten zu 3) das Urteil des LG dahingehend ab, dass es über die Beklagte zu 3) hinaus auch die Beklagten zu 1) und 2) verurteilte, die Zusendung presserechtlicher Informationsschreiben, wie hier geschehen, zu unterlassen.

Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Urteil des OLG auf und wies die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG zurück. Im Übrigen (Berufung der Beklagten zu 3) verwies der BGH die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Die zulässige Revision der Beklagten zu 1) und 2) ist begründet und führt ihnen gegenüber zur Wiederherstellung des klageabweisenden Urteils des LG. Die Klägerinnen hatten schon deshalb keinen Anspruch auf Unterlassung der Zusendung presserechtlicher Informationsschreiben, wie geschehen mit Schreiben vom 21.10.2020, gegen die Beklagten zu 1) und 2), da diese nicht Störer sind. Sie übersandten die beiden Schreiben an die Klägerinnen im Namen und im Auftrag der Beklagten zu 3), ihrer Mandantin. Die persönliche Verantwortung für das Schreiben übernahmen sie nicht.

Auf die vom OLG getroffenen Feststellungen lässt sich auch ein Anspruch gegen die Beklagte zu 3) aus § 1004 Abs. 1 Satz 2, § 823 Abs. 1 BGB auf Unterlassung der Übermittlung von presserechtlichen Informationsschreiben, wie geschehen mit Schreiben vom 21.10.2020, nicht stützen. Die Beklagte zu 3) käme zwar als Störerin i.S.v. § 1004 Abs. 1 BGB in Betracht, weil sie die Beklagte zu 1) beauftragte und bevollmächtigte, in ihrem Namen die Informationsschreiben vom 21.10.2020 an die Klägerinnen zu richten. Ein unmittelbarer Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb durch presserechtliche Informationsschreiben setzt jedoch ein sog. Opt-Out des Gewerbetreibenden voraus. Die Feststellung des OLG, dass mit dem Schreiben der Klägervertreter vom 27.9.2018 ein solches Opt-Out vorlag, beruht auf einer Verletzung des Anspruchs der Beklagten zu 3) auf Gewährung rechtlichen Gehörs.

Der Schutz des § 823 Abs. 1 BGB wird gegen jede Beeinträchtigung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gewährt, wenn die Störung einen unmittelbaren Eingriff in den gewerblichen Tätigkeitskreis darstellt. Die Übermittlung sog. presserechtlicher Informationsschreiben ist normalerweise betriebsbezogen, weil sie unmittelbar auf eine Beeinflussung der redaktionellen Tätigkeit des Presseunternehmens abzielt. Sie führt in der Regel auch nicht nur zu einer bloßen Belästigung, weil bereits die Sichtung des Schreibens unmittelbar nach dem Eingang und die Weiterleitung innerhalb des Verlags zusätzlichen Arbeitsaufwand verursachen kann und darüber hinaus nicht immer auf den ersten Blick erkennbar ist und daher der Prüfung bedarf, was Inhalt und Gegenstand des Schriftstücks ist. Für die Annahme eines unmittelbaren Eingriffs in den gewerblichen Tätigkeitskreis eines Presseunternehmens reicht dies jedoch nicht aus. Erforderlich ist vielmehr grundsätzlich zusätzlich, dass das Presseunternehmen zuvor erklärt hat, keine Schreiben dieser Art (mehr) erhalten zu wollen (sog. Opt-Out), so dass die Behinderung auch keine sozial übliche mehr ist.

Dass danach die Verletzungshandlung über eine bloße Belästigung "oder" eine sozial übliche Behinderung hinausgehen muss, ist nicht dahingehend zu verstehen, dass jedes über eine Belästigung hinausgehende Verhalten immer einen Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb darstellt. Vielmehr muss das den Betriebsablauf störende Verhalten eine gewisse Intensität und Qualität erreichen, woran es bei sozialer Üblichkeit der Behinderung fehlen kann. Erforderlich ist eine Schadensgefahr, die geeignet ist, den Betrieb in empfindlicher Weise zu beeinträchtigen. Bei der Beurteilung darf der Aufgabenbereich des jeweiligen Gewerbebetriebs nicht unberücksichtigt bleiben. Ein Presseunternehmen erhält Informationen und Meinungsbekundungen nicht nur auf gezielte Recherche, sondern auch ungefragt. Diese können sich sowohl auf eine bereits erfolgte als auch auf eine mögliche künftige Berichterstattung beziehen. Mit ihnen kann der Absender auch das Ziel verfolgen, auf den Inhalt einer Berichterstattung Einfluss zu nehmen. Zur typischen Tätigkeit eines Presseunternehmens gehört es, diese Zusendungen auszuwerten und solche, die aus seiner Sicht nutzlos sind, auszusortieren.

Die ungefragte Übermittlung von Schreiben, die sich auf die Pressetätigkeit beziehen, stellt deshalb trotz des Aufwands, der mit ihrer Sichtung verbunden sein kann, für sich genommen grundsätzlich noch keinen unmittelbaren Eingriff in den Gewerbebetrieb dar. Erst wenn das Presseunternehmen durch ein Opt-Out dem Absender zu verstehen gegeben hat, dass es die Zusendung einer bestimmten Art von Schreiben - hier presserechtlicher Informationsschreiben - nicht wünscht, ist mit einer dennoch erfolgenden Zusendung die Schwelle zum Eingriff überschritten. Insofern stellt sich die Sach- und Rechtslage anders dar als bei unverlangt zugesandter E-Mail-Werbung an Gewerbetreibende, mit der der Werbende in die geschäftliche Sphäre des Gewerbetreibenden eindringt.

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Rechtsprechung
Zulässige anwaltliche Aufforderung zur Unterlassung einer Veröffentlichung
LG München vom 28.04.2022 - 26 O 14658/21
AfP 2022, 362

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