Zur Glaubhaftmachung des Eröffnungsgrunds der Zahlungsunfähigkeit durch das Finanzamt
BGH v. 19.9.2024 - IX ZB 14/22Das Finanzamt beantragte mit Schreiben vom 23.2.2022, das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners zu eröffnen. Mit dem Antrag reichte das Finanzamt eine im Einzelnen nach Steuerart, Zeitraum der Steuer, Fälligkeit und Höhe gegliederte Aufstellung der offenstehenden Forderungen aus Einkommen- und Umsatzsteuer nebst Verspätungs- und Säumniszuschlägen sowie Verzögerungsgeld und Vollstreckungskosten über insgesamt rd. 45.000 € ein. Weiter erklärte es, dass die Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen gegeben seien und legte die gegen den Schuldner ergangenen Steuerbescheide vor.
Das AG - Insolvenzgericht - wies den Antrag als unzulässig zurück. Die sofortige Beschwerde hatte vor dem LG keinen Erfolg. Auf die Rechtsbeschwerde des Finanzamts hob der BGH die Beschlüsse von AG und LG auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das AG zurück.
Die Gründe:
Mit der vom LG gegebenen Begründung kann die Glaubhaftmachung der Forderung des Gläubigers und des Eröffnungsgrunds nicht verneint werden.
Nach ständiger BGH-Rechtsprechung setzt der Insolvenzantrag eines Finanzamts, der auf Steuerforderungen gestützt wird, als Mindesterfordernis die Vorlage der ergangenen Steuerbescheide und ggf. etwaiger Steueranmeldungen oder Steuervoranmeldungen des Schuldners voraus. Danach hätte das LG Feststellungen dazu treffen müssen, ob die Forderung durch Vorlage von Bescheiden glaubhaft gemacht ist. Auf die Beanstandung durch das AG hat der Gläubiger die Bescheide über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag, Verspätungszuschlag und Zinsen für 2017, 2018 und 2019, den Bescheid über Umsatzsteuer, Zinsen und Verspätungszuschlag für 2019, die Bescheide über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für die Monate Januar 2020 bis Oktober 2021 und den Bescheid über die Festsetzung von Verzögerungsentgelt vorgelegt. Obgleich zu der in der Antragsschrift unter den laufenden Nummern 5 bis 10 ebenfalls verzeichneten Einkommensteuer für das dritte und vierte Quartal 2020 und für 2021 keine Bescheide vorgelegt worden sind, hätte das AG zu den vorgelegten Bescheiden Feststellungen treffen müssen. Die Glaubhaftmachung eines Teilbetrags einer Forderung oder einer von mehreren behaupteten Forderungen kann genügen.
Darüber hinaus bedarf es zur Glaubhaftmachung eines Eröffnungsgrunds im Streitfall nicht der Vorlage einer Fruchtlosigkeitsbescheinigung eines Gerichtsvollziehers oder Vollstreckungsbeamten oder des Protokolls der Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung des Schuldners. Die Glaubhaftmachung des Insolvenzgrunds erfordert nicht unbedingt die Vorlage einer Bescheinigung über einen fruchtlosen Vollstreckungsversuch oder der Erklärung des Finanzamts, erfolglos gegen den Steuerschuldner vollstreckt zu haben. Der antragstellende Gläubiger kann den Eröffnungsgrund auch auf andere Weise glaubhaft machen. Die schlichte Nichtbegleichung einer unbestrittenen Forderung kann im Einzelfall eine weitere Glaubhaftmachung entbehrlich machen. Ein Indiz für die fehlende Zahlungsfähigkeit kann sein, wenn der Schuldner auf Zahlungsaufforderungen durch das Finanzamt nicht reagiert und dem angekündigten Vollstreckungsversuch weder entgegentritt noch den Zugang zur Wohnung ermöglicht.
Der Gläubiger hat insoweit im Wesentlichen vorgetragen, ab dem 13.10.2020 sei beim Schuldner Zahlungsunfähigkeit anzunehmen. Am 12.10.2020 sei aufgrund einer Kontenpfändung letztmals eine Zahlung i.H.v. rd. 2.200 € eingegangen, welche jedoch in keinem Verhältnis zum Gesamtbetrag der Rückstände i.H.v. rd. 45.000 € stehe. Auf die Beanstandung des AG hat der Gläubiger darüber hinaus erläutert, bei einer Anschlusspfändung am 3.12.2020 habe es kein pfändbares Guthaben auf diesem Konto mehr gegeben. Der Schuldner habe erklärt, selbst keine Einnahmen mehr zu haben. Auf eine Ladung des Schuldners sei verzichtet worden, weil bereits drei Einträge aus dem Jahr 2021 im Schuldnerverzeichnis wegen Nichtabgabe der Vermögensauskunft vorlägen und der Schuldner dem Vollziehungsbeamten den Kontakt verwehre.
Mit diesem Vorbringen, das eine weitere Glaubhaftmachung des Eröffnungsgrunds entbehrlich machen kann, hat sich die Vorinstanz nicht befasst. Die Erwägung des LG, die dargelegte Nichtbegleichung der Forderungen rechtfertige nicht die Annahme, dass der Schuldner nicht zahlungsunwillig, sondern zahlungsunfähig sei, blendet wesentliche Gesichtspunkte aus. Insbesondere ist das LG nicht auf die behaupteten Umstände eingegangen, dass letztmals am 12.10.2020 aufgrund einer Kontenpfändung in geringer Höhe habe vollstreckt werden können und der Schuldner selbst erklärt habe, keine Einnahmen mehr zu haben. Das LG hat im Einzelnen zu prüfen und zu würdigen, ob für die von dem Gläubiger behauptete Tatsache eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht. Diese Würdigung ist zu begründen. Die angestellten Erwägungen müssen zumindest deutlich machen, dass auf der Grundlage des zutreffenden Maßstabes die wesentlichen Umstände abgewogen worden sind eingetragene Schuldner auf rückständige Steuern in fünfstelliger Höhe seit mehreren Jahren keine Zahlung mehr geleistet hat, eine Kontenpfändung nur zu einer geringen Zahlung führt und der Schuldner erklärt, keine Einnahmen zu haben.
Kommentierung | InsO
§ 4 Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung
Sternal in Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 11. Aufl. 2023
Kommentierung | InsO
§ 14 Antrag eines Gläubigers
Sternal in Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 11. Aufl. 2023
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Kommentierung | ZPO
§ 294 Glaubhaftmachung
Greger in Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Aufl. 2024
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