Zur Haftung der handelnden Personen bei wirtschaftlicher Neugründung einer Vorrats- oder Mantelgesellschaft analog § 11 Abs. 2 GmbHG
BGH 12.7.2011, II ZR 71/11Die Klägerin nimmt den Beklagten aus § 11 Abs. 2 GmbHG auf Zahlung von 1.295 € für die Bezahlung von Reifenlieferungen und -montagen in Anspruch.
Der Beklagte ist Geschäftsführer der S-GmbH, die am 25.10.2006 in das Handelsregister eingetragen wurde. Der einzige Geschäftsanteil an der Gesellschaft war bereits zuvor am 10.10.2006 an H übertragen worden. In die darüber errichtete notarielle Urkunde wurde der Beschluss der unter Verzicht auf Formen und Fristen zusammengetretenen Gesellschafterversammlung aufgenommen, den Unternehmensgegenstand in "gewerblichen Güternah- und -fernverkehr, Umzüge, Frachtvermittlungen" und die Firma der Gesellschaft in "A. Transporte & Co. GmbH" zu ändern, den Gesellschaftssitz nach M zu verlegen, die Geschäftsführerin abzuberufen und den Beklagten zum neuen Geschäftsführer zu bestellen.
Der Beklagte meldete diese Änderungen mit Schreiben vom selben Tag, bei Gericht eingegangen am 25.10.2006, zur Eintragung in das Handelsregister an und erklärte dabei, das Stammkapital sei vorhanden und befinde sich in der endgültigen freien Verfügung der Geschäftsführung. Eine Eintragung der Vertragsänderungen und des neuen Geschäftsführers in das Handelsregister unterblieb, weil der Kostenvorschuss nicht eingezahlt und eine Genehmigung nach dem Güterkraftverkehrsgesetz nicht vorgelegt wurde. Gemäß Rechnungen vom 28.3. bis 30.4.2007 erbrachte die Klägerin in der Folgezeit Leistungen für die Gesellschaft, deren Bezahlung Gegenstand der Klage ist.
Das AG wies die Klage ab; das LG gab ihr statt. Auf die Revision des Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Berufung zurück.
Die Gründe:
Der Beklagte ist aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt zur Zahlung der Klageforderungen verpflichtet.
Es fehlt bereits an einer wirtschaftlichen Neugründung im Sinne der Rechtsprechung des Senats. Die Gesellschaft, deren Gegenstand zunächst in der Verwaltung ihres eigenen Vermögens bestand, war zwar nach der Feststellung des LG als sog. Vorratsgesellschaft gegründet worden. Die Änderung des Unternehmensgegenstandes, des Namens und des Sitzes ebenso wie der Wechsel der Gesellschafter und der Geschäftsführer - mithin die Ausstattung der Gesellschaft mit einem werbenden Unternehmen - waren aber schon vor der Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister beschlossen und - soweit dafür nicht die Eintragung im Handelsregister erforderlich war - auch vollzogen worden.
Im Übrigen kommt im Falle einer wirtschaftlichen Neugründung durch Verwendung einer Vorratsgesellschaft - ebenso wie durch Aktivierung eines leeren "GmbH-Mantels" - eine Handelndenhaftung in entsprechender Anwendung des § 11 Abs. 2 GmbHG nur dann in Betracht, wenn die Geschäfte vor Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung aufgenommen werden, ohne dass dem alle Gesellschafter zugestimmt haben. Auch diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Auch eine Haftung aus § 9a Abs. 1 GmbHG kam nicht in Betracht. Das LG hat jedenfalls nicht festgestellt - und es spricht auch nichts dafür -, dass zum Zeitpunkt der Offenlegung am 25.10.2006 der erforderliche Teil des Stammkapitals nicht endgültig zur freien Verfügung des Geschäftsführers stand. Die GmbH wurde an demselben Tag - noch unter ihrem alten Namen S-GmbH - in das Handelsregister eingetragen. Die registergerichtliche Prüfung hatte also offenbar keine Zweifel ergeben.
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