Zur Schadensfeststellung bei betrügerischer Kapitalerhöhung
BGH 14.4.2011, 2 StR 616/10Nach den Feststellungen des LG hatte der Angeklagte Ende der 1990er Jahre die Idee entwickelt, durch den "Verkauf von Aktien" Geld für einen von ihm geplanten Windkraftpark zu gewinnen. Deshalb erwarb er im Jahr 2001 die nicht börsennotierte, vermögenslose L-AG als Alleinaktionär und wurde deren alleiniger Vorstand. Den Aufsichtsrat ersetzte er durch ihm nahestehende Personen. Geld verschaffte sich der Angeklagte, indem er mehrfach das Grundkapital der L-AG gegen Bareinlage im Wege der Ausgabe von Vorzugsaktien erhöhte bzw. zu erhöhen vorgab.
Zwischen 2002 und 2005 ließ er die Aktien durch Telefonverkäufer an Privatanleger vertreiben. Die L-AG nahm dabei rund 8,2 Mio € ein, wovon der Angeklagte in seiner Funktion als Vorstand 7,7 Mio. € entnahm, um seinen eigenen Lebensunterhalt zu finanzieren. An die Telefonverkäufer zahlte er Provisionen i.H.v. 12 % der jeweiligen Anlagesumme. Die meisten Anleger erhielten vor allem zu Beginn Dividendenzahlungen in zwei- bis fünfstelliger Höhe.
Letztlich wurde nur die erste Kapitalerhöhung im September 2002 mit einem Betrag von 1,5 Mio. € in das Handelsregister eingetragen. Die Eintragung weiterer Kapitalerhöhungen unterblieb, da die an die L-AG geleisteten Einlagezahlungen dem Handelsregister aufgrund der Entnahmen des Angeklagten nicht nachgewiesen werden konnten. Ein operatives Geschäft entfaltete der Angeklagte zunächst nicht. Lediglich im Dezember 2002 kam es zum einzigen Immobilienerwerb der L-AG, als sie Anteile an einer Hotel-Kette übernahm. Um eine Insolvenz der L-AG zu verhindern, ließ der Angeklagte den Vertrieb von Vorzugsaktien fortsetzen. In den Zeichnungsscheinen der Anleger ließ er mit fiktiven Daten zwei weitere Kapitalerhöhungsbeschlüsse ausweisen, die tatsächlich nie gefasst worden waren.
Mitte 2006 wurden den Anlegern gegen Rückgabe von L-Vorzugsaktien im Verhältnis 3:2 Vorzugsaktien einer amerikanischen Gesellschaft (DSI) angeboten. Im Gegenzug sollten mit der Übertragung der Aktien sämtliche Ansprüche gegen die L-AG abgegolten sein. Nahezu alle Anleger nahmen das Angebot an. Zum Übertragungszeitpunkt betrug der Kurswert der DSI-Aktie 8,50 €, nach Ablauf der Haltefrist von 12 Monaten 2,50 €.
Das LG verurteilte den Angeklagten wegen Betrugs in 78 rechtlich zusammenfallenden Fällen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren. Auf die Revision des Angeklagten hob der BGH das Urteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG zurück.
Die Gründe:
Die Verurteilung wegen Betrugs hielt der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, da es an der hinreichenden Feststellung eines Vermögensschadens fehlte.
Ein Schaden in Höhe der jeweiligen Anlagesumme - wovon das LG trotz Annahme eines Vermögensgefährdungsschadens offenbar ausging - konnte nur dann bestehen, wenn die Aktie zum jeweiligen Zeichnungszeitpunkt wertlos war. Anfang 2002 könnte dies der Fall gewesen sein, da zunächst kein operatives Geschäft betrieben wurde und die Dividendenzahlungen in erster Linie als Anreiz für den Erwerb weiterer Aktienpakete dienten. Die Tatsache, dass bei der einzigen eingetragenen Kapitalerhöhung Anlagegelder von 1,5 Mio. € nachgewiesen werden konnten und somit Barvermögen vorhanden war, könnte allerdings gegen die vollständige Wertlosigkeit der gezeichneten Aktien sprechen.
Ob die durch Täuschung veranlasste Zeichnung von Aktien zur Anfangszeit mit den Fällen sog. Schneeball-Systeme vergleichbar sein könnte, brauchte hier nicht entschieden werden, da ab Mai 2002 die Aufnahme eines Geschäftsbetriebs erfolgte, die die Annahme einer vollständigen Wertlosigkeit der Anlage zumindest zweifelhaft erscheinen ließ. Schließlich wies die wirtschaftlich nicht näher nachzuvollziehende Übernahme von werthaltigen DSI-Aktien mit dem darauf erfolgten Tausch von L-Vorzugsaktien in DSI-Aktien darauf hin, dass die L-AG offenbar nicht ohne Wert war.
Das LG hätte den Wert der Aktie (als Anteil an einem zu bestimmenden Unternehmenswert) zum jeweiligen Zeichnungszeitpunkt ermitteln müssen, um unter Gegenüberstellung zu den jeweiligen Erwerbspreisen die erforderliche Saldierung vornehmen und die Schadenshöhe in jedem Einzelfall konkret beziffern zu können. Es hätte dabei auch das - täuschungs- und irrtumsbedingt überhöhte - Risiko des Aktienerwerbs und den dadurch verursachten Minderwert bewertend berücksichtigen müssen.
Die Bewertung von Unternehmen bzw. Aktien erfordert zwar komplexe wirtschaftliche Analysen, insbesondere dann, wenn das Unternehmen - wie hier - jung und nicht börsennotiert ist. Die Einschätzung von Risiken bei der Bewertung im Wirtschaftsleben ist jedoch kaufmännischer Alltag. Das LG hätte sich deshalb sachverständiger Hilfe bedienen können, um unter Beachtung der gängigen betriebswirtschaftlichen Bewertungskriterien den Aktienwert in jedem der Einzelfälle feststellen zu können.
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