Anordnung des paritätischen Wechselmodells unterfällt ausschließlich dem Sorgerecht
OLG Frankfurt a.M. v. 29.1.2020 - 2 UF 301/19
Der Sachverhalt:
Die Eltern der betroffenen Kinder einigten sich im Rahmen gegenläufiger Sorge- und Umgangsanträge im Jahr 2018 auf das sog. paritätische Wechselmodell. Die seinerzeit ein Jahr bzw. fünf Jahre alten Kinder wechselten seither mehrfach während der Woche zwischen den Eltern. Im Sommer 2019 beantragte die Mutter vor dem AG - Familiengericht - eine Abänderung der Vereinbarung und eine Anordnung des sog. Residenzmodells, bei dem die Kinder bei regelmäßigen Umgängen überwiegend von ihr betreut werden. Die Beteiligten behandelten das Verfahren - in Anlehnung an die Rechtsprechung des BGH zur Zulässigkeit der umgangsrechtlichen Anordnung eines Wechselmodells - als Umgangsverfahren. Die Eltern konnten sich in diesem Hauptsacheverfahren nicht auf eine Betreuungsform einigen. Derzeit wird in diesem Verfahren ein Gutachten zu der Frage eingeholt, welche Betreuungsform mit dem Wohl der Kinder am besten vereinbar wäre.
Das AG leitete wegen der fehlenden Einigung außerdem von Amts wegen das hier gegenständliche einstweilige Anordnungsverfahren als Umgangsverfahren ein. Es ordnete an, dass die Eltern nunmehr die Kinder wochenweise abwechselnd betreuen und ging dabei davon aus, dass diese Anordnung in Anbetracht der fehlenden Anfechtbarkeit von einstweiligen Anordnungen zum Umgang unanfechtbar bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens gelten wird.
Das OLG gab dem hiergegen gerichteten Rechtsmittel der Mutter, mit dem diese geltend machte, dass diese Einschätzung unrichtig und damit eine Beschwerde gegen die einstweilige Anordnung zulässig ist, statt. Die im Eilverfahren ergangene Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Die Gründe:
Eine Beschwerde gegen die einstweilige Anordnung ist zulässig.
Die Anordnung des paritätischen Wechselmodells enthält eine sorgerechtliche Regelung und trifft nicht lediglich eine Umgangsregelung. Entscheidungen über den Lebensmittelpunkt des Kindes - oder die paritätische Aufteilung eines Lebensmittelpunktes - unterfallen dem Aufenthaltsbestimmungsrecht, nicht dem Umgangsrecht. Der Gesetzgeber hat mit Umgang ersichtlich eine den Beziehungserhalt gewährende Besuchsregelung gemeint. Die elterliche Sorge, die sich auf das Aufenthaltsbestimmungsrecht erstreckt, beinhaltet dagegen eine Aufenthaltslösung, die einen überwiegend betreuenden Elternteil schafft. Auch aus der Gesetzesgeschichte folgt, dass der Gesetzgeber zwischen einem betreuenden Elternteil und einem nur umgangsberechtigten Elternteil Entscheidungen getroffen hat, die den unterschiedlichen Regelungsgehalt beider rechtlichen Kategorien abbilden.
Das OLG widerspricht damit der Rechtsprechung des BGH, der trotz breit geäußerter Kritik daran festhält, dass das Wechselmodell über eine Umgangsregelung angeordnet werden kann (BGH v. 1.2.2017 - XII ZB 601/15). Die Auswirkungen dieser nach Ansicht des Senats unrichtigen Einordnung zeigen sich besonders deutlich in dem vorliegenden Verfahren: Sie hat zur Folge, dass einstweilige Anordnungen unanfechtbar wären, obwohl sie für Monate - wenn nicht Jahre - elementare Lebensbedingungen für Kinder und Eltern festschreiben. Dies betrifft faktisch unabänderlich nicht nur die persönlichen Belange, sondern auch Unterhaltsfragen, das Recht auf staatliche Unterhaltsvorschüsse, Meldeverhältnisse etc.
Die Einordnung in das Umgangsrecht führt auch zu einer vom Gesetzgeber unerwünschten Erweiterung staatlicher Eingriffsbefugnisse. Grundsätzlich ist das in Art. 6 GG verwurzelte Erziehungsrecht der Eltern zu respektieren. Einstweilige Anordnungen von Amts wegen können in Sorgerechtsverfahren deswegen nur bei einer festgestellten Kindeswohlgefährdung ergehen. Diese Eingriffsschwelle würde untergraben, wenn das paritätische Wechselmodell als Umgangslösung gedacht und von Amts wegen angeordnet werden könnte.
Der Beschluss des AG war danach aufzuheben, weil kein Elternteil eine Abänderung der ursprünglich getroffenen Vereinbarung im Eilverfahren beantragt hat und das OLG keinerlei Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung erkennen konnte. Die Eltern haben sich ohnehin für die Zeit des schwebenden Verfahrens auf eine leicht geänderte und mit weniger Wechseln verbundene Betreuung der Kinder geeinigt.
OLG Frankfurt a.M. PM Nr. 14 vom 20.2.2020
Die Eltern der betroffenen Kinder einigten sich im Rahmen gegenläufiger Sorge- und Umgangsanträge im Jahr 2018 auf das sog. paritätische Wechselmodell. Die seinerzeit ein Jahr bzw. fünf Jahre alten Kinder wechselten seither mehrfach während der Woche zwischen den Eltern. Im Sommer 2019 beantragte die Mutter vor dem AG - Familiengericht - eine Abänderung der Vereinbarung und eine Anordnung des sog. Residenzmodells, bei dem die Kinder bei regelmäßigen Umgängen überwiegend von ihr betreut werden. Die Beteiligten behandelten das Verfahren - in Anlehnung an die Rechtsprechung des BGH zur Zulässigkeit der umgangsrechtlichen Anordnung eines Wechselmodells - als Umgangsverfahren. Die Eltern konnten sich in diesem Hauptsacheverfahren nicht auf eine Betreuungsform einigen. Derzeit wird in diesem Verfahren ein Gutachten zu der Frage eingeholt, welche Betreuungsform mit dem Wohl der Kinder am besten vereinbar wäre.
Das AG leitete wegen der fehlenden Einigung außerdem von Amts wegen das hier gegenständliche einstweilige Anordnungsverfahren als Umgangsverfahren ein. Es ordnete an, dass die Eltern nunmehr die Kinder wochenweise abwechselnd betreuen und ging dabei davon aus, dass diese Anordnung in Anbetracht der fehlenden Anfechtbarkeit von einstweiligen Anordnungen zum Umgang unanfechtbar bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens gelten wird.
Das OLG gab dem hiergegen gerichteten Rechtsmittel der Mutter, mit dem diese geltend machte, dass diese Einschätzung unrichtig und damit eine Beschwerde gegen die einstweilige Anordnung zulässig ist, statt. Die im Eilverfahren ergangene Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Die Gründe:
Eine Beschwerde gegen die einstweilige Anordnung ist zulässig.
Die Anordnung des paritätischen Wechselmodells enthält eine sorgerechtliche Regelung und trifft nicht lediglich eine Umgangsregelung. Entscheidungen über den Lebensmittelpunkt des Kindes - oder die paritätische Aufteilung eines Lebensmittelpunktes - unterfallen dem Aufenthaltsbestimmungsrecht, nicht dem Umgangsrecht. Der Gesetzgeber hat mit Umgang ersichtlich eine den Beziehungserhalt gewährende Besuchsregelung gemeint. Die elterliche Sorge, die sich auf das Aufenthaltsbestimmungsrecht erstreckt, beinhaltet dagegen eine Aufenthaltslösung, die einen überwiegend betreuenden Elternteil schafft. Auch aus der Gesetzesgeschichte folgt, dass der Gesetzgeber zwischen einem betreuenden Elternteil und einem nur umgangsberechtigten Elternteil Entscheidungen getroffen hat, die den unterschiedlichen Regelungsgehalt beider rechtlichen Kategorien abbilden.
Das OLG widerspricht damit der Rechtsprechung des BGH, der trotz breit geäußerter Kritik daran festhält, dass das Wechselmodell über eine Umgangsregelung angeordnet werden kann (BGH v. 1.2.2017 - XII ZB 601/15). Die Auswirkungen dieser nach Ansicht des Senats unrichtigen Einordnung zeigen sich besonders deutlich in dem vorliegenden Verfahren: Sie hat zur Folge, dass einstweilige Anordnungen unanfechtbar wären, obwohl sie für Monate - wenn nicht Jahre - elementare Lebensbedingungen für Kinder und Eltern festschreiben. Dies betrifft faktisch unabänderlich nicht nur die persönlichen Belange, sondern auch Unterhaltsfragen, das Recht auf staatliche Unterhaltsvorschüsse, Meldeverhältnisse etc.
Die Einordnung in das Umgangsrecht führt auch zu einer vom Gesetzgeber unerwünschten Erweiterung staatlicher Eingriffsbefugnisse. Grundsätzlich ist das in Art. 6 GG verwurzelte Erziehungsrecht der Eltern zu respektieren. Einstweilige Anordnungen von Amts wegen können in Sorgerechtsverfahren deswegen nur bei einer festgestellten Kindeswohlgefährdung ergehen. Diese Eingriffsschwelle würde untergraben, wenn das paritätische Wechselmodell als Umgangslösung gedacht und von Amts wegen angeordnet werden könnte.
Der Beschluss des AG war danach aufzuheben, weil kein Elternteil eine Abänderung der ursprünglich getroffenen Vereinbarung im Eilverfahren beantragt hat und das OLG keinerlei Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung erkennen konnte. Die Eltern haben sich ohnehin für die Zeit des schwebenden Verfahrens auf eine leicht geänderte und mit weniger Wechseln verbundene Betreuung der Kinder geeinigt.