25.04.2022

Zweitmarkt für Lebensversicherungen II: Fehlende Mitbewerbereigenschaft einer im Versicherungsrecht tätigen Anwaltskanzlei?

Nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG nF ist die Anspruchsberechtigung von Mitbewerbern zusätzlich zu dem Bestehen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses davon abhängig, dass sie in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich Waren oder Dienstleistungen vertreiben oder nachfragen. Damit soll Missbrauchsmöglichkeiten vorgebeugt werden, die sich aus einer nur pro forma, aber nicht ernsthaft und nachhaltig betriebenen Geschäftstätigkeit ergeben und sich durch ein Missverhältnis der Abmahntätigkeit zur sonstigen Geschäftstätigkeit auszeichnen können. Für die Annahme eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses genügt es, dass das Wettbewerbsverhältnis erst durch die beanstandete Wettbewerbshandlung begründet worden ist (Zweitmarkt für Lebensversicherungen II).

BGH v. 24.2.2022 - I ZR 128/21
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist eine Partnerschaftsgesellschaft von Rechtsanwälten. Die Beklagte ist ein Unternehmen, das sich darauf spezialisiert hat, Versicherungs- und Bausparverträge sowie Fonds und Beteiligungen zu erwerben, um diese weiterzuführen, zu kündigen oder zu verkaufen. Im Rahmen ihres Internetauftritts wirbt die Beklagte unter der Überschrift "Ihre Vorteile beim Verkauf!" mit folgenden Aussagen:
  • Garantierte Auszahlung bereits nach 18 Tagen
  • Einfache und schnelle Online-Abwicklung
  • Prüfung der Rückkaufswerte
  • Überprüfung der Verträge auf eine Rückabwicklungsmöglichkeit
  • Verkauf als bessere Alternative zur einfachen Kündigung

Die Klägerin hält diese Werbung unter dem Gesichtspunkt der Irreführung für wettbewerbswidrig. Sie ist der Ansicht, sie sei als Mitbewerberin der Beklagten berechtigt, Ansprüche wegen eines Wettbewerbsverstoßes geltend zu machen. Dazu trägt sie vor, sie berate Versicherungsnehmer bei Lebensversicherungsverträgen über die Möglichkeit, aus diesen Verträgen Liquidität zu erhalten, unterstütze diese bei der Umsetzung gegenüber dem Versicherer, Darlehensvermittlern, Banken und sonstigen Dritten und prüfe die Kündigungs- und Rückabwicklungsmöglichkeiten.

Nach erfolgloser Abmahnung beantragte die Klägerin, der Beklagten zu untersagen, weiter auf ihrer Internetseite für den Ankauf von Lebensversicherungen zu werben.

Das LG wies die Klage wegen fehlender Mitbewerbereigenschaft der Klägerin ab. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Die Parteien versuchten laut OLG nicht, gleichartige Dienstleistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen. Die Leistungen der Parteien seien nicht unter dem Gesichtspunkt der Beratung substituierbar. Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis lasse sich auch nicht wegen eines Rechtsberatungsanscheins oder unter Heranziehung des zum Behinderungswettbewerb entwickelten weiten Mitbewerberbegriffs begründen.

Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das OLG zurückverwiesen.

Die Gründe:
Die Eigenschaft als Mitbewerber gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG aF/nF erfordert ein konkretes Wettbewerbsverhältnis i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG. Darüber hinaus setzt die Anspruchsberechtigung nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG nF voraus, dass der Mitbewerber Waren oder Dienstleistungen in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich vertreibt oder nachfragt.

Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis zwischen den Parteien kann danach mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht abgelehnt werden. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht einen Substitutionswettbewerb unter dem Gesichtspunkt von Beratungsleistungen in Form einer Überprüfung von Versicherungsverträgen auf eine Rückabwicklungsmöglichkeit abgelehnt.

Das Berufungsgericht hat angenommen, die Klägerin berate Versicherungsnehmer bei Lebensversicherungsverträgen über die Möglichkeiten, aus diesen Verträgen Liquidität zu erhalten, und prüfe dabei die Kündigungs- und Rückabwicklungsmöglichkeiten. Die Beklagte kaufe und verwerte Forderungen und Rechte aus Versicherungsverträgen auf dem Zweitmarkt. Sie werde neben dem "Ankauf" von Versicherungen nicht (rechts-)beratend tätig.

Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat bei der Ablehnung eines Substitutionswettbewerbs unter dem Gesichtspunkt von Beratungsleistungen wesentliche Umstände unter Verstoß gegen § 286 Abs. 1 ZPO unberücksichtigt gelassen.

Dabei kann offenbleiben, ob die Ansicht der Revision zutrifft, eine im Wettbewerb zur Klägerin stehende Beratungsleistung der Beklagten folge bereits aus der angegriffenen Werbeaussage "Verkauf als bessere Alternative zur einfachen Kündigung", weil es danach auf der Hand liege, dass die Beklagte nach Prüfung der Übertragbarkeit und der Liquidierbarkeit des Vertrags den Versicherungsnehmer in seinem Entschluss zur Liquidation des angesparten Rückkaufswerts bestärke (vgl. dazu BGH v. 5.11.2020 - I ZR 234/19 - Zweitmarkt für Lebensversicherungen I).

Die Revision weist jedenfalls mit Recht darauf hin, dass die Beklagte ausweislich ihres streitgegenständlichen Internetauftritts die "Überprüfung der Verträge auf eine Rückabwicklungsmöglichkeit" als einen "Vorteil beim Verkauf" bewirbt. Diese Aussage hat das Berufungsgericht bei seiner Würdigung außer Acht gelassen. Sie kann nur dahin verstanden werden, dass die Beklagte eine entsprechende (außergerichtliche) Überprüfung der Versicherungsverträge im Interesse der Kunden auf die Möglichkeit einer Rückabwicklung - zum Beispiel wegen eines noch bestehenden Widerspruchs- bzw. Widerrufsrechts (vgl. § 5a VVG aF und §§ 8, 9 VVG) - auch tatsächlich anbietet. Ein darüber hinausgehender Vortrag der Klägerin zu einer Beratung war deshalb entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht erforderlich; das Beratungsangebot in Form einer Überprüfung der Versicherungsverträge auf eine Rückabwicklungsmöglichkeit ergibt sich unmittelbar aus der streitgegenständlichen Werbung.

Mit diesem Angebot, die Versicherungsverträge im Interesse der Kunden zu überprüfen, stellt sich die Beklagte in direkten Wettbewerb zu der von der Klägerin als Partnerschaftsgesellschaft von Rechtsanwälten angebotenen Rechtsberatung auch in Versicherungssachen, die eine Prüfung von Kündigungs- und Rückabwicklungsmöglichkeiten von Lebensversicherungsverträgen umfasst, um aus diesen Verträgen Liquidität zu erhalten. Der wettbewerbliche Bezug besteht in den insoweit gleichartigen und damit substituierbaren Beratungsleistungen.

Soweit die Beklagte geltend macht, sie erbringe keine Beratungsleistungen, prüfe die Möglichkeit einer eventuellen Rückabwicklung des Vertrags im Vorfeld der Übernahme eines Versicherungsvertrags nicht und habe noch in keinem Fall einen Widerspruch nach § 5a VVG aF oder Widerruf nach §§ 8, 9 VVG erklärt, steht das der Annahme eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses nicht entgegen. Maßgeblich ist insoweit die beanstandete Werbeaussage "Überprüfung der Verträge auf eine Rückabwicklungsmöglichkeit" als konkrete (und unstreitige) Verletzungshandlung. Da es für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung regelmäßig nur um die konkret beanstandete Wettbewerbshandlung geht, genügt es, dass das Wettbewerbsverhältnis erst durch diese Wettbewerbshandlung begründet worden ist, auch wenn die Parteien unterschiedlichen Branchen angehören (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 2014 - I ZR 43/13 - nickelfrei).

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