28.11.2012

Zur Patentierung neuraler Vorläuferzellen

Ein Patent, das sog. neurale Vorläuferzellen und ihre Verwendung zur Therapie von neuralen Defekten bei Tieren und Menschen betrifft, ist nichtig, soweit Vorläuferzellen aus menschlichen embryonalen Stammzellen umfasst sind, bei deren Gewinnung Embryonen zerstört worden sind. Der Patentschutz bleibt jedoch bestehen, soweit menschliche embryonale Stammzellen durch andere Methoden gewonnen werden.

BGH 27.11.2012, X ZR 58/07
Der Sachverhalt:
Das streitgegenständliche Patent wurde im Dezember 1997 angemeldet und vom Deutschen Patent- und Markenamt im April 1999 erteilt. Es betrifft sog. neurale Vorläuferzellen und ihre Verwendung zur Therapie von neuralen Defekten bei Tieren und Menschen. Nach den Ausführungen in der Patentschrift stellt die Behandlung mit Vorläuferzellen eine Alternative zu der im Stand der Technik bekannten Transplantation von Nervenzellen dar, die vorwiegend aus dem embryonalen Gehirn gewonnen werden.

Als Ausgangsmaterial für die vom Patent geschützten Vorläuferzellen dienen demgegenüber embryonale Stammzellen. Diese können laut Patentschrift u.a. aus Embryonen in einem frühen Entwicklungsstadium gewonnen werden. Die Embryonen werden dabei zerstört. Der Kläger, Greenpeace e.V., erhob gegen den Patentinhaber Prof. Dr. Brüstle Nichtigkeitsklage im Hinblick auf Zellen, die aus menschlichen embryonalen Stammzellen gewonnen werden. Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Das BPatG gab der Klage gestützt auf § 2 Abs. 2 PatG und die gleichlautende Regelung in Art. 6 der Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den Schutz biotechnologischer Erfindungen überwiegend statt und erklärte das Patent für nichtig, soweit es Zellen umfasst, die aus embryonalen Stammzellen von menschlichen Embryonen gewonnen werden. Gegen die Entscheidung legte der Patentinhaber Berufung ein.

Der BGH holte zur Auslegung von Art. 6 der Richtlinie eine Vorabentscheidung des EuGH ein. Dieser entschied mit Urteil vom 18.10.2011 (C-34/10) u.a., dass jede menschliche Eizelle vom Stadium ihrer Befruchtung an ein "menschlicher Embryo" im Sinne der Richtlinie ist, dass der Patentierungsausschluss sich auch auf die Verwendung von menschlichen Embryonen zu Zwecken der wissenschaftlichen Forschung bezieht und dass eine Erfindung nach Art. 6 der Richtlinie auch dann von der Patentierung ausgeschlossen ist, wenn in der Beschreibung der beanspruchten technischen Lehre die Verwendung menschlicher Embryonen nicht erwähnt ist, die technische Lehre, die Gegenstand des Patentantrags ist, aber die vorhergehende Zerstörung menschlicher Embryonen oder deren Verwendung als Ausgangsmaterial erfordert.

Der Patentinhaber verteidigte sein Patent auch nach dieser Entscheidung in vollem Umfang. Hilfsweise beantragte er, das Patent in geringerem Umfang für nichtig zu erklären, als das BPatG dies getan hat. Der BGH gab dem Hilfsantrag des Patentinhabers statt und wies die weitergehende Berufung zurück.

Die Gründe:
Das Patent ist nichtig, soweit Vorläuferzellen aus menschlichen embryonalen Stammzellen umfasst sind, bei deren Gewinnung Embryonen zerstört worden sind. Der Patentschutz bleibt jedoch bestehen, soweit menschliche embryonale Stammzellen durch andere Methoden gewonnen werden.

Das Patent hat im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH in der erteilten Fassung keinen Bestand, weil anderenfalls der mit § 2 PatG nicht vereinbare Eindruck vermittelt würde, die in der Beschreibung mehrfach erwähnte Gewinnung von menschlichen embryonalen Stammzellen aus Embryonen sei von der Patentierung mit umfasst und werde dadurch vom Staat gebilligt.

Die mit dem Hilfsantrag verteidigte eingeschränkte Fassung ist hingegen nicht von der Patentierung ausgeschlossen. Hierfür ist als ausreichend anzusehen, dass es Methoden gibt, mit der menschliche embryonale Stammzellen ohne Zerstörung von Embryonen gewonnen werden können. In diesem Kontext ist es zulässig, dass der Patentinhaber den Patentanspruch mit einer allgemein gefassten Einschränkung versieht, ohne dass es näherer Klärung bedarf, ob es noch weitere gangbare Wege gibt, auf denen menschliche embryonale Stammzellen ohne Zerstörung von Embryonen gewonnen werden können.

Der Einsatz von menschlichen embryonalen Stammzellen als solchen ist nicht als Verwendung von Embryonen im Sinne der Richtlinie zu qualifizieren. Stammzellen weisen nicht die Fähigkeit auf, den Prozess der Entwicklung eines Menschen in Gang zu setzen. Dass sie unter Umständen durch Kombination mit bestimmten anderen Zellen in einen Zustand versetzt werden können, in dem sie über die genannte Fähigkeit verfügen, reicht nicht aus, um sie schon vor einer solchen Behandlung als Embryonen ansehen zu können.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
  • Für die Pressemitteilung des BGH klicken Sie bitte hier.
BGH PM Nr. 198 vom 27.11.2012
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