08.01.2015

Zur Pfändung des Anspruchs des Arbeitnehmers auf Auszahlung der Versicherungssumme aus einer Direktversicherung

Der BGH hat sich vorliegend mit der Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen eine vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgebrachte Pfändung des erst nach Aufhebung des Verfahrens entstehenden Anspruchs des Arbeitnehmers auf Auszahlung der Versicherungssumme aus einer Direktversicherung i.S.d. § 1b Abs. 2 S. 1 BetrAVG insolvenzfest ist.

BGH 11.12.2014, IX ZB 69/12
Der Sachverhalt:
Wegen einer Hauptforderung i.H.v. 80.000 € nebst Zinsen und Kosten erwirkte der Gläubiger am 16.8.2005 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss gegen die Schuldnerin. Gepfändet wurden Ansprüche der Schuldnerin auf die Versicherungssumme aus zwei mit der Drittschuldnerin geschlossenen Lebensversicherungsverträgen. Die Pfändung bezog "künftig fällig werdende Ansprüche" sowie "das Recht auf Kündigung und Umwandlung der Versicherung" ein.

Bei den Lebensversicherungsverträgen handelte es sich um Direktversicherungen i.S.d. § 1b Abs. 2 S. 1 BetrAVG, welche der Arbeitgeber der Schuldnerin abgeschlossen hatte. Der Erlebensfall sollte am 31.1.2014 und am 30.4.2014 eintreten und sah jeweils eine Kapitalleistung der Drittschuldnerin vor. Am 23.3.2006 wurde über das Vermögen der Schuldnerin ein Insolvenzverfahren eröffnet. Nachdem die Schuldnerin am 31.3.2009 aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden war, bezog sie am 9.7.2009 eine Rente der D. und eine solche ihres ehemaligen Arbeitsgebers. Spätestens am 29.11.2010 begann die Wohlverhaltensphase zur Erlangung der Restschuldbefreiung.

Mit Vollstreckungserinnerung von diesem Tag wandte sich die Schuldnerin gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 16.8.2005. Die Erinnerung blieb erfolglos. Auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin erhielt das LG den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss mit der Maßgabe aufrecht, dass (nur) die zukünftigen Ansprüche der Schuldnerin auf Auszahlung der Versicherungssummen gepfändet und dem Gläubiger zur Einziehung überwiesen werden. Die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Nach der Rechtsprechung des BGH ist der Anspruch des Arbeitnehmers auf Auszahlung der Versicherungssumme aus einer Direktversicherung i.S.v. § 1b Abs. 2 S. 1 BetrAVG bereits vor Eintritt des Versicherungsfalls als zukünftige Forderung pfändbar. Auch § 91 Abs. 1 InsO vermag die Aufhebung des vom LG auf die zukünftigen Ansprüche der Schuldnerin auf Auszahlung der Versicherungssummen beschränkten Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses nicht zu begründen.

Nach § 91 Abs. 1 InsO können nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Rechte an den Gegenständen der Insolvenzmasse nicht wirksam erworben werden, auch wenn keine Verfügung des Schuldners und keine Zwangsvollstreckung für einen Insolvenzgläubiger zugrunde liegt. Wird eine künftige Forderung gepfändet, entsteht das Pfandrecht erst mit der Begründung der voraus gepfändeten Forderung. Wegen § 91 Abs. 1 InsO kann in diesem Fall der Pfandgläubiger an der Forderung zu Lasten der Masse kein Pfandrecht erwerben. Dies gilt auch für die Pfändung einer aufschiebend bedingten Forderung. § 91 Abs. 1 InsO schont jedoch solche Erwerbsanwärter, die bereits eine gesicherte Rechtsstellung an dem Erwerbsgegenstand erworben haben. Wenn der Pfandrechtsgläubiger schon vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine gesicherte Rechtsposition hinsichtlich der gepfändeten Forderung erlangt hat, ist die Pfändung insolvenzfest.

Diese Grundsätze gelten auch für die Pfändung des Anspruchs des Arbeitnehmers auf Auszahlung der Versicherungssumme aus einer Direktversicherung i.S.v. § 1b Abs. 2 S. 1 BetrAVG. Im Streitfall fehlt es schon an einem Rechtserwerb nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Die Regelungen der §§ 80 ff InsO gelten nur für die Dauer und die Zwecke des Insolvenzverfahrens. Über den Wortlaut des § 91 Abs. 1 InsO hinaus reicht ein Rechtserwerb irgendwann nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens deshalb nicht aus; er muss vielmehr vor Beendigung des Verfahrens erfolgen. Eine Anwendung des § 91 Abs. 1 InsO nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens kommt nur in Betracht, wenn und soweit es sich um einen der Nachtragsverteilung nach § 203 Abs. 1 InsO unterliegenden Gegenstand der Masse handelt.

Vorliegend begann spätestens im Zeitpunkt der Einlegung der Vollstreckungserinnerung am 29.11.2010 die Wohlverhaltensphase. Dies setzt eine vorherige Beendigung des Insolvenzverfahrens voraus. Ein durch § 91 Abs. 1 InsO möglicherweise gesperrter Pfändungspfandrechtserwerb hätte sich daher nach Verfahrenseröffnung und vor dem 29.11.vollziehen müssen. Davon ist nach den Feststellungen des LG nicht auszugehen.

Ob es zu einem Rechtserwerb der Schuldnerin nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gekommen ist, beurteilt sich nach den Regelungen des Versicherungsvertrags. Vorausgesetzt ist der Eintritt eines die Schuldnerin berechtigenden Versicherungsfalls vor der Beendigung des Insolvenzverfahrens. Nach den Feststellungen des LG sollte der jeweilige Erlebensfall erst im Laufe des Jahrs 2014 eintreten, mithin nach Beendigung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin. Ein früherer Eintritt des Versicherungsfalls ist nicht ersichtlich. Zu Unrecht verweist die Rechtsbeschwerde auf § 6 BetrAVG. Diese Bestimmung regelt das arbeitsrechtliche Versorgungsverhältnis, schafft jedoch keinen Versicherungsfall i.S.d. § 159 VVG.

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