Anspruch des Pflichtteilsberechtigten auf Wertermittlung auch nach Veräußerung des Nachlassgegenstands durch den Erben
BGH v. 29.9.2021 - IV ZR 328/20
Der Sachverhalt:
Die Klägerin als Pflichtteilsberechtigte nimmt den Beklagten als Erben - soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung - im Wege der Stufenklage auf Wertermittlung (Klagantrag zu 1) sowie auf Zahlung eines Betrages in nach erfolgter Wertermittlung noch zu bestimmender Höhe (Klagantrag zu 2) in Anspruch. Der Beklagte ist der testamentarische Erbe des am 11.1.2017 verstorbenen Erblassers Kurt Gerhard V, die Klägerin dessen einzige Tochter.
Die am 5.12.2014 verstorbene Gisela Rosemarie V war Eigentümerin des Hausgrundstücks Hauptstraße 71 in B. Sie wurde beerbt von dem Erblasser zu 1/2 sowie drei weiteren Miterben zu je 1/6. Der Beklagte und die weiteren Miterben veräußerten das Grundstück mit Kaufvertrag vom 14.11.2017 für 65.000 €. In einem Gutachten für eine - im Ergebnis erfolglos verlaufene - Teilungsversteigerung vom 7.3.2016 wurde der Grundstückswert mit 245.000 € ermittelt. In einer Bewertung seitens der Volksbank für den Beklagten vom 24.7.2017 wurde der Grundstückswert mit 58.000 € bemessen. Ein weiteres im Auftrag der Klägerin erstattetes Gutachten vom 24.7.2018 gab den Wert des Grundstücks mit 120.000 € bis 175.000 € an. Der Beklagte zahlte an die Klägerin insgesamt rd. 33.400 € auf den Pflichtteil. Die Klägerin ist der Auffassung, ihr stehe unabhängig von der Veräußerung des Grundstücks ein Anspruch auf Ermittlung des Wertes zum Zeitpunkt des Erbfalles zu.
Das LG gab der Klage antragsgemäß statt und verurteilte den Beklagten, den Wert der im Miteigentum des Erblassers stehenden Immobilie durch Vorlage eines Wertgutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen zu ermitteln und nach erfolgter Wertermittlung an die Klägerin einen Betrag in noch zu bestimmender Höhe nebst Zinsen sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen. Im Berufungsverfahren beantragte die Klägerin für den Fall, dass das OLG den Wertermittlungsanspruch verneint, den Beklagten zur Zahlung von rd. 19.300 € nebst Zinsen zu verurteilen. Das OLG änderte das landgerichtliche Urteil ab und verurteilte den Beklagten unter Abweisung der Klage im Übrigen, der Klägerin rd. 270 € nebst Zinsen zu zahlen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr bisheriges Begehren mit Ausnahme der außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten weiter.
Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Berufungsurteil auf und verurteilte den Beklagten, den Wert des Anteils des Erblassers an der im Eigentum der Erbengemeinschaft stehenden Immobilie durch Vorlage eines Wertgutachtens zu ermitteln. Den weitergehenden Klagantrag zu 1) wies der BGH ab und verwies die Sache im Übrigen zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Die Gründe:
Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Wertermittlung des Miterbenanteils des Erblassers an dem streitgegenständlichen Grundstück zu.
Gem. § 2314 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB kann der Pflichtteilsberechtigte verlangen, dass der Wert der Nachlassgegenstände ermittelt wird. Ob wie die Revision in Erwägung zieht - ein derartiger nach dem Wortlaut von § 2314 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB einschränkungsloser Anspruch in Ausnahmefällen nach Treu und Glauben gem. § 242 BGB oder wegen Verstoßes gegen das Schikaneverbot gem. § 226 BGB ausscheidet, wenn bereits mehrere Sachverständigengutachten zu dem Wert des Nachlassgegenstandes eingeholt wurden und zu demselben Ergebnis kamen, kann offenbleiben. Ein derartiger Fall liegt hier jedenfalls nicht vor. Die eingeholten Sachverständigengutachten variieren in ihren Werten zwischen 58.000 € und 245.000 €. Die Veräußerung des Grundstücks erfolgte für 65.000 €. Angesichts dieser stark differierenden Angaben kann der Klägerin ein schutzwürdiges Interesse an der Geltendmachung des Wertermittlungsanspruchs nicht abgesprochen werden.
Dem Anspruch des Pflichtteilsberechtigten auf Wertermittlung steht auch nicht der Umstand entgegen, dass der Nachlassgegenstand vom Erben - wie hier seitens des Beklagten hinsichtlich des Grundstücks geschehen - nach dem Erbfall veräußert wurde. Dies rechtfertigt sich daraus, dass dem Pflichtteilsberechtigten anderenfalls der Nachweis verwehrt bzw. zumindest erschwert würde, dass der Veräußerungserlös nicht dem tatsächlichen Verkehrswert entspricht. Gegen eine Versagung des Wertermittlungsanspruchs in Fällen der nachträglichen Veräußerung eines Nachlassgegenstandes spricht ferner, dass ausweislich der Regelung in § 2314 Abs. 2 BGB die Kosten für die Auskunftserteilung und Wertermittlung nach Absatz 1 dem Nachlass zur Last fallen, während der Pflichtteilsberechtigte, der im Rahmen von § 2311 Abs. 1 Satz 1 BGB einen anderen Verkehrswert als den tatsächlichen Veräußerungserlös behauptet, insoweit darlegungs- und beweispflichtig ist und damit auch die entsprechenden für die Wertermittlung erforderlichen Kosten zu tragen hat.
Nichts anderes ergibt sich im Streitfall, wenn man der vereinzelt im Schrifttum vertretenen Auffassung folgt, nach Veräußerung eines Nachlassgegenstandes komme grundsätzlich kein Wertermittlungsanspruch mehr in Betracht, es sei denn, es lägen außergewöhnliche Umstände vor, zu denen konkrete Anhaltspunkte dafür zählen sollen, dass der erzielte Verkaufserlös nicht dem tatsächlichen Wert entspricht. Derartige Umstände liegen hier - anders als das OLG meint - angesichts der unterschiedlichen Wertangaben in den Gutachten und dem davon abweichenden erzielten Kaufpreis sowie der von der Klägerin geäußerten Vermutung einer unter dem Verkehrswert erfolgten Veräußerung des Grundstücks vor.
Der Klägerin steht allerdings nicht der von ihr geltend gemachte und vom LG tenorierte Anspruch auf Ermittlung des Wertes der Immobilie durch Vorlage eines Wertgutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen zu. Die Qualifikation des Sachverständigen ist in § 2314 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB nicht geregelt. Maßgebend ist alleine, dass der Wert des Nachlassgegenstandes durch einen unparteiischen Sachverständigen ermittelt wird, unabhängig davon, ob er öffentlich bestellt und vereidigt ist oder nicht.
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Die Klägerin als Pflichtteilsberechtigte nimmt den Beklagten als Erben - soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung - im Wege der Stufenklage auf Wertermittlung (Klagantrag zu 1) sowie auf Zahlung eines Betrages in nach erfolgter Wertermittlung noch zu bestimmender Höhe (Klagantrag zu 2) in Anspruch. Der Beklagte ist der testamentarische Erbe des am 11.1.2017 verstorbenen Erblassers Kurt Gerhard V, die Klägerin dessen einzige Tochter.
Die am 5.12.2014 verstorbene Gisela Rosemarie V war Eigentümerin des Hausgrundstücks Hauptstraße 71 in B. Sie wurde beerbt von dem Erblasser zu 1/2 sowie drei weiteren Miterben zu je 1/6. Der Beklagte und die weiteren Miterben veräußerten das Grundstück mit Kaufvertrag vom 14.11.2017 für 65.000 €. In einem Gutachten für eine - im Ergebnis erfolglos verlaufene - Teilungsversteigerung vom 7.3.2016 wurde der Grundstückswert mit 245.000 € ermittelt. In einer Bewertung seitens der Volksbank für den Beklagten vom 24.7.2017 wurde der Grundstückswert mit 58.000 € bemessen. Ein weiteres im Auftrag der Klägerin erstattetes Gutachten vom 24.7.2018 gab den Wert des Grundstücks mit 120.000 € bis 175.000 € an. Der Beklagte zahlte an die Klägerin insgesamt rd. 33.400 € auf den Pflichtteil. Die Klägerin ist der Auffassung, ihr stehe unabhängig von der Veräußerung des Grundstücks ein Anspruch auf Ermittlung des Wertes zum Zeitpunkt des Erbfalles zu.
Das LG gab der Klage antragsgemäß statt und verurteilte den Beklagten, den Wert der im Miteigentum des Erblassers stehenden Immobilie durch Vorlage eines Wertgutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen zu ermitteln und nach erfolgter Wertermittlung an die Klägerin einen Betrag in noch zu bestimmender Höhe nebst Zinsen sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen. Im Berufungsverfahren beantragte die Klägerin für den Fall, dass das OLG den Wertermittlungsanspruch verneint, den Beklagten zur Zahlung von rd. 19.300 € nebst Zinsen zu verurteilen. Das OLG änderte das landgerichtliche Urteil ab und verurteilte den Beklagten unter Abweisung der Klage im Übrigen, der Klägerin rd. 270 € nebst Zinsen zu zahlen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr bisheriges Begehren mit Ausnahme der außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten weiter.
Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Berufungsurteil auf und verurteilte den Beklagten, den Wert des Anteils des Erblassers an der im Eigentum der Erbengemeinschaft stehenden Immobilie durch Vorlage eines Wertgutachtens zu ermitteln. Den weitergehenden Klagantrag zu 1) wies der BGH ab und verwies die Sache im Übrigen zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Die Gründe:
Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Wertermittlung des Miterbenanteils des Erblassers an dem streitgegenständlichen Grundstück zu.
Gem. § 2314 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB kann der Pflichtteilsberechtigte verlangen, dass der Wert der Nachlassgegenstände ermittelt wird. Ob wie die Revision in Erwägung zieht - ein derartiger nach dem Wortlaut von § 2314 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB einschränkungsloser Anspruch in Ausnahmefällen nach Treu und Glauben gem. § 242 BGB oder wegen Verstoßes gegen das Schikaneverbot gem. § 226 BGB ausscheidet, wenn bereits mehrere Sachverständigengutachten zu dem Wert des Nachlassgegenstandes eingeholt wurden und zu demselben Ergebnis kamen, kann offenbleiben. Ein derartiger Fall liegt hier jedenfalls nicht vor. Die eingeholten Sachverständigengutachten variieren in ihren Werten zwischen 58.000 € und 245.000 €. Die Veräußerung des Grundstücks erfolgte für 65.000 €. Angesichts dieser stark differierenden Angaben kann der Klägerin ein schutzwürdiges Interesse an der Geltendmachung des Wertermittlungsanspruchs nicht abgesprochen werden.
Dem Anspruch des Pflichtteilsberechtigten auf Wertermittlung steht auch nicht der Umstand entgegen, dass der Nachlassgegenstand vom Erben - wie hier seitens des Beklagten hinsichtlich des Grundstücks geschehen - nach dem Erbfall veräußert wurde. Dies rechtfertigt sich daraus, dass dem Pflichtteilsberechtigten anderenfalls der Nachweis verwehrt bzw. zumindest erschwert würde, dass der Veräußerungserlös nicht dem tatsächlichen Verkehrswert entspricht. Gegen eine Versagung des Wertermittlungsanspruchs in Fällen der nachträglichen Veräußerung eines Nachlassgegenstandes spricht ferner, dass ausweislich der Regelung in § 2314 Abs. 2 BGB die Kosten für die Auskunftserteilung und Wertermittlung nach Absatz 1 dem Nachlass zur Last fallen, während der Pflichtteilsberechtigte, der im Rahmen von § 2311 Abs. 1 Satz 1 BGB einen anderen Verkehrswert als den tatsächlichen Veräußerungserlös behauptet, insoweit darlegungs- und beweispflichtig ist und damit auch die entsprechenden für die Wertermittlung erforderlichen Kosten zu tragen hat.
Nichts anderes ergibt sich im Streitfall, wenn man der vereinzelt im Schrifttum vertretenen Auffassung folgt, nach Veräußerung eines Nachlassgegenstandes komme grundsätzlich kein Wertermittlungsanspruch mehr in Betracht, es sei denn, es lägen außergewöhnliche Umstände vor, zu denen konkrete Anhaltspunkte dafür zählen sollen, dass der erzielte Verkaufserlös nicht dem tatsächlichen Wert entspricht. Derartige Umstände liegen hier - anders als das OLG meint - angesichts der unterschiedlichen Wertangaben in den Gutachten und dem davon abweichenden erzielten Kaufpreis sowie der von der Klägerin geäußerten Vermutung einer unter dem Verkehrswert erfolgten Veräußerung des Grundstücks vor.
Der Klägerin steht allerdings nicht der von ihr geltend gemachte und vom LG tenorierte Anspruch auf Ermittlung des Wertes der Immobilie durch Vorlage eines Wertgutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen zu. Die Qualifikation des Sachverständigen ist in § 2314 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB nicht geregelt. Maßgebend ist alleine, dass der Wert des Nachlassgegenstandes durch einen unparteiischen Sachverständigen ermittelt wird, unabhängig davon, ob er öffentlich bestellt und vereidigt ist oder nicht.