19.09.2022

Anspruch auf Mitbenutzung der Ehewohnung

Verfahrenskostenhilfe für einen Antrag auf Mitbenutzung der (gemieteten) Ehewohnung kann nicht allein mit der Begründung versagt werden, dass eine unbillige Härte i.S.v. § 1361b Abs. 1 BGB nicht dargelegt wurde. Denn im Gegensatz zur Überlassung der Ehewohnung ist die Rechtsverfolgung auf Einräumung des Mitbesitzes, die auf § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB, auf § 861 BGB sowie auf § 1361b BGB analog gestützt werden kann, gerichtet.

OLG Celle v. 10.8.2022 - 21 WF 87/22
Der Sachverhalt:
Die Beteiligten sind seit August 2021 verheiratet und lebten seither kinderlos in einer gemeinsam gemieteten Wohnung zusammen. Der Antragsteller behauptete, die Antragsgegnerin habe ihn kurz nach der Trennung aus der gemeinsamen Ehewohnung herausgeworfen und verweigere ihm seither den Zutritt. Aus diesem Grund habe er ohne Zugriff auf seine persönlichen Sachen die Nächte in Notunterkünften verbringen müssen. Bis er eine neue Wohnung gefunden habe, sei es der Antragsgegnerin zuzumuten, die Wohnung weiterhin mit ihm gemeinsam zu nutzen, zumal es zu keinerlei handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen den Eheleuten gekommen sei.

Das AG dem Antragsteller die von ihm nachgesuchte Verfahrenskostenhilfe mit der Begründung versagt, dass eine Wohnungszuweisung nach § 1361b BGB nur in Betracht komme, um eine unbillige Härte zu vermeiden, die vorliegend nicht dargetan sei. Darüber hinaus sei die Wohnungszuweisung in der Regel nicht auf eine Mitbenutzung gerichtet. Hiergegen richtete sich die Beschwerde des Antragstellers, mit der er in entsprechender Anwendung des § 1361b BGB als Mitmieter einen Anspruch auf Wiedereinräumung des Mittelsitzes an der Ehewohnung verfolgte. Das OLG hat den Beschluss aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Behandlung sowie zur erneuten Entscheidung an das AG zurückverwiesen.

Die Gründe:
Ein Anspruch auf Mitbenutzung und Mitbesitz der Ehewohnung folgt aus § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB und der dort geregelten Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft.

Leben die Ehegatten gemeinsam in einer Ehewohnung, so steht ihnen der Mitbesitz an der Ehewohnung und an den Haushaltsgegenständen unabhängig davon zu, ob sie die Wohnung - wie vorliegend - gemeinsam gemietet haben oder nur ein Ehegatte Partei des Mietvertrages ist. Dieser Anspruch besteht während der intakten Ehe. Das bloße Verlassen der Ehewohnung führt nicht zum Erlöschen des Mitbesitzes, denn eine vorübergehende Abwesenheit berührt diesen nicht.

Neben dem Anspruch auf Mitbenutzung der Ehewohnung aus § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB besteht ein Anspruch nach § 861 Abs. 1 BGB. Danach kann der Besitzer bzw. Mitbesitzer die Wiedereinräumung des Besitzes verlangen, wenn der Besitz durch verbotene Eigenmacht dem Besitzer entzogen wird. Verweigert ein Ehegatte dem anderen den Zutritt zur Ehewohnung, erweist sich dies Verhalten als verbotene Eigenmacht mit der Folge, dass ein Anspruch aus § 861 BGB auf Wiedereinräumung des (Mit)Besitzes besteht.

In welchem Verhältnis dieser possessorische Anspruch nach erfolgter Trennung der Ehegatten zu dem Recht auf Überlassung der Ehewohnung nach § 1361b BGB steht, ist umstritten. Die Frage bedarf vorliegend für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für den Antragsteller keiner abschließenden Beurteilung durch den Senat. Denn nach der Auffassung, die eine freie Anspruchskonkurrenz befürwortet, wäre ein Besitzschutzanspruch aufgrund einer nicht gerechtfertigten Aussperrung des Antragstellers aus der Ehewohnung begründet. Nach der vermittelnden Ansicht sind die Wertungen zum possessorischen Besitzschutz im Rahmen der Sondervorschrift des § 1361b BGB einzubeziehen, sodass vorliegend für den "ausgesperrten" Ehegatten ebenfalls von der Wiedereinräumung des Mitbesitzes an der Ehewohnung auszugehen ist.

Ansprüche aus §§ 1353, 1361b BGB auf Einräumung des Mitbesitzes wie auch der Anspruch wegen Besitzentziehung aus § 861 Abs. 1 BGB können gem. §§ 119 Abs. 1, 49 ff. FamFG im Wege der einstweiligen Anordnung geltend gemacht werden. Auch in Familienstreitsachen sind die Vorschriften über die einstweilige Anordnung anzuwenden. Bei einer Auseinandersetzung der Beteiligten um den Mitbesitz an der Ehewohnung nach §§ 1353, 861 BGB handelt es sich als sonstige Familiensache i.S.v. § 266 FamFG um eine Familienstreitsache gem. § 113 Abs. 1 FamFG. In Familienstreitsachen kann zur Sicherung eines Anspruchs oder Regelung eines Rechtsverhältnisses auch eine einstweilige Anordnung ergehen, sofern hierfür ein Regelungsbedürfnis besteht. Wird die Wiedereinräumung des Mitbesitzes auf § 1361b Abs. 1 BGB gestützt, handelt es sich um eine Ehewohnungssache als Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, für die ebenfalls der einstweilige Rechtsschutz über § 49 FamFG eröffnet ist. Unterschiede ergeben sich hingegen für die Frage, ob im einstweiligen Anordnungsverfahren eine Beschwerde nach § 57 Satz 2 Nr. 5 FamFG statthaft ist, die für eine Familienstreitsache nicht eröffnet wäre.

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