14.08.2023

Anspruch des Mieters auf Vorlage einer Baugenehmigung aus § 242 BGB

Jede Partei ist nach Treu und Glauben verpflichtet, die andere über ihr bekannte Umstände aufzuklären, die für das Zustandekommen des Vertrages, seine ordnungsgemäße Durchführung oder überhaupt für die Erreichung des Vertragszwecks von entscheidender Bedeutung sind. "Ob" und "Wie" der Auskunftserteilung unterliegen einer umfassenden Zumutbarkeits- und Interessenabwägung.

OLG Brandenburg v. 12.6.2023 - 3 W 23/23
Der Sachverhalt:
Der Kläger hatte im März 2020 mit dem Beklagten einen Mietvertrag über Flächen im Erdgeschoss, im 1. Obergeschoss und über Nebenflächen im Untergeschoss geschlossen. Als ausschließlicher Mietzweck war die Nutzung zum Betrieb einer Arztpraxis vereinbart. Zum Zeitpunkt des Abschlusses war für das 1. Obergeschoss noch keine Baugenehmigung für die Nutzung als Praxisräume vorhanden. In § 2.2. des Mietvertrages verpflichtete sich der Beklagte als Eigentümer und Vermieter deshalb "die Nutzbarkeit der Flächen im 1. Obergeschoss zum vereinbarten Mietzweck bis zum 31.12.2020 zu gewährleisten".

Die Parteien hatten zunächst den vom Kläger für die Planung seiner Praxis eingesetzten Architekten beauftragt, einen Bauantrag auf Genehmigung der Nutzungsänderung zu stellen. Vor Vertragsschluss wurde daraufhin im Februar 2020 die Nutzungsänderung der Flächen im Erdgeschoss genehmigt. Mit der Erarbeitung des Bauantrags für das 1. Obergeschoss beauftragte der Beklagte eine andere Architektin.

Der Kläger hat mit der Klage zunächst beantragt, den Beklagten auf Herausgabe einer Kopie der bestandskräftigen Baugenehmigung für das 1. Obergeschoss zum Zwecke der Nutzung als kardiologische Praxis, hilfsweise auf Erwirkung einer solchen zu verurteilen. Nachdem der Beklagte gegenüber dem Kläger die Kündigung des Mietverhältnisses ausgesprochen hatte, haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt und wechselseitige Kostenanträge gestellt.

Das LG hat die Kosten des Verfahrens dem Kläger auferlegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage wäre unbegründet gewesen. Ein Anspruch auf Herausgabe der Baugenehmigung habe dem Kläger unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zugestanden. Auf die Beschwerde des Klägers hat das OLG den Beschluss abgeändert und die Kosten des Rechtsstreits dem Beklagten auferlegt.

Die Gründe:
Der Kläger hatte einen Anspruch auf Vorlage der Baugenehmigung über die Änderung der Nutzung des 1. Obergeschosses. Dieser ergab sich nicht unmittelbar aus dem Mietvertrag, aber aus § 242 BGB.

§ 242 BGB dient als Grundlage für Auskunftsansprüche- und Rechenschaftsansprüche, soweit nicht - wie hier der Fall - einzelne Anspruchsgrundlagen in der Kodifikation vorhanden sind. Die Rechtsprechung gewährt auf Basis des § 242 BGB im Einzelfall Auskunftsansprüche, wenn eine besondere rechtliche Beziehung zwischen dem Auskunftsfordernden und dem Inanspruchgenommenen besteht und wenn es das Wesen des Rechtsverhältnisses mit sich bringt, dass der Berechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen und den Umfang seiner Rechte im Ungewissen, der Inanspruchgenommene aber in der Lage ist, die verlangte Auskunft unschwer zu erteilen.

Jede Partei ist nach Treu und Glauben verpflichtet, die andere über ihr bekannte Umstände aufzuklären, die für das Zustandekommen des Vertrages, seine ordnungsgemäße Durchführung oder überhaupt für die Erreichung des Vertragszwecks von entscheidender Bedeutung sind. "Ob" und "Wie" der Auskunftserteilung unterliegen einer umfassenden Zumutbarkeits- und Interessenabwägung. Entstehen bei Vertragsdurchführung bestimmungsgemäß bei einer Partei Unterlagen, an deren Kenntnis der andere ein schutzwürdiges Interesse hat, so hat diese einen Anspruch auf Vorlegung und Einsicht.

Infolgedessen war der Beklagte hier aus Treu und Glauben verpflichtet, die Baugenehmigung vorzulegen und damit nachzuweisen, dass die Nutzungsänderung genehmigt worden ist. Der Senat geht zwar nicht davon aus, dass das Nichtvorliegen der Genehmigung den Kläger berechtigt hätte, die Miete zu mindern. Denn diese Voraussetzung ist regelmäßig erst dann erfüllt, wenn die zuständige Behörde die Nutzung bereits untersagt hat. Dies ist hier nicht geschehen. Der Kläger hatte unabhängig vom Vorliegen der Genehmigung die Räumlichkeiten zum vereinbarten Zweck genutzt. Dementsprechend konnte er sich nicht darauf berufen, er habe deshalb ein Interesse an der Einsicht in die Genehmigung, um überprüfen zu können, ob und in welcher Höhe ihm Rückforderungsansprüche zustehen.

Der Kläger hatte aber dennoch ein berechtigtes Interesse an der Vorlage der Genehmigung. Denn zwischen den Parteien bestand eine Sonderverbindung aufgrund des Mietvertrages. Bei Mietvertragsabschluss bestand die Genehmigung unstreitig noch nicht. Im Mietvertrag hatte sich der Beklagte ausdrücklich zur Beschaffung der Nutzungsänderungsgenehmigung binnen einer bestimmten Frist verpflichtet. Nach § 59 BbgBauO ist bei der Nutzungsänderung von baulichen Anlagen eine Baugenehmigung verpflichtend. Nach § 83 Abs. 2 Satz 1, Abs 3 BbgBauO darf eine bauliche Anlage erst nach Anzeige der beabsichtigen Aufnahme der Nutzung benutzt werden. Nach § 85 BbgBauO ist es eine Ordnungswidrigkeit, eine bauliche Anlage ohne die erforderliche Baugenehmigung (§ 59 Abs 1 BbgBauO) zu nutzen. Die Verschaffung der Genehmigung und deren Erteilung war damit ersichtlich ein für den Vertrag und dessen Durchführung wesentlicher Umstand.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | ZPO
§ 93 Kosten bei sofortigem Anerkenntnis
Herget in Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022

Kommentierung | ZPO
§ 257 Klage auf künftige Zahlung oder Räumung
Greger in Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022

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