Zur Verjährung eines Anspruchs des Insolvenzschuldners gegen den Insolvenzverwalter
BGH 16.7.2015, IX ZR 127/14Der Kläger war selbständiger Fensterputzer. Im August 2003 erlitt er aufgrund Fremdverschuldens einen schweren Verkehrsunfall, in dessen Folge am 9.5.2006 das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt wurde. In seinem Eigenantrag vom 8.5.2006 hatte der Kläger verschiedene Ansprüche aus dem Verkehrsunfall in der Anlage "Schuldnerverzeichnis (Außenstände)" aufgeführt. Im weiteren Verlauf des Jahres 2006 verhandelten der Beklagte und der anwaltlich vertretene Kläger über die Geltendmachung oder Freigabe dieser Ansprüche. Mit Schreiben vom 24.11.2006 erklärte der hierbei durch die frühere Beklagte zu 1) (fortan: Rechtsanwältin B) vertretene Beklagte die Freigabe eines Anspruchs, der mit den Worten "Schmerzensgeldanspruch aufgrund eines Unfalles, der sich am 6.8.2003 ereignete" beschrieben wurde.
Am 29.11.2006 erhob der anwaltlich vertretene Kläger Klage gegen den Unfallgegner, den Fahrzeughalter und gegen dessen Versicherung auf Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz. Am 22.7.2008 fand eine mündliche Verhandlung statt, in welcher Rechtsanwältin B als Zeugin vernommen wurde und erklärte, sie habe ausdrücklich und bewusst nur die Schmerzensgeldansprüche, nicht aber die Ansprüche auf Ersatz des materiellen Schadens freigegeben. Durch Urteil vom 18.5.2010 wurde dem Kläger ein Schmerzensgeld i.H.v. 4.000 € zugesprochen. Die auf Ersatz materieller Schäden gerichtete Klage wurde mangels Freigabe dieser Ansprüche wegen fehlender Aktivlegitimation des Klägers abgewiesen. Das Urteil wurde rechtskräftig.
Das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers wurde durch Beschluss vom 11.4.2012 gem. § 213 InsO mit Zustimmung der Gläubiger eingestellt. Mit seiner am 30.12.2011 eingegangenen und am 1.11.2012 zugestellten Klage nahm der Kläger den Beklagten und Rechtsanwältin B auf Schadensersatz i.H.v. 6.000 € sowie Zahlung einer angemessenen monatlichen Rente von mindestens 800 € in Anspruch. Die Beklagten erhoben u.a. die Einrede der Verjährung.
LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH den Beschluss des OLG insoweit auf, als die Berufung des Klägers gegen die Abweisung der gegen den Beklagten zu 2) gerichteten Klage zurückgewiesen worden ist, und verwies die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Die Gründe:
Der Schadensersatzanspruch des Klägers gegen den Beklagten ist nicht verjährt.
Grundlage des Begehrens ist § 60 InsO. Nach dieser Bestimmung ist der Insolvenzverwalter allen Beteiligten zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er schuldhaft die Pflichten verletzt, die ihm nach der InsO obliegen. Der Kläger wirft dem Beklagten vor, eine zur Insolvenzmasse gehörende Forderung, nämlich den Anspruch auf Ersatz des ihm, dem Kläger, aufgrund des Unfalls im August 2003 entstandenen materiellen Schadens, nicht vor Eintritt der Verjährung geltend gemacht und durchgesetzt zu haben. Darin läge ggf. ein Verstoß gegen die Pflicht zur bestmöglichen Erhaltung und Verwertung der Insolvenzmasse. Diese Pflicht obliegt dem Verwalter nicht nur gegenüber den Insolvenzgläubigern, sondern auch und gerade gegenüber dem Schuldner, der ein rechtlich geschütztes Interesse daran hat, den Umfang seiner Nachhaftung (vgl. § 201 Abs. 1 InsO) möglichst zu begrenzen oder sogar einen Überschuss ausgezahlt zu erhalten (vgl. § 199 InsO).
Die Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des Schadens, der aus einer Pflichtverletzung des Insolvenzverwalters entstanden ist, richtet sich gem. § 62 S. 1 InsO nach den Regelungen über die regelmäßige Verjährung nach dem BGB. Gem. §§ 195, 199 Abs. 1 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre und beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Der in der Verjährung des Schadensersatzanspruchs liegende Schaden ist mit Ablauf des 31.12.2006 eingetreten. Ob der anwaltlich vertretene Kläger bereits aufgrund der Freigabeerklärung vom 24.11.2006 Kenntnis von Schaden und Schädiger hatte oder hätte haben müssen, bedarf jedoch keiner Entscheidung. Der Anspruch aus § 60 InsO ist jedenfalls deshalb nicht verjährt, weil der Kläger bis zur Einstellung des Insolvenzverfahrens am 11.4.2012 aus Rechtsgründen an der Geltendmachung dieses Anspruchs gehindert war.
Der Schaden, den der Kläger geltend macht, besteht in der pflichtwidrigen Verkürzung der Insolvenzmasse um den Wert des Schadensersatzanspruchs, welchen der Beklagte - so der Kläger - pflichtwidrig hat verjähren lassen. Es handelt sich also um einen Gesamtschaden, der während der Dauer des Insolvenzverfahrens durch Zahlung an die Insolvenzmasse auszugleichen ist. Gem. § 92 InsO können die Ansprüche der Insolvenzgläubiger auf Ersatz eines solchen Schadens während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. Richten sich die Ansprüche gegen den Verwalter, ist wegen des Interessenkonfliktes ein neuer Insolvenzverwalter oder ein Sonderinsolvenzverwalter zu bestellen. Gleiches gilt im Falle eines Insolvenzschuldners, der einen Anspruch auf Ersatz eines Gesamtschadens hat (§ 80 Abs. 1 InsO). Bis zur Einstellung des Insolvenzverfahrens gem. § 213 InsO am 11.4.2012 waren folglich sowohl die Insolvenzgläubiger als auch der Kläger aus Rechtsgründen gehindert, den Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten aus § 60 InsO einzuklagen und so den Lauf der Verjährung gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB zu hemmen.
Grundsätzlich beginnen Verjährungsfristen dann zu laufen, wenn der betroffene Gläubiger die Möglichkeit hat, verjährungshemmende Maßnahmen einzuleiten. Die Vorschrift des § 206 BGB, wonach die Verjährung gehemmt ist, solange der Gläubiger innerhalb der letzten sechs Monate der Verjährungsfrist durch höhere Gewalt an der Rechtsverfolgung gehindert ist, bringt diese Wertung klar zum Ausdruck. Der BGH nimmt in ständiger Rechtsprechung an, dass die Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche der Konkurs- oder Insolvenzgläubiger, die von ihnen selbst nicht durchgesetzt werden können, nicht früher als mit der Rechtskraft des Beschlusses beginnt, mit welchem das Konkurs- oder Insolvenzverfahren aufgehoben oder eingestellt wird. Für den entsprechenden Anspruch des Schuldners kann nichts anderes gelten. Grundsätzlich beginnt die Verjährungsfrist - das Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 199 BGB unterstellt - erst mit der Aufhebung oder Einstellung des Insolvenzverfahrens.
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