28.11.2016

Zur Kenntnis des Anfechtungsgegners hinsichtlich der Zugehörigkeit der empfangenen unentgeltlichen Leistung zu der den Gläubigern haftenden Vermögensmasse

Sind dem Anfechtungsgegner Umstände bekannt, die mit auffallender Deutlichkeit dafür sprechen und deren Kenntnis auch einem Empfänger mit durchschnittlichem Erkenntnisvermögen ohne gründliche Überlegung die Annahme nahe legt, dass die Befriedigung der Gläubiger infolge der Freigiebigkeit verkürzt ist, muss er den Umständen nach wissen, dass die empfangene Leistung die Gläubiger benachteiligt. Die Kenntnis des Anfechtungsgegners muss sich über die Zugehörigkeit der empfangenen unentgeltlichen Leistung zu der den Gläubigern haftenden Vermögensmasse hinaus nicht auf weitere Umstände erstrecken.

BGH 8.9.2016, IX ZR 151/14
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Antrag vom 9.10.2009 am 8.4.2010 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der S-Betriebsgesellschaft mbH (Schuldnerin). Die Finanzverwaltung des beklagten Landes beantragte erstmals am 19.2.2009 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Geschäftsführers und Alleingesellschafters der Schuldnerin, S, aufgrund rückständiger Steuerforderungen i.H.v. rd. 44.000 €.

Am 31.3.2009 überwies S einen Betrag i.H.v. 10.000 € mit der Angabe "Darlehen" als Verwendungszweck sowie eine als "Stammeinlage" bezeichnete Summe i.H.v. 25.000 € auf das Konto der Schuldnerin. Am selben Tag überwies die Schuldnerin einen Betrag i.H.v. 33.000 € auf die Steuerschuld ihres Alleingesellschafters. Dieser legte dem beklagten Land anschließend eine den Überweisungsvorgang abbildende Bankbestätigung vor, auf welcher der Gesellschaftszusatz der Schuldnerin nur unvollständig abgedruckt war. Daraufhin erklärte der Beklagte am 1.4.2009 den Insolvenzantrag für erledigt.

Nachdem auf Antrag vom 9.4.2010 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des S eröffnet worden war, forderte die in jenem Verfahren bestellte Verwalterin von dem beklagten Land die Rückgewähr der am 31.3.2009 geleisteten Zahlungen unter dem Gesichtspunkt der Vorsatzanfechtung. Der Beklagte zahlte daraufhin am 22.3.2011 einen Betrag i.H.v. 33.000 € an die Verwalterin. Der Kläger nahm den Beklagten zunächst auf Rückgewähr der seitens der Schuldnerin geleisteten Zahlung i.H.v. 25.000 € aus § 134 Abs. 1 InsO in Anspruch.

Das LG wies die Klage ab. Das OLG wies die auf Rückzahlung eines Betrages von jetzt 23.000 € gerichtete Berufung zurück. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Der Beklagte kann sich gegenüber einem möglichen Anspruch des Klägers aus § 134 Abs. 1 InsO nicht auf einen Wegfall der Bereicherung gem. § 143 Abs. 2 InsO berufen. Spätestens zum Zeitpunkt der Zahlung an die Verwalterin am 22.3.2011 musste der Beklagte zumindest den Umständen nach wissen, dass die ihm gewährte unentgeltliche Leistung die Gläubiger der Schuldnerin benachteiligt (§ 143 Abs. 2 S. 2 InsO).

Der Empfänger einer unentgeltlichen Leistung, der nicht einmal nach den Umständen wissen muss, dass diese die Gläubiger benachteiligt, haftet gem. § 143 Abs. 2 S. 1 InsO nicht dafür, dass er den Gegenstand oder die gezogenen Nutzungen aufgrund seines Verschuldens nicht mehr oder nur in seinem Wert gemindert herausgeben kann oder dass er Nutzungen schuldhaft nicht gezogen hat. Seine Rückgewährpflicht entspricht der Verpflichtung eines Bereicherungsschuldners. Eine Entreicherung ist vorliegend nicht von vornherein ausgeschlossen. Zwar ist davon auszugehen, dass dem Beklagten, der den vermeintlichen Anfechtungsanspruch der Insolvenzverwalterin über das Vermögen des S erfüllt hat, ein Rückforderungsanspruch zusteht. Insoweit ist revisionsrechtlich zu unterstellen, dass eine etwaige, als Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO geltend zu machende Bereicherungsforderung des Beklagten mangels ausreichender Insolvenzmasse nicht berichtigt werden kann und somit wertlos ist.

Die zugunsten des Empfängers einer unentgeltlichen Leistung wirkende Haftungserleichterung entfällt gem. § 143 Abs. 2 S. 2 InsO jedoch, wenn dieser weiß oder den Umständen nach wissen muss, dass die Zuwendung die Gläubiger benachteiligt. Die im Hinblick auf die Gläubigerbenachteiligung bestehende Unkenntnis des Anfechtungsgegners muss hierbei vom Zeitpunkt der Leistungsvornahme bis zum Wegfall der Bereicherung andauern. Beweispflichtig für die Kenntnis des Anfechtungsgegners ist der anfechtende Insolvenzverwalter. Die Kenntnis des Anfechtungsgegners nach § 143 Abs. 2 S. 2 InsO muss sich auf die aus der Zuwendung der unentgeltlichen Leistung folgende Gläubigerbenachteiligung beziehen.

Aus dem eindeutigen Wortlaut des § 143 Abs. 2 S. 2 InsO folgt, dass sich die Kenntnis des Anfechtungsgegners über die Zugehörigkeit der empfangenen unentgeltlichen Leistung zu der den Gläubigern haftenden Vermögensmasse des Schuldners hinaus nicht auf weitere Umstände erstrecken muss. Das gilt insbesondere, wenn die Entreicherung durch die Erfüllung eines vermeintlichen Anfechtungsanspruchs im Deckungsverhältnis eingetreten ist. Auch in diesem - hier gegebenen - Fall kommt es allein auf die Kenntnis davon an, dass die empfangenen Mittel aus dem den Gläubigern des Zuwendenden haftenden Vermögen stammen.

Der Anfechtungsgegner muss nach § 143 Abs. 2 S. 2 InsO die Umstände kennen, die auf eine Benachteiligung der Gläubiger schließen lassen. Die Vorschrift ähnelt § 130 Abs. 2 InsO, verzichtet aber anders als dort auf das Merkmal "zwingend". Deshalb muss der Empfänger einer unentgeltlichen Leistung regelmäßig bereits den Umständen nach um die Gläubigerbenachteiligung wissen, wenn ihm Tatsachen bekannt sind, die mit auffallender Deutlichkeit dafür sprechen und deren Kenntnis auch einem Empfänger mit durchschnittlichem Erkenntnisvermögen ohne gründliche Überlegung die Annahme nahe legt, dass die Befriedigung der Gläubiger infolge der Freigiebigkeit verkürzt wird.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung ist auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
  • Um direkt zum Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.
BGH online
Zurück