19.07.2021

Zur Haftung von Diensteanbietern für das Teilen von Online-Inhalten

Art. 17 der Richtlinie 2019/790 über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt ist vereinbar mit der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit, die in Art. 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verbürgt sind. Zwar wird mit Art. 17 in die Freiheit der Meinungsäußerung eingegriffen, doch genügt der Eingriff den Anforderungen der Charta.

EuGH, C-401/19: Schlussanträge des Generalanwalts vom 15.7.2021
Der Sachverhalt:
Nach Art. 17 der Richtlinie 2019/790 über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt haften Anbieter von Online-Sharing-Diensten (sog. Web 2.0) unmittelbar, wenn Schutzgegenstände (Werke usw.) von den Nutzern ihrer Dienste rechtswidrig hochgeladen werden. Die betroffenen Diensteanbieter können sich jedoch von dieser Haftung befreien. Hierfür müssen sie gem. Art. 172 die von den Nutzern hochgeladenen Inhalte aktiv überwachen, um das Hochladen derjenigen Schutzgegenstände zu verhindern, die die Rechteinhaber nicht über diese Dienste zugänglich machen wollen. Diese vorbeugende Überwachung muss in vielen Fällen in Form einer Filterung erfolgen, die mit Hilfe von Tools zur automatischen Inhaltserkennung durchgeführt wird.

Polen erhob Klage auf Nichtigerklärung von Art. 17 der Richtlinie 2019/790. Dieser Artikel verletze die Freiheit der Meinungsäußerung und die Informationsfreiheit, die in Art. 11 der Charta der Grundrechte der EU verbürgt sind. Der EuGH hat sich also anhand einer Kontrolle der Rechtmäßigkeit dieses Art. 17 damit zu befassen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen es mit diesen Freiheiten vereinbar ist, wenn den Online-Vermittlern gewisse Überwachungs- und Filterungspflichten auferlegt werden.

Die Gründe:
In seinen Schlussanträgen schlägt Generalanwalt Henrik Saugmandsgaard Øe dem EuGH vor, die Vereinbarkeit von Art. 17 der Richtlinie 2019/790 mit der Freiheit der Meinungsäußerung festzustellen und daher die Klage der Republik Polen abzuweisen.

Die angefochtenen Bestimmungen greifen durchaus in die Freiheit der Meinungsäußerung der Nutzer von Online-Sharing-Diensten ein. Dieser Eingriff erfüllt jedoch die Anforderungen von Art. 52 Abs. 1 der Charta und ist daher mit dieser vereinbar. Insbesondere achten die angefochtenen Bestimmungen den Wesensgehalt der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit. Zwar können die Behörden im Hinblick auf die besondere Bedeutung des Internets für diese Freiheit die Online-Vermittler nicht dazu verpflichten, die über ihre Dienste geteilten oder übertragenen Inhalte generell nach unzulässigen oder unerwünschten Informationen jeglicher Art zu durchsuchen, doch der Unionsgesetzgeber kann - wie hier - die Entscheidung treffen, bestimmten Online-Vermittlern bestimmte Maßnahmen zur Überwachung ganz bestimmter unzulässiger Informationen vorzuschreiben. Art. 17 der Richtlinie 2019/790 entspricht einer von der Union anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzung, da mit ihm ein wirksamer Schutz geistigen Eigentums sichergestellt werden soll.

Im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit steht dem Unionsgesetzgeber ein weites Ermessen zu, um die Freiheit der Meinungsäußerung und die Rechte der Inhaber des geistigen Eigentums miteinander in Einklang zu bringen. Somit konnte der Gesetzgeber die Entscheidung treffen, die für Anbieter von Online-Diensten geltende Haftungsregelung, die sich ursprünglich aus der Richtlinie 2000/31 über den elektronischen Geschäftsverkehr ergeben hat, dahin zu ändern, dass bestimmten Anbietern Überwachungspflichten auferlegt werden. Gleichwohl birgt diese neue Regelung eine Gefahr des Overblockings zulässiger Informationen. Die Anbieter von Online-Sharing-Diensten könnten, um jegliches Risiko einer Haftung gegenüber den Rechteinhabern zu vermeiden, dazu neigen, systematisch das Hochladen aller Inhalte zu verhindern, bei denen von den Rechteinhabern benannte Schutzgegenstände wiedergegeben werden, einschließlich der Inhalte mit einer zulässigen, etwa durch Ausnahmen und Beschränkungen des Urheberrechts gedeckten, Nutzung dieser Gegenstände. Durch den Einsatz von Tools zur automatischen Inhaltserkennung steigt diese Gefahr, weil die Tools nicht in der Lage sind, den Kontext zu verstehen, in dem ein solcher Schutzgegenstand wiedergegeben wird. Der Unionsgesetzgeber musste also ausreichende Schutzvorkehrungen treffen, um diese Gefahr zu minimieren.

Solche Vorkehrungen wurde aber in Art. 17 der Richtlinie 2019/790 getroffen. Zum einen hat der Unionsgesetzgeber für Nutzer von Online-Sharing-Diensten das Recht begründet, zulässige Nutzungen der Schutzgegenstände vorzunehmen; dazu gehört auch das Recht, die Ausnahmen und Beschränkungen des Urheberrechts in Anspruch zu nehmen. Die Anbieter dieser Dienste dürfen, damit dieses Recht wirksam ist, nicht präventiv alle Inhalte sperren, die von den Rechteinhabern benannte Schutzgegenstände wiedergeben, einschließlich zulässiger Inhalte. Nach einer solchen präventiven Sperrung den Nutzern im Rahmen eines Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahrens die Möglichkeit einzuräumen, ihre zulässigen Inhalte erneut hochzuladen, wäre nicht ausreichend. Zum anderen hat der Unionsgesetzgeber betont, dass Art. 17 der Richtlinie 2019/790 den Anbietern von Sharing-Diensten keine Pflicht zur allgemeinen Überwachung auferlegen darf. Daher dürfen diese Anbieter nicht zu Schiedsrichtern der Online-Rechtmäßigkeit gemacht werden, die komplizierte Fragen des Urheberrechts entscheiden müssen.

Folglich müssen die Anbieter von Sharing-Diensten nur solche Inhalte ausfindig machen und sperren, die mit von den Rechteinhabern benannten Schutzgegenständen identisch sind oder diesen entsprechen, d.h. Inhalte, deren Unzulässigkeit im Hinblick auf die von den Rechteinhabern bereitgestellten Informationen als offenkundig angesehen werden kann. Dagegen dürften in allen zweifelhaften Situationen - bei kurzen Auszügen eines Werks, die in einen längeren Inhalt eingebaut sind, bei transformativen Werken usw. -, in denen insbesondere die Anwendung von Ausnahmen und Beschränkungen des Urheberrechts berechtigterweise in Betracht kommen könnte, die betreffenden Inhalte nicht präventiv gesperrt werden. Die Gefahr eines Overblocking ist damit minimiert. Die Rechteinhaber müssen die Entfernung und Sperrung der betreffenden Inhalte mittels eines begründeten Hinweises beantragen oder sogar ein Gericht anrufen, damit dieses über die Zulässigkeit der Inhalte entscheidet und, falls sie unzulässig sein sollten, deren Entfernung und Sperrung anordnet.
EuGH PM Nr. 138 vom 15.7.2021
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