Zur Genehmigung des Erwerbs von Vermögenswerten der Air-Berlin-Gruppe durch easyJet und Lufthansa
EuGH v. 20.10.2021 - T-240/18 u.a.Die Fluggesellschaft Air Berlin plc führte angesichts einer anhaltenden Verschlechterung ihrer finanziellen Lage im Jahr 2016 einen Umstrukturierungsplan durch. U.a. schloss sie im Dezember 2016 mit der Fluggesellschaft Deutsche Lufthansa AG eine Vereinbarung über die Untervermietung mehrerer Flugzeuge samt Besatzung an diese. Der Verlust der ihr durch einen ihrer Hauptgesellschafter in Form von Darlehen gewährten finanziellen Unterstützung zwang Air Berlin jedoch dazu, im August 2017 Insolvenz anzumelden. Unter diesen Umständen sollte ein von den deutschen Behörden als Rettungsbeihilfe gewährtes und von der Kommission gebilligtes verbürgtes Darlehen das Unternehmen in die Lage versetzen, seine Tätigkeiten für einen Zeitraum von drei Monaten fortzusetzen, um in dieser Zeit insbesondere seine Vermögenswerte veräußern zu können.
Dazu wurden insbesondere zwei Vereinbarungen geschlossen. Zum einen sah eine am 13.10.2017 geschlossene Vereinbarung u.a. die Übernahme einer Tochtergesellschaft von Air Berlin, auf die zuvor mehrere Flugzeuge und deren Besatzungen übertragen werden sollten, sowie die von ihr gehaltenen Zeitnischen auf mehreren Flughäfen (insbesondere Düsseldorf, Zürich, Hamburg, München, Stuttgart und Berlin-Tegel) durch Lufthansa vor. Zum anderen wurde am 27.10.2017 eine Vereinbarung mit der Fluggesellschaft easyJet plc geschlossen, die vor allem darauf abzielte, dieser von Air Berlin gehaltene Zeitnischen, insbesondere auf dem Flughafen Berlin-Tegel, zu übertragen. Air Berlin stellte am folgenden Tag ihre Tätigkeiten ein und wurde am 1.11.2017 durch Gerichtsbeschluss für insolvent erklärt.
Am 31.10.2017 meldete Lufthansa im Hinblick auf die Befugnisse der Kommission im Bereich der Kontrolle von Zusammenschlüssen den mit der Vereinbarung vom 13.10.2017 vorgesehenen Zusammenschluss bei der Kommission an. Am 7.11.2017 meldete easyJet in gleicher Weise die mit der Vereinbarung vom 27.10.2017 vorgesehene Transaktion an. Die Kommission stellte mit Beschluss vom 21.12.2017 fest, dass der von Lufthansa angemeldete Zusammenschluss angesichts der von dieser eingegangenen Verpflichtungen mit dem Binnenmarkt vereinbar sei, und mit Beschluss vom 12.12.2017, dass der von easyJet angemeldetedem Zusammenschluss mit dem Binnenmarkt vereinbar sei. Die Kommission war nämlich zu dem Schluss gelangt, dass die fraglichen Zusammenschlüsse keinen Anlass zu ernsthaften Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt gäben. Bei dieser Gelegenheit definierte die Kommission - zum ersten Mal in Fällen, die Passagierflugdienste betreffen - die relevanten Märkte nicht nach Städtepaaren zwischen einem Ausgangs- und einem Zielort (im Folgenden: A&Z-Märkte). Sie stellte nämlich zum einen fest, dass Air Berlin ihre Tätigkeiten vor und unabhängig von diesen Zusammenschlüssen eingestellt habe, woraus sie den Schluss zog, dass sich Air Berlin aus allen A&Z-Märkten zurückgezogen habe, auf denen sie zuvor präsent gewesen sei.
Zum anderen vertrat die Kommission die Auffassung, dass die fraglichen Zusammenschlüsse hauptsächlich die Übertragung von Zeitnischen beträfen, und stellte fest, dass die betreffenden Zeitnischen keinem bestimmten A&Z-Markt zugeordnet seien. Daher hielt sie es für vorzugswürdig, für die Zwecke ihrer Analyse alle A&Z-Märkte ab oder nach jedem der Flughäfen, denen diese Zeitnischen zugeordnet waren, zusammenzufassen. Dabei definierte sie die relevanten Märkte demnach als die Märkte für Passagierflugdienste ab und nach diesen Flughäfen. Anschließend prüfte die Kommission, ob die genannten Zusammenschlüsse nicht ein "erhebliches Hindernis für einen wirksamen Wettbewerb" schaffen, indem sie easyJet bzw. Lufthansa die Möglichkeit und ein Interesse verleihen, den Zugang zu diesen Märkten abzuschotten. Die klagende Fluggesellschaft Polskie Linie Lotnicze "LOT", die als unmittelbare Wettbewerberin der an den fraglichen Zusammenschlüssen beteiligten Unternehmen auftritt, ist der Ansicht, dass die von der Kommission vorgenommene Analyse sowohl hinsichtlich ihrer Methodik als auch hinsichtlich ihrer Ergebnisse fehlerhaft sei, und hat beim EuG zwei Klagen auf Nichtigerklärung der beiden angefochtenen Beschlüsse erhoben.
Das EuG wies die Klagen ab und erkannte damit insbesondere an, dass sich die Kommission darauf beschränken kann, die A&Z-Märkte ab und nach den Flughäfen, denen die Zeitnischen von Air Berlin zugeordnet waren, zusammen zu prüfen, statt jeden der A&Z-Märkte, auf denen Air Berlin und Lufthansa bzw. easyJet präsent waren, einzeln zu prüfen.
Die Gründe:
Die Klägerin versucht die inhaltliche Richtigkeit der Darstellung der fraglichen Zusammenschlüsse und ihres Kontexts durch die Kommission vergeblich in Frage zu stellen. Die Kommission ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Tätigkeiten von Air Berlin vor den fraglichen Zusammenschlüssen und unabhängig davon eingestellt worden waren und dass Air Berlin folglich auf keinem A&Z-Markt mehr präsent war. Die Kommission hat, da die Zeitnischen von Air Berlin keinem A&Z-Markt zugeordnet waren, zu Recht darauf hingewiesen, dass diese Zeitnischen von Lufthansa bzw. easyJet auf anderen A&Z-Märkten als denen, auf denen Air Berlin tätig war, genutzt werden könnten. Folglich war es in diesem konkreten Fall, anders als bei Zusammenschlüssen von noch tätigen Fluggesellschaften, nicht sicher, dass sich die fraglichen Zusammenschlüsse in irgendeiner Weise auf den Wettbewerb auf den A&Z-Märkten auswirken würden, auf denen Air Berlin vor der Einstellung ihrer Tätigkeiten präsent war. Die Klägerin hat keine ernsthaften Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass eine Einzelprüfung der von ihr identifizierten A&Z-Märkte die Feststellung eines erheblichen Hindernisses für einen wirksamen Wettbewerb hätte ermöglichen können, das anhand der Marktdefinition der Kommission nicht zu erkennen war.
Die Kommission verfügt bei der Ausübung der ihr durch die EG-Fusionskontrollverordnung übertragenen Befugnisse über ein gewisses Ermessen, insbesondere bei den komplexen wirtschaftlichen Beurteilungen, die sie insoweit vorzunehmen hat. Bei der Kontrolle der Ausübung dieses Ermessens durch den Unionsrichter ist daher der der Kommission eingeräumte Wertungsspielraum zu berücksichtigen. Die Prüfung der Auswirkungen der fraglichen Zusammenschlüsse auf die Märkte für Passagierflugdienste ab und nach den betreffenden Flughäfen hat keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler ergeben, insbesondere in Anbetracht des geringen Auslastungsgrads dieser Flughäfen und der begrenzten Auswirkungen dieser Zusammenschlüsse auf die Erhöhung der von Lufthansa und easyJet gehaltenen Zeitnischenanteile.
Was insbesondere den von Lufthansa angemeldeten Zusammenschluss anbelangt, kann die Klägerin auch nicht mit Erfolg geltend machen, dass die Kommission einen offensichtlichen Fehler bei der Beurteilung der Auswirkungen der Vereinbarung vom 16.12.2016 begangen habe, da diese Vereinbarung es Lufthansa bereits erlaubte, Flugzeuge und deren Besatzung für einen Zeitraum von sechs Jahren zu betreiben, bevor Lufthansa sie im Rahmen dieses Zusammenschlusses endgültig erwarb. Was schließlich den von easyJet angemeldeten Zusammenschluss betrifft, so ist festzustellen, dass die Zeitnischen für die Erbringung von Passagierflugdiensten erforderlich sind. Es besteht demnach eine "vertikale" Beziehung zwischen der Zuweisung dieser Zeitnischen und der Erbringung dieser Dienstleistungen, so dass die Kommission zu Recht auf die Leitlinien für "nichthorizontale" Zusammenschlüsse zurückgegriffen hat.
Die Rügen der Klägerin, wonach die von Lufthansa im Rahmen des von ihr angemeldeten Zusammenschlusses eingegangenen Verpflichtungen unzureichend gewesen seien und für den von easyJet angemeldeten Zusammenschluss keine derartigen Verpflichtungen eingegangen worden seien, überzeugen nicht, da die Klägerin nicht mit Erfolg geltend machen kann, dass diese Zusammenschlüsse offensichtlich geeignet sind, ein erhebliches Hindernis für einen wirksamen Wettbewerb zu bilden. Aus diesem Grund sind auch die Rügen der Klägerin unbegründet, dass die Kommission etwaige Effizienzgewinne, die sich aus diesen Zusammenschlüssen hätten ergeben können, nicht berücksichtigt habe. I.Ü. hat Klägerin nicht nachgewiesen, dass die finanzielle Unterstützung, die Air Berlin durch die Rettungsbeihilfe erhalten hat, zu den Vermögenswerten gehörte, die im Rahmen der fraglichen Zusammenschlüsse auf easyJet bzw. Lufthansa übertragen wurden; daher waren die Rügen zurückzuweisen, dass die Kommission diese Beihilfe bei ihrer Prüfung hätte berücksichtigen müssen.