Ablehnung einer Richterin wegen Äußerungen zu Kenntnissen aus atypischer Vorbefassung
OLG Nürnberg v. 5.12.2022, 8 W 3317/22Die Klägerin (als Vermieterin gewerblicher Flächen) hatte im vorliegenden Prozess von der Beklagten (als Mieterin) in der Hauptsache Zahlung von rund 6.500 € als "Schadensersatz in Folge nicht bzw. zu später Räumung genutzter Flächen der Klägerin" verlangt. Im Rahmen der ersten mündlichen Verhandlung am 13.9.2022 vor der zuständigen Einzelrichterin am LG wurden zunächst Möglichkeiten einer gütlichen Einigung erörtert.
Im Protokoll hieß es sodann:
"Die Parteien verhandeln sodann im Rahmen der Güteverhandlung zu den streitigen Punkten. Eine gütliche Einigung kommt zunächst nicht zustande.
Der Beklagtenvertreter stellt sodann im Auftrag der Partei folgenden Befangenheitsantrag:
Es wird beantragt, die zuständige Richterin wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.
Dies aus dem Grund, dass sie im Rahmen der Güteverhandlung erwähnt hat, dass ihr die Firma L. GmbH sowie weitere Firmen unter ähnlichen Firmennamen aus ihrer Tätigkeit bei der Staatsanwaltschaft, dort in der Wirtschaftsabteilung, bekannt sind.
Die Sitzung ist sodann um 10.03 Uhr geschlossen."
Noch am selben Tag hat sich die abgelehnte Richterin hierzu gem. § 44 Abs. 3 ZPO dienstlich geäußert. Darin wies sie darauf hin, dass sie sich entschuldigt habe und stellte klar, dass sie keine Verbindungen zu etwaigen Strafverfahren herstellen wolle, sondern lediglich die wirtschaftliche Situation der Beklagten ansprechen wollte.
Das LG hat den Befangenheitsantrag abgelehnt. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten hat das OLG des Beschluss aufgehoben und das Ablehnungsgesuch der Beklagten gegen Richterin am LG für begründet erklärt.
Die Gründe:
Es liegen vom Standpunkt der Beklagten aus vernünftige Gründe dafür vor, an der Unbefangenheit der zuständigen Einzelrichterin ernstlich zu zweifeln.
Eine Vorbefassung des abgelehnten Richters mit einem früheren - hier zudem einen anderen Sachverhalt betreffenden - Verfahren der Prozesspartei ist als solche regelmäßig nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten. Derartige - besondere - Umstände hat die Beklagte als Beschwerdeführerin im Streitfall hingegen dargetan und glaubhaft gemacht. Da schon die Beschränkung des Streitstoffes auf jenen Geschehensablauf, der durch Sitzungsprotokoll und dienstliche Äußerung belegt, folglich glaubhaft gemacht und letztlich unstreitig ist, als Tatsachengrundlage das Ablehnungsgesuch der Beklagten zu tragen vermag, kommt es auf die von der Nichtabhilfeentscheidung des LG problematisierte Frage des Nachschiebens von Ablehnungsvorbringen (vgl. dazu aber Zöller/G. Vollkommer, a.a.O., § 44 Rn. 4) nicht mehr entscheidungserheblich an.
Das Thematisieren der aus früherer (2018/2019) Tätigkeit als Staatsanwältin resultierenden Erkenntnisse über damalige wirtschaftliche Verhältnisse einer Prozesspartei geschah im vorliegenden Fall ohne jeden sachgerechten Anlass. Aus Sicht der Beklagten - und aus objektivierter Sicht einer verständigen Prozesspartei - gab weder der Streitstoff des Prozesses (Schadensersatz für verzögerte Räumung von Gewerbemietflächen) noch das bisherige schriftsätzliche oder mündliche Vorbringen der Parteien Anlass, etwaige strafrechtliche Vorgänge im Zusammenhang mit der Beklagten "quasi von Amts wegen" im Sitzungssaal zu erörtern und damit öffentlich zu machen. Diesen Vorgang und die damit verbundene Umgehung schutzwürdiger Geheimhaltungsbelange der Beklagten konnte die nachfolgende förmliche Entschuldigung der Richterin nicht mehr ungeschehen machen, der beim Prozessgegner der Beklagten eingetretene "Erkenntnisgewinn" war nicht mehr reparabel.
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