Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten - Verhältnis zum Hauptanspruch
BGH v. 27.1.2022 - I ZR 7/21
Der Sachverhalt:
Die Parteien bieten im Fernabsatz Lebensmittel und Drogerieartikel über Online-Handelsplattformen zum Kauf an. Die Klägerin erhielt am 8.2.2018 Kenntnis von vermeintlichen Wettbewerbsverstößen der Beklagten bei einem Angebot auf der Online-Handelsplattform eBay und mahnte die Beklagte am 12.2.2018 erfolglos ab. Am 6.3.2018 erwirkte sie eine einstweilige Verfügung und erhob am 8.8.2018 in diesem Verfahren Hauptsacheklage.
Am 2.3.2018 entdeckte die Klägerin weitere, vermeintlich wettbewerbswidrige Angebote der Beklagten auf den Online-Handelsplattformen eBay und Amazon. Nach erfolgloser Abmahnung mit Schreiben vom 7.3.2018 hat sie am 28.3.2018 den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt und am 4.6.2018 im vorliegenden Verfahren Klage erhoben, mit der sie Unterlassung (Klageantrag zu 1) und die Erstattung ihrer Abmahnkosten (Klageantrag zu 2) verlangt hat.
Das LG hat am 24.1.2019 Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren erlassen, gegen das die Beklagte am 31.1.2019 Einspruch eingelegt hat. Vor Zustellung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Versäumnisurteils hat die Beklagte die darin titulierten Abmahnkosten unter Angabe des Aktenzeichens der Klägerin gezahlt. Der von der Klägerin daraufhin abgegebenen Erledigungserklärung des Klageantrags zu 2 hat sich die Beklagte nicht angeschlossen.
Das LG hat auf den Einspruch der Beklagten das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Berufung, mit der die Klägerin ihren Klageantrag zu 1 weiterverfolgt und außerdem die Feststellung begehrt hat, der Klageantrag zu 2 sei erledigt, ist ohne Erfolg geblieben.
Auf die Revision der Klägerin hat der BGH das Urteil insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht hinsichtlich des Feststellungsantrags zum Nachteil der Klägerin entschieden hat, und hat die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Gründe:
Das Berufungsgericht hat angenommen, das missbräuchliche Verhalten der Klägerin habe zur Folge, dass der Unterlassungsanspruch nicht mehr gerichtlich geltend gemacht werden könne. Es sei ihr daher verwehrt, für die Durchsetzung ihrer Ansprüche gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, und zwar unabhängig davon, ob ein Rechtsmissbrauch nur in der außergerichtlichen Geltendmachung zu sehen sei oder ob auch die Klageerhebung für sich genommen die Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchs erfülle. Dies gelte auch für die auf dem Unterlassungsanspruch aufbauenden Nebenansprüche. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Für den Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten ist auf das zum Zeitpunkt der Abmahnung geltende Recht abzustellen. Die Frage, ob die Abmahnung vom 7.3.2018 berechtigt war, ist daher nach § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG in der bis zum 1.12.2020 geltenden Fassung (a.F.) zu beantworten.
Nach § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG a.F. kann der Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangt werden, soweit die Abmahnung berechtigt ist. Der Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten ist dabei kein im Verhältnis zum Unterlassungsanspruch unselbständiger Nebenanspruch, der als solcher das Schicksal des Hauptanspruchs teilt. Der Anspruch ist nur insofern unselbständig, als er dann nicht entsteht, wenn im Zeitpunkt des Zugangs der Abmahnung kein Unterlassungsanspruch (mehr) besteht und die Abmahnung daher unberechtigt ist.
Der beim Vorliegen eines Unterlassungsanspruchs entstandene Erstattungsanspruch besteht dagegen alsdann unabhängig davon fort, ob der mit der Abmahnung geltend gemachte Unterlassungsanspruch fortbesteht, durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung erloschen ist oder der späteren gerichtlichen Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs - wie hier - die Rechtsmissbräuchlichkeit der Klage entgegensteht.
Diese Selbständigkeit des Anspruchs auf Erstattung der Abmahnkosten hat das Berufungsgericht verkannt. Es ist zwar noch zutreffend davon ausgegangen, dass auf § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG a.F. abzustellen ist. Es hat dann aber rechtsfehlerhaft angenommen, die - spätere - rechtsmissbräuchliche Klageerhebung verwehre der Klägerin nicht nur die gerichtliche Durchsetzung der von ihr geltend gemachten Unterlassungsansprüche, sondern führe auch zum Entfallen der Berechtigung der vorausgegangenen Abmahnung i.S.v. § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG a.F. und stehe damit dem Anspruch auf Ersatz der erforderlichen Aufwendungen für die Abmahnung entgegen. Damit hat es für die Frage der Begründetheit des Anspruchs rechtsfehlerhaft nicht allein auf den Zeitpunkt der Abmahnung abgestellt, sondern angenommen, der Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten baue auf dem Unterlassungsanspruch auf und teile dessen Schicksal.
Zu der maßgeblichen Frage, ob der Anspruch der Klägerin auf Erstattung ihrer Abmahnkosten im Zeitpunkt des Zugangs der Abmahnung begründet war, weil die Abmahnung wegen der behaupteten Wettbewerbsverstöße berechtigt war, hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen.
Das Berufungsurteil erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Die Annahme des Berufungsgerichts, es fehle an einem erledigenden Ereignis, wird von seinen Feststellungen nicht getragen, denn es fehlt an hinreichenden Feststellungen für die Annahme des Berufungsgerichts, in der vorbehaltlosen Überweisung der Klageforderung habe keine erledigende Erfüllung der Zahlungsforderung gelegen.
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Die Parteien bieten im Fernabsatz Lebensmittel und Drogerieartikel über Online-Handelsplattformen zum Kauf an. Die Klägerin erhielt am 8.2.2018 Kenntnis von vermeintlichen Wettbewerbsverstößen der Beklagten bei einem Angebot auf der Online-Handelsplattform eBay und mahnte die Beklagte am 12.2.2018 erfolglos ab. Am 6.3.2018 erwirkte sie eine einstweilige Verfügung und erhob am 8.8.2018 in diesem Verfahren Hauptsacheklage.
Am 2.3.2018 entdeckte die Klägerin weitere, vermeintlich wettbewerbswidrige Angebote der Beklagten auf den Online-Handelsplattformen eBay und Amazon. Nach erfolgloser Abmahnung mit Schreiben vom 7.3.2018 hat sie am 28.3.2018 den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt und am 4.6.2018 im vorliegenden Verfahren Klage erhoben, mit der sie Unterlassung (Klageantrag zu 1) und die Erstattung ihrer Abmahnkosten (Klageantrag zu 2) verlangt hat.
Das LG hat am 24.1.2019 Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren erlassen, gegen das die Beklagte am 31.1.2019 Einspruch eingelegt hat. Vor Zustellung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Versäumnisurteils hat die Beklagte die darin titulierten Abmahnkosten unter Angabe des Aktenzeichens der Klägerin gezahlt. Der von der Klägerin daraufhin abgegebenen Erledigungserklärung des Klageantrags zu 2 hat sich die Beklagte nicht angeschlossen.
Das LG hat auf den Einspruch der Beklagten das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Berufung, mit der die Klägerin ihren Klageantrag zu 1 weiterverfolgt und außerdem die Feststellung begehrt hat, der Klageantrag zu 2 sei erledigt, ist ohne Erfolg geblieben.
Auf die Revision der Klägerin hat der BGH das Urteil insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht hinsichtlich des Feststellungsantrags zum Nachteil der Klägerin entschieden hat, und hat die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Gründe:
Das Berufungsgericht hat angenommen, das missbräuchliche Verhalten der Klägerin habe zur Folge, dass der Unterlassungsanspruch nicht mehr gerichtlich geltend gemacht werden könne. Es sei ihr daher verwehrt, für die Durchsetzung ihrer Ansprüche gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, und zwar unabhängig davon, ob ein Rechtsmissbrauch nur in der außergerichtlichen Geltendmachung zu sehen sei oder ob auch die Klageerhebung für sich genommen die Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchs erfülle. Dies gelte auch für die auf dem Unterlassungsanspruch aufbauenden Nebenansprüche. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Für den Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten ist auf das zum Zeitpunkt der Abmahnung geltende Recht abzustellen. Die Frage, ob die Abmahnung vom 7.3.2018 berechtigt war, ist daher nach § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG in der bis zum 1.12.2020 geltenden Fassung (a.F.) zu beantworten.
Nach § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG a.F. kann der Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangt werden, soweit die Abmahnung berechtigt ist. Der Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten ist dabei kein im Verhältnis zum Unterlassungsanspruch unselbständiger Nebenanspruch, der als solcher das Schicksal des Hauptanspruchs teilt. Der Anspruch ist nur insofern unselbständig, als er dann nicht entsteht, wenn im Zeitpunkt des Zugangs der Abmahnung kein Unterlassungsanspruch (mehr) besteht und die Abmahnung daher unberechtigt ist.
Der beim Vorliegen eines Unterlassungsanspruchs entstandene Erstattungsanspruch besteht dagegen alsdann unabhängig davon fort, ob der mit der Abmahnung geltend gemachte Unterlassungsanspruch fortbesteht, durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung erloschen ist oder der späteren gerichtlichen Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs - wie hier - die Rechtsmissbräuchlichkeit der Klage entgegensteht.
Diese Selbständigkeit des Anspruchs auf Erstattung der Abmahnkosten hat das Berufungsgericht verkannt. Es ist zwar noch zutreffend davon ausgegangen, dass auf § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG a.F. abzustellen ist. Es hat dann aber rechtsfehlerhaft angenommen, die - spätere - rechtsmissbräuchliche Klageerhebung verwehre der Klägerin nicht nur die gerichtliche Durchsetzung der von ihr geltend gemachten Unterlassungsansprüche, sondern führe auch zum Entfallen der Berechtigung der vorausgegangenen Abmahnung i.S.v. § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG a.F. und stehe damit dem Anspruch auf Ersatz der erforderlichen Aufwendungen für die Abmahnung entgegen. Damit hat es für die Frage der Begründetheit des Anspruchs rechtsfehlerhaft nicht allein auf den Zeitpunkt der Abmahnung abgestellt, sondern angenommen, der Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten baue auf dem Unterlassungsanspruch auf und teile dessen Schicksal.
Zu der maßgeblichen Frage, ob der Anspruch der Klägerin auf Erstattung ihrer Abmahnkosten im Zeitpunkt des Zugangs der Abmahnung begründet war, weil die Abmahnung wegen der behaupteten Wettbewerbsverstöße berechtigt war, hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen.
Das Berufungsurteil erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Die Annahme des Berufungsgerichts, es fehle an einem erledigenden Ereignis, wird von seinen Feststellungen nicht getragen, denn es fehlt an hinreichenden Feststellungen für die Annahme des Berufungsgerichts, in der vorbehaltlosen Überweisung der Klageforderung habe keine erledigende Erfüllung der Zahlungsforderung gelegen.
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