Architekt und Bauunternehmer sind keine Gesamtschuldner
BGH v. 1.12.2022 - VII ZR 90/22Die Klägerin ist eine Versicherungsgesellschaft und Haftpflichtversicherer eines Architekten. Diesen hatte die Bauherrin im März 2003 für den Bau eines Einfamilienhauses mit den Leistungen der Leistungsphasen 1 bis 9 nach § 15 HOAl (2002) beauftragt. Im Architektenvertrag wurde eine Teilabnahme nach Abschluss der Objektüberwachung (Leistungsphase 8) vereinbart.
Am 2.12.2003 hatte die Bauherrin die Beklagte zu 1) mit der Ausführung von Blechnerarbeiten beauftragt. Außerdem hatte sie am 19.4.2004 die Beklagten zu 2) und 3) mit der Ausführung von Gipserarbeiten beauftragt. Die Abnahme der Werkleistungen der Beklagten zu 1) bis 3) und die Teilabnahme der Leistungen des Architekten nach Abschluss der Objektüberwachung (also für die Leistungen entsprechend den Leistungsphasen 1 bis 8) erfolgte in den Jahren 2004 und 2005. Im Jahr 2005 rügte die Bauherrin Feuchtigkeit an mehreren Stellen. Im Jahr 2006 wurde ein weiterer Wasserschaden entdeckt. Die Beklagte zu 1) nahm im Jahr 2006 Arbeiten an dem Anwesen vor.
Nachdem Mängelansprüche der Bauherrin gegen den Architekten für die Leistungen bis zur Objektüberwachung (Leistungsphasen 1 bis 8) und Mängelansprüche der Bauherrin gegen die Beklagten zu 1) bis 3) verjährt waren, leitete die Bauherrin im Jahr 2011 gegen den Architekten ein selbständiges Beweisverfahren ein und nahm ihn im anschließenden Hauptsacheverfahren auf Zahlung von Schadensersatz wegen Verletzung der Pflichten aus dem Architektenvertrag in Anspruch. Der Architekt erhob die Verjährungseinrede. Weil der Schadensersatzanspruch der Bauherrin (nur) wegen der Verletzung von Pflichten des Architekten bei Leistungen entsprechend der Leistungsphase 9 nicht verjährt und nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auch begründet war, schloss der Architekt mit der Bauherrin am 21.12.2018 einen Vergleich, in dem er sich zur Zahlung von 225.000 € und zur Tragung von 60 % der Kosten des Rechtsstreits verpflichtete.
Die Klägerin zahlte aufgrund des Vergleichs 188.270 € an die Bauherrin. Im vorliegenden Prozess auf Gesamtschuldnerausgleich machte die Klägerin geltend, dass zwischen dem Architekten und den Beklagten ein Gesamtschuldverhältnis bestehe. Sie machte insbesondere geltend, dass die Haftung des Architekten gegenüber der Bauherrin wegen Pflichtverletzungen in der Leistungsphase 9 darin bestehe, dass der Architekt die sachverständige Untersuchung von nach der Abnahme der Bauleistungen aufgetretenen Feuchtigkeitserscheinungen mit der Folge unterlassen habe, dass darauf bezogene Mängelansprüche der Bauherrin gegen die Baubeteiligten nicht mehr durchsetzbar gewesen seien. Der Beklagte zu 2) hat die Einrede der Verjährung erhoben.
Das LG hat die Klage insgesamt abgewiesen. Auch die hiergegen gerichteten Rechtsmittel der Klägerin blieben erfolglos.
Gründe:
Die Voraussetzungen eines Gesamtschuldverhältnisses waren nicht erfüllt. Schulden mehrere eine Leistung in der Weise, dass jeder die ganze Leistung zu bewirken verpflichtet, der Gläubiger aber die Leistung nur einmal zu fordern berechtigt ist (Gesamtschuldner), so kann der Gläubiger die Leistung nach seinem Belieben von jedem der Schuldner ganz oder zu einem Teil fordern (§ 421 Satz 1 BGB). Die Erfüllung durch einen Gesamtschuldner wirkt auch für die übrigen Schuldner (§ 422 Abs. 1 Satz 1 BGB). Wegen fehlender Gleichstufigkeit der Verpflichtungen einerseits des mit der Objektbegehung beauftragten Architekten und andererseits des bauausführenden Unternehmers scheidet ein Gesamtschuldverhältnis mangels Tilgungsgemeinschaft aus.
Voraussetzung einer gesamtschuldnerischen Haftung ist, dass zwischen den Haftenden aufgrund der Gleichstufigkeit der Verpflichtungen eine Tilgungsgemeinschaft besteht. Sie fehlt, wenn der Leistungszweck der einen gegenüber der anderen Verpflichtung nachrangig ist. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze waren die Voraussetzungen eines Gesamtschuldverhältnisses hier nicht erfüllt. Soweit der Bauherrin einerseits gegen den Architekten ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der vertraglichen Objektbegehungspflicht zusteht und ihr andererseits Mängelansprüche gegen den Beklagten zu 2) wegen diesem zuzurechnender Mängel des Bauwerks zustehen, fehlt es mangels Gleichstufigkeit der Verpflichtungen an einer Tilgungsgemeinschaft.
Der genannte Schadensersatzanspruch gegen den Architekten ist nicht vor Eintritt der Verjährung der gegen den Beklagten zu 2) gerichteten Mängelansprüche entstanden, weil der seitens der Bauherrin vom Architekten insoweit ersetzt verlangte Schaden nicht vor Eintritt der Verjährung der gegen den Beklagten zu 2) gerichteten Mängelansprüche eingetreten war. Eine Erfüllung der gegen den Beklagten zu 2) gerichteten Mängelansprüche durch diesen vor Eintritt der Verjährung dieser Ansprüche würde nicht als Erfüllung für den Architekten wirken, sondern dazu führen, dass der genannte Schadensersatzanspruch gegen den Architekten gar nicht erst entsteht.
Aufsatz
Markus Wessel
Honorare für Architekten und Ingenieure
MDR 2022, 1510
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