14.10.2013

Zur Zuständigkeitsbestimmung bei Schadenersatzklagen wegen Dividendenstripping

Rechtlich zusammenhängende Verfahren sollen miteinander verbunden werden können, damit sie schneller, mit geringerem Aufwand und möglichst widerspruchsfrei entschieden werden. Nach Art. 6 Nr. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO, Brüssel I-VO) ist es entscheidend, ob aus der Sicht des Forumstaates die Gefahr besteht, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen, obwohl die Sach- und Rechtslage dieselbe ist.

OLG Frankfurt a.M. 1.8.2013, 11 AR 234/12
Der Sachverhalt:
Grundlage der Klage war ein Geschäftsmodell des sog. "Dividendenstripping". Dabei kauft ein deutscher Investor kurz vor "Dividendenstichtag" Aktien einer deutschen AG mit Dividendenbezugsrecht ("cum dividende"). Die Dividende wird abzüglich der einbehaltenen Kapitalertragsteuer an den Investor ausgeschüttet. Am Ende des Jahres erhält er von der depotführenden Bank eine Steuerbescheinigung über die einbehaltene Kapitalertragsteuer und kann im Rahmen seiner steuerlichen Veranlagung eine entsprechende Anrechnung vornehmen.

Nach Ausschüttung der Dividende verkauft der Investor die Aktie wieder ("ex dividende"). Zur Absicherung des Kursrisikos zwischen An- und Verkauf geht er Sicherungsgeschäfte durch den Erwerb von sog. Futures ein, die beim Verkauf der Aktien wieder aufgelöst werden. Sein wirtschaftlicher Vorteil ergibt sich daraus, dass der durch den Markt gebildete Futurepreis vor oder am Dividendenstichtag geringfügig höher ist als der Aktienkurs zuzüglich Dividende. Dies hat seine Ursache darin, dass zu diesem Zeitpunkt ein Überangebot der jeweiligen Aktien von ausländischen Aktionären zum Kauf angeboten wird, weil für (Steuer-)Ausländer keine Möglichkeit besteht, die von der Dividende einbehaltene Kapitalertragsteuer verrechnen zu können.

Die Beklagte zu 1), deren Alleingesellschafter und allein vertretungsberechtigter Geschäftsführer der Beklagte zu 2) ist, ist eine deutsche Investorin, die ab 2006 zusammen mit der Klägerin derartige Geschäfte tätigte. Die Klägerin war dabei die depotführende Bank. Die Beklagte zu 1) wurde hinsichtlich des streitgegenständlichen Geschäftsmodells von den Beklagten zu 3) und 4) rechtlich beraten. Sie hatten sich zwischenzeitlich mit einer weiteren Sozietät zu der Beklagten zu 6) mit Sitz in den USA zusammengeschlossen. Die Beklagte zu 5) ist auf den außerbörslichen Handel mit Wertpapieren und Finanzprodukten spezialisiert. Sie trat gegenüber der Klägerin jeweils als Verkäuferin und Käuferin der Aktien auf. Sie ist in Großbritannien ansässig.

Im Februar 2011 erließ das Finanzamt gegenüber der Beklagten zu 1) geänderte Steuerbescheide für die Jahre 2006 bis 2008, wonach es im Zusammenhang mit den getätigten Transaktionen insgesamt über 123.7 Mio. € angerechneter Kapitalertragssteuer zurückforderte mit der Begründung, das wirtschaftliche Eigentum an den Aktien sei jeweils noch nicht zum Dividendenstichtag auf die Beklagte übergegangen. Gegen die Klägerin erließ die Behörde einen Haftungsbescheid. Die Klägerin behauptete, sie habe 65,5 Mio. € gezahlt. Sie nahm die Beklagten mit ihrer vor dem LG erhobenen Klage als Gesamtschuldner auf Schadensersatz in Anspruch.

Das OLG Frankfurt a.M. hat das LG Frankfurt a.M. hinsichtlich der Beklagten zu 1) bis 4) und 6) gem. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO als das zuständige Gericht bestimmt. Hinsichtlich der Beklagten zu 5) allerdings eine Gerichtsstandsbestimmung abgelehnt.

Die Gründe:
Hinsichtlich der in Deutschland ansässigen Beklagten zu 1) bis 3) waren die Voraussetzungen einer Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ohne weiteres zu bejahen, auch wenn die Beklagten ihren allgemeinen Gerichtsstand bei verschiedenen LG haben. Denn rechtlich zusammenhängende Verfahren sollen miteinander verbunden werden können, damit sie schneller, mit geringerem Aufwand und möglichst widerspruchsfrei entschieden werden. Dies gestattet es, auch ohne Identität oder Gleichheit des tatsächlichen und rechtlichen Grundes der geltend zu machenden Ansprüche Streitgenossenschaft anzunehmen, wenn diese Ansprüche in einem inneren sachlichen Zusammenhang stehen, der sie ihrem Wesen nach als gleichartig erscheinen lässt. Dies war hier anzunehmen, da die Beklagten im Zusammenhang mit der Planung und Durchführung eines einheitlichen Geschäftsmodells als Gesamtschuldner in Anspruch genommen wurden.

Hinsichtlich der im Ausland ansässigen Beklagten zu 4) bis 6) setzte eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte voraus. Bei dem in der Schweiz ansässigen Beklagten zu 4) ergab sich die internationale Zuständigkeit aus Art. 24 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30.10.2007 (Lugano-Übereinkommen). Bei der Beklagten zu 6), die ihren Sitz in den USA hat, folgte die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte mangels vorrangiger zwischenstaatlicher Übereinkommen den Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nach §§ 12 ff ZPO. Danach war hier nach § 21 ZPO die internationale Zuständigkeit zu bejahen, weil die Beklagte zu 6) zum Zeitpunkt der Zustellung eine Zweigniederlassung in Frankfurt a.M. unterhielt.

Nur hinsichtlich der in Großbritannien ansässigen Beklagten zu 5) fehlte es an der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte. Insoweit kam eine internationale Zuständigkeit nur nach Art. 6 Nr. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO, Brüssel I-VO) in Betracht. Danach ist entscheidend, ob aus der Sicht des Forumstaates die Gefahr besteht, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen, obwohl die Sach- und Rechtslage dieselbe ist. Im vorliegenden Fall fehlte es aber an einer derartigen einheitlichen Sach- und Rechtslage.

Soweit die Klägerin einen Anspruch auf Gesamtschuldnerausgleich wegen steuerrechtlicher Inanspruchnahme sowie deliktische Ansprüche wegen möglicher Steuer- oder Vermögensdelikte geltend gemacht hatte, wäre zwar ein gewisser Sachzusammenhang anzunehmen. Der Sachvortrag der Klägerin rechtfertigte aber nicht die Annahme, dass die zu beurteilende Sach- und Rechtlage hinsichtlich aller Beklagten so weit übereinstimmte, dass notwendigerweise eine einheitliche Entscheidung ergehen müsste. Die Klägerin hatte in keiner Weise dargelegt, durch welche konkreten Handlungen gerade die Beklagte zu 5) bzw. deren Mitarbeiter, für deren Handlungen diese zivilrechtlich einzustehen hätten, gegen deutsches Steuerrecht verstoßen oder einen deliktischen Tatbestand verwirklicht haben sollten. Damit war die für eine Zuständigkeit nach Art. 6 Nr. 1 EuGVVO erforderliche Konnexität zwischen möglichen Ansprüchen gegen die Beklagte zu 5) und Ansprüchen gegen die übrigen Beklagten nicht dargelegt.

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