28.02.2025

Zur Frage des immateriellen Schadens i.S.d. Art. 82 Abs. 1 DSGVO

Die Ablehnung einer Erheblichkeitsschwelle durch den EuGH bedeutet nicht, dass eine Person, die von einem Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung betroffen ist, der für sie negative Folgen gehabt hat, vom Nachweis befreit wäre, dass diese Folgen einen immateriellen Schaden i.S.v. Art. 82 dieser Verordnung darstellen. Der bloße Verstoß gegen die Bestimmungen der Datenschutz-Grundverordnung reicht nach EuGH-Rechtsprechung nicht aus, um einen Schadensersatzanspruch zu begründen.

BGH v. 28.1.2025 - VI ZR 109/23
Der Sachverhalt:
Der Kläger hatte im Januar 2019 vom Beklagten Aufkleber für seinen Briefkasten mit der Aufschrift "Betteln und Hausieren verboten" gekauft. Mit E-Mail vom 20.3.2020 meldete sich der Beklagte beim Kläger und warb damit, weiterhin für ihn da zu sein, trotz der Corona-Pandemie stehe der volle Service zur Verfügung. Der Kläger übersandte dem Beklagten noch am selben Tag eine E-Mail, mit der er der "Verarbeitung oder Nutzung" seiner Daten "für Zwecke der Werbung oder der Markt- oder Meinungsforschung auf jeglichem Kommunikationsweg" widersprach. Er verlangte neben der Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auch "Schmerzensgeld gem. Art. 82 DSGVO" i.H.v. 500 €. Den Text sandte der Kläger am 6.4.2020 nochmals per Fax an den Beklagten.

Der Beklagte hat den Unterlassungsantrag im erstinstanzlichen Verfahren anerkannt. Das AG hat den Beklagten seinem Teilanerkenntnis gemäß verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Das LG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Auch die Revision des Klägers vor dem BGH blieb erfolglos.

Gründe:
Die Vorinstanzen haben im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf Ersatz von immateriellem Schaden nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO verneint.

Zwar wandte sich der Kläger zu Recht gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, dem Kläger stehe schon deshalb kein Anspruch auf immateriellen Schadensersatz zu, da eine Bagatellgrenze nicht überschritten sei. Der Begriff des "immateriellen Schadens" ist in Ermangelung eines Verweises in Art. 82 Abs. 1 DSGVO auf das innerstaatliche Recht der Mitgliedstaaten i.S.d. Bestimmung autonom unionsrechtlich zu definieren (st. Rspr., EuGH, Urt. v. 20.6.2024 - C-590/22, DB 2024, 1676; Senatsurteil v. 18.11.2024 - VI ZR 10/24, DB 2024, 3091). Dabei soll nach ErwG 146 Satz 3 DSGVO der Begriff des Schadens weit ausgelegt werden, in einer Art und Weise, die den Zielen dieser Verordnung in vollem Umfang entspricht. Weiter hat der EuGH ausgeführt, dass Art. 82 Abs. 1 DSGVO einer nationalen Regelung oder Praxis entgegensteht, die den Ersatz eines immateriellen Schadens i.S.d. Bestimmung davon abhängig macht, dass der der betroffenen Person entstandene Schaden einen bestimmten Grad an Schwere oder Erheblichkeit erreicht hat.

Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers aber zu Recht deshalb verneint, weil der Kläger einen immateriellen Schaden bereits nicht hinreichend dargelegt hatte. Die Ablehnung einer Erheblichkeitsschwelle durch den EuGH bedeutet nicht, dass eine Person, die von einem Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung betroffen ist, der für sie negative Folgen gehabt hat, vom Nachweis befreit wäre, dass diese Folgen einen immateriellen Schaden i.S.v. Art. 82 dieser Verordnung darstellen. Der bloße Verstoß gegen die Bestimmungen der Datenschutz-Grundverordnung reicht nach EuGH-Rechtsprechung nicht aus, um einen Schadensersatzanspruch zu begründen, vielmehr ist darüber hinaus - im Sinne einer eigenständigen Anspruchsvoraussetzung - der Eintritt eines Schadens (durch diesen Verstoß) erforderlich.

Es lag weder ein auf dem gerügten Verstoß beruhender Kontrollverlust des Klägers über seine personenbezogenen Daten vor, noch war die vom Kläger geäußerte Befürchtung eines Kontrollverlusts substantiiert dargelegt worden. Das Berufungsgericht hat auch keine weiteren Umstände festgestellt, aus denen sich ein immaterieller Schaden ergäbe. Die bloße Behauptung einer Befürchtung ohne nachgewiesene negative Folgen reicht ebenso wenig aus wie ein rein hypothetisches Risiko der missbräuchlichen Verwendung durch einen unbefugten Dritten. Die Übersendung der Werbe-E-Mail begründete allenfalls den gerügten Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung. Dieser reicht allein jedoch nicht aus, um zugleich einen immateriellen Schaden i.S.d. Art. 82 Abs. 1 DSGVO zu begründen.

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