Zur Reichweite der Gesetzlichkeitsfiktion des Musters für die Widerrufsbelehrung
BGH v. 26.11.2019 - XI ZR 307/18
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs der auf den Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärung der Klägerin. Die Klägerin und ihr Ehemann schlossen im Juli 2005 mit der Beklagten einen Darlehensvertrag über 154.000 € mit einem bis zum 31.7.2015 festen Nominalzinssatz von 4,41 % p.a. Zur Sicherung der Ansprüche der Beklagten aus dem Darlehensvertrag diente eine Grundschuld.
Bei Abschluss des Darlehensvertrags belehrte die Beklagte die Klägerin und ihren Ehemann über ihr Widerrufsrecht, wobei sich an das auf zwei Seiten abgedruckte Belehrungsformular eine weitere Seite "Hinweis auf zu leistenden Wertersatz im Falle des Widerrufs des Darlehens und Zustimmung zur Auszahlung des Darlehens vor Ablauf der Widerrufsfrist" anschloss. Die Klägerin und ihr Ehemann erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen. Unter dem 8.2.2016 widerriefen sie ihre auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen.
Das LG stellte antragsgemäß fest, dass sich der Darlehensvertrag durch den Widerruf vom 8.2.2016 in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt habe. Dagegen legte die Beklagte Berufung ein. Die Klägerin stellte in der mündlichen Verhandlung vor dem OLG den neuen Antrag festzustellen, dass der Beklagten aus dem näher bezeichneten Darlehensvertrag aufgrund des Widerrufs vom 8.2.2016 mit dessen Zugang "keine Ansprüche mehr auf den Vertragszins und die vertragsgemäße Tilgung" zustünden. Das OLG wies daraufhin die Berufung der Beklagten "mit der Maßgabe zurück", dass es dem Antrag der Klägerin in der zuletzt gestellten Form entsprochen hat.
Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Klage ab.
Die Gründe:
Mit Rechtsfehlern behaftet ist die Annahme des OLG, die Beklagte, die die Klägerin mittels der Verwendung des Wortes "frühestens" gesetzeswidrig belehrte, könne sich nicht auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Musters für die Widerrufsbelehrung gem. Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 und 3 der BGB-InfoV in der hier maßgeblichen, bis zum 31.3.2008 geltenden Fassung (a.F.) berufen. Vielmehr kommt der Beklagten diese Gesetzlichkeitsfiktion zugute, so dass die Widerrufsfrist bei Erklärung des Widerrufs abgelaufen war und der Widerruf der Klägerin ins Leere ging.
§ 14 Abs. 1 BGB-InfoV in der hier maßgeblichen, bis zum 10.6.2010 geltenden Fassung (a.F.) knüpft die Gesetzlichkeitsfiktion an die Bedingung, dass "das Muster der Anlage 2 in Textform verwandt wird". Nach § 14 Abs. 3 BGB-InfoV a.F. darf der Unternehmer allerdings, sofern er das vom Verordnungsgeber geschaffene Muster für die Widerrufsbelehrung verwendet, "in Format und Schriftgröße von dem Muster abweichen und Zusätze wie die Firma oder ein Kennzeichen des Unternehmers anbringen". Damit definiert § 14 Abs. 3 BGB-InfoV a.F. in den Grenzen der Verordnungsermächtigung die Grenze der für den Erhalt der Gesetzlichkeitsfiktion unschädlichen Abweichungen. Entsprechend kann sich der Unternehmer auf die Schutzwirkungen des § 14 Abs. 1 BGB-InfoV a.F. berufen, wenn er gegenüber dem Verbraucher ein Formular verwendet, das dem Muster für die Widerrufsbelehrung in der jeweils maßgeblichen Fassung in den Grenzen des § 14 Abs. 3 BGB-InfoV a.F. sowohl inhaltlich als auch in der äußeren Gestaltung vollständig entspricht. Unterzieht der Unternehmer dagegen das vom Verordnungsgeber entworfene Muster einer eigenen inhaltlichen Bearbeitung, die über das nach § 14 Abs. 3 BGB-InfoV a.F. Erlaubte hinausgeht, verliert er die Schutzwirkung des § 14 Abs. 1 BGB-InfoV a.F.
Hier hat die Beklagte das Muster für die Widerrufsbelehrung nicht über das nach § 14 Abs. 3 BGB-InfoV a.F. erlaubte Maß hinaus bearbeitet. Der Beklagten kam die Gesetzlichkeitsfiktion zugute, obwohl sie zwischen der Überschrift "Widerrufsbelehrung" und der Überschrift "Widerrufsrecht" einen Zwischentext eingefügt hat, der ihre frühere Firma, die "Finanzprojekt-Nummer", Name und Anschrift der Darlehensnehmer und das Datum des "Darlehensvertragsangebot[s]" enthielt. Die Gesetzlichkeitsfiktion bleibt erhalten, wenn der Unternehmer die Widerrufsbelehrung im Text einem konkreten Verbrauchervertrag zuordnet. Darin erschöpfen sich die von der Beklagten eingefügten Zusätze, die entgegen der Annahme des OLG nicht zu der Fehlvorstellung verleiten, die Widerrufsfrist beginne bereits mit der (ersten) Vertragserklärung des Darlehensgebers.
Ebenfalls ändert es an dem Eingreifen der Gesetzlichkeitsfiktion nichts, dass die Beklagte im Anschluss an die Widerrufsbelehrung auf einer gesonderten Seite einen "Hinweis" in das Vertragsformular übernahm, der den zu leistenden Wertersatz im Falle des Widerrufs der auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärung näher umschrieb und der Klägerin und ihrem Ehemann die Zustimmung zur Auszahlung des Darlehens vor Ablauf der Widerrufsfrist abverlangte. Dieser "Hinweis" war von der für sich in der Kopfzeile mit "Seite 1 von 2" und "Seite 2 von 2" paginierten und mit der Unterschrift der Klägerin und ihres Ehemanns abgeschlossenen Widerrufsbelehrung räumlich klar getrennt. Wie aus dem Verlangen nach einer gesonderten Unterschrift unter dem mit "Zustimmung" eingeleiteten Satz ersichtlich, zielte er primär auf ein aktives Tun eine eigene rechtsgeschäftliche Erklärung des Darlehensnehmers und nicht auf die passive Entgegennahme weiterer das Widerrufsrecht betreffender Informationen. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass eine inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Widerrufsbelehrung nicht dadurch undeutlich wird, dass die Vertragsunterlagen an anderer Stelle einen Zusatz enthalten. Wird die Gesetzlichkeit fingiert, gilt, weil auch dann die Widerrufsbelehrung als solche als gesetzeskonform zu behandeln ist, gleiches.
BGH online
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs der auf den Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärung der Klägerin. Die Klägerin und ihr Ehemann schlossen im Juli 2005 mit der Beklagten einen Darlehensvertrag über 154.000 € mit einem bis zum 31.7.2015 festen Nominalzinssatz von 4,41 % p.a. Zur Sicherung der Ansprüche der Beklagten aus dem Darlehensvertrag diente eine Grundschuld.
Bei Abschluss des Darlehensvertrags belehrte die Beklagte die Klägerin und ihren Ehemann über ihr Widerrufsrecht, wobei sich an das auf zwei Seiten abgedruckte Belehrungsformular eine weitere Seite "Hinweis auf zu leistenden Wertersatz im Falle des Widerrufs des Darlehens und Zustimmung zur Auszahlung des Darlehens vor Ablauf der Widerrufsfrist" anschloss. Die Klägerin und ihr Ehemann erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen. Unter dem 8.2.2016 widerriefen sie ihre auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen.
Das LG stellte antragsgemäß fest, dass sich der Darlehensvertrag durch den Widerruf vom 8.2.2016 in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt habe. Dagegen legte die Beklagte Berufung ein. Die Klägerin stellte in der mündlichen Verhandlung vor dem OLG den neuen Antrag festzustellen, dass der Beklagten aus dem näher bezeichneten Darlehensvertrag aufgrund des Widerrufs vom 8.2.2016 mit dessen Zugang "keine Ansprüche mehr auf den Vertragszins und die vertragsgemäße Tilgung" zustünden. Das OLG wies daraufhin die Berufung der Beklagten "mit der Maßgabe zurück", dass es dem Antrag der Klägerin in der zuletzt gestellten Form entsprochen hat.
Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Klage ab.
Die Gründe:
Mit Rechtsfehlern behaftet ist die Annahme des OLG, die Beklagte, die die Klägerin mittels der Verwendung des Wortes "frühestens" gesetzeswidrig belehrte, könne sich nicht auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Musters für die Widerrufsbelehrung gem. Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 und 3 der BGB-InfoV in der hier maßgeblichen, bis zum 31.3.2008 geltenden Fassung (a.F.) berufen. Vielmehr kommt der Beklagten diese Gesetzlichkeitsfiktion zugute, so dass die Widerrufsfrist bei Erklärung des Widerrufs abgelaufen war und der Widerruf der Klägerin ins Leere ging.
§ 14 Abs. 1 BGB-InfoV in der hier maßgeblichen, bis zum 10.6.2010 geltenden Fassung (a.F.) knüpft die Gesetzlichkeitsfiktion an die Bedingung, dass "das Muster der Anlage 2 in Textform verwandt wird". Nach § 14 Abs. 3 BGB-InfoV a.F. darf der Unternehmer allerdings, sofern er das vom Verordnungsgeber geschaffene Muster für die Widerrufsbelehrung verwendet, "in Format und Schriftgröße von dem Muster abweichen und Zusätze wie die Firma oder ein Kennzeichen des Unternehmers anbringen". Damit definiert § 14 Abs. 3 BGB-InfoV a.F. in den Grenzen der Verordnungsermächtigung die Grenze der für den Erhalt der Gesetzlichkeitsfiktion unschädlichen Abweichungen. Entsprechend kann sich der Unternehmer auf die Schutzwirkungen des § 14 Abs. 1 BGB-InfoV a.F. berufen, wenn er gegenüber dem Verbraucher ein Formular verwendet, das dem Muster für die Widerrufsbelehrung in der jeweils maßgeblichen Fassung in den Grenzen des § 14 Abs. 3 BGB-InfoV a.F. sowohl inhaltlich als auch in der äußeren Gestaltung vollständig entspricht. Unterzieht der Unternehmer dagegen das vom Verordnungsgeber entworfene Muster einer eigenen inhaltlichen Bearbeitung, die über das nach § 14 Abs. 3 BGB-InfoV a.F. Erlaubte hinausgeht, verliert er die Schutzwirkung des § 14 Abs. 1 BGB-InfoV a.F.
Hier hat die Beklagte das Muster für die Widerrufsbelehrung nicht über das nach § 14 Abs. 3 BGB-InfoV a.F. erlaubte Maß hinaus bearbeitet. Der Beklagten kam die Gesetzlichkeitsfiktion zugute, obwohl sie zwischen der Überschrift "Widerrufsbelehrung" und der Überschrift "Widerrufsrecht" einen Zwischentext eingefügt hat, der ihre frühere Firma, die "Finanzprojekt-Nummer", Name und Anschrift der Darlehensnehmer und das Datum des "Darlehensvertragsangebot[s]" enthielt. Die Gesetzlichkeitsfiktion bleibt erhalten, wenn der Unternehmer die Widerrufsbelehrung im Text einem konkreten Verbrauchervertrag zuordnet. Darin erschöpfen sich die von der Beklagten eingefügten Zusätze, die entgegen der Annahme des OLG nicht zu der Fehlvorstellung verleiten, die Widerrufsfrist beginne bereits mit der (ersten) Vertragserklärung des Darlehensgebers.
Ebenfalls ändert es an dem Eingreifen der Gesetzlichkeitsfiktion nichts, dass die Beklagte im Anschluss an die Widerrufsbelehrung auf einer gesonderten Seite einen "Hinweis" in das Vertragsformular übernahm, der den zu leistenden Wertersatz im Falle des Widerrufs der auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärung näher umschrieb und der Klägerin und ihrem Ehemann die Zustimmung zur Auszahlung des Darlehens vor Ablauf der Widerrufsfrist abverlangte. Dieser "Hinweis" war von der für sich in der Kopfzeile mit "Seite 1 von 2" und "Seite 2 von 2" paginierten und mit der Unterschrift der Klägerin und ihres Ehemanns abgeschlossenen Widerrufsbelehrung räumlich klar getrennt. Wie aus dem Verlangen nach einer gesonderten Unterschrift unter dem mit "Zustimmung" eingeleiteten Satz ersichtlich, zielte er primär auf ein aktives Tun eine eigene rechtsgeschäftliche Erklärung des Darlehensnehmers und nicht auf die passive Entgegennahme weiterer das Widerrufsrecht betreffender Informationen. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass eine inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Widerrufsbelehrung nicht dadurch undeutlich wird, dass die Vertragsunterlagen an anderer Stelle einen Zusatz enthalten. Wird die Gesetzlichkeit fingiert, gilt, weil auch dann die Widerrufsbelehrung als solche als gesetzeskonform zu behandeln ist, gleiches.