Auch geschiedene Ehegatten gehören derselben Familie Familie i.S.d. § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB an
BGH v. 2.9.2020 - VIII ZR 35/19
Der Sachverhalt:
Der Beklagte zu 1) mietete im Juli 2001 von dem damaligen Eigentümer, dem Vater des Klägers zu 2), ein Einfamilienhaus. Er bewohnt die Immobilie gemeinsam mit seiner Ehefrau, der Beklagten zu 2). Der Vater des Klägers zu 2) veräußerte das Grundstück an die Kläger, die im September 2015 als Eigentümer im Grundbuch eingetragen wurden. Zu diesem Zeitpunkt waren sie noch verheiratet, lebten aber bereits seit 2013 getrennt. Die Ehe der Kläger, aus der zwei gemeinsame Kinder (geboren 2009 bzw. 2011) hervorgegangen sind, wurde im Juli 2016 geschieden.
Im Mai 2017 erklärten die Kläger gegenüber dem Beklagten zu 1) schriftlich die Kündigung des Mietverhältnisses zum 28.2.2018 mit der Begründung, die Klägerin zu 1) benötige das Haus für sich, da sie mit ihren beiden minderjährigen Kindern und ihrem neuen Lebensgefährten dort einziehen wolle. Derzeit lebe sie mit ihren Kindern und ihrem Lebensgefährten zur Miete in einer Wohnung des Vaters des Klägers zu 2) und wolle aufgrund ihrer zwischenzeitlichen Scheidung aus der Immobilie ihres früheren Schwiegervaters in ihr Eigentum ziehen. Zudem würde sich durch den Umzug der Schulweg der beiden Kinder deutlich verkürzen, so dass diese den Schulweg zu Fuß zurücklegen könnten und sich die Klägerin täglich eine Fahrstrecke von 12 km erspare.
AG und LG gaben der Räumungsklage statt. Die Revision der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Den Klägern steht gegen die Beklagten als Gesamtschuldner ein Anspruch auf Räumung und Herausgabe des mit Wohnhaus und Garage bebauten Grundstücks zu (§ 546 Abs. 1, 2, § 985 BGB), weil die Kündigung der Kläger im Mai 2017 das Mietverhältnis beendet hat. Die dreijährige Kündigungssperre des § 577a Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 BGB findet schon deshalb keine Anwendung, weil Ehegatten auch nach der Scheidung noch "derselben Familie" (§ 577 Abs. 1a Satz 2 BGB) angehören und es deshalb auf die vom LG vorgenommene Differenzierung zwischen bloßer Trennung und Scheidung der Ehegatten nicht ankommt.
Die Privilegierung von Familien- und Haushaltsangehörigen in § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB ist bei der Einfügung des § 577a Abs. 1a BGB durch das Mietrechtsänderungsgesetz vom 11.3.2013 der Regelung des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB nachgebildet worden. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers soll zur Auslegung der Vorschrift auf die zu § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden. Als Anknüpfungspunkt dafür, wie weit der Kreis der Familienangehörigen in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB zu ziehen ist, hatte der Senat zuvor bereits in seinem Urteil vom 27.1.2010 (VIII ZR 159/09) die Wertungen der Regelungen über ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen herangezogen. Diese konkretisieren mit Rücksicht auf eine typisierte persönliche Nähebeziehung den Kreis privilegierter Familienangehöriger, und zwar unabhängig davon, ob tatsächlich eine persönliche Bindung besteht.
Damit sind diejenigen Personen, denen das Prozessrecht ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen gewährt, unabhängig vom Vorliegen eines konkreten, tatsächlichen Näheverhältnisses Familienangehörige gem. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB, zu deren Gunsten eine Eigenbedarfskündigung ausgesprochen werden kann. Hierunter fallen Ehegatten auch dann, wenn sie getrennt leben, ein Scheidungsantrag bereits eingereicht oder die Scheidung vollzogen ist. Denn gem. § 383 Abs. 1 Nr. 2 ZPO (ebenso nach § 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO) ist ein Ehegatte selbst dann zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt, wenn die Ehe nicht mehr besteht. Für den Begriff des Familienangehörigen gem. § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB gilt dasselbe; auch insoweit ist der Ehegatte unabhängig vom Fortbestand der Ehe Familienangehöriger, so dass die Sperrfrist bei Erwerb durch Ehegatten oder geschiedene Ehegatten nicht eingreift.
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Der Beklagte zu 1) mietete im Juli 2001 von dem damaligen Eigentümer, dem Vater des Klägers zu 2), ein Einfamilienhaus. Er bewohnt die Immobilie gemeinsam mit seiner Ehefrau, der Beklagten zu 2). Der Vater des Klägers zu 2) veräußerte das Grundstück an die Kläger, die im September 2015 als Eigentümer im Grundbuch eingetragen wurden. Zu diesem Zeitpunkt waren sie noch verheiratet, lebten aber bereits seit 2013 getrennt. Die Ehe der Kläger, aus der zwei gemeinsame Kinder (geboren 2009 bzw. 2011) hervorgegangen sind, wurde im Juli 2016 geschieden.
Im Mai 2017 erklärten die Kläger gegenüber dem Beklagten zu 1) schriftlich die Kündigung des Mietverhältnisses zum 28.2.2018 mit der Begründung, die Klägerin zu 1) benötige das Haus für sich, da sie mit ihren beiden minderjährigen Kindern und ihrem neuen Lebensgefährten dort einziehen wolle. Derzeit lebe sie mit ihren Kindern und ihrem Lebensgefährten zur Miete in einer Wohnung des Vaters des Klägers zu 2) und wolle aufgrund ihrer zwischenzeitlichen Scheidung aus der Immobilie ihres früheren Schwiegervaters in ihr Eigentum ziehen. Zudem würde sich durch den Umzug der Schulweg der beiden Kinder deutlich verkürzen, so dass diese den Schulweg zu Fuß zurücklegen könnten und sich die Klägerin täglich eine Fahrstrecke von 12 km erspare.
AG und LG gaben der Räumungsklage statt. Die Revision der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Den Klägern steht gegen die Beklagten als Gesamtschuldner ein Anspruch auf Räumung und Herausgabe des mit Wohnhaus und Garage bebauten Grundstücks zu (§ 546 Abs. 1, 2, § 985 BGB), weil die Kündigung der Kläger im Mai 2017 das Mietverhältnis beendet hat. Die dreijährige Kündigungssperre des § 577a Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 BGB findet schon deshalb keine Anwendung, weil Ehegatten auch nach der Scheidung noch "derselben Familie" (§ 577 Abs. 1a Satz 2 BGB) angehören und es deshalb auf die vom LG vorgenommene Differenzierung zwischen bloßer Trennung und Scheidung der Ehegatten nicht ankommt.
Die Privilegierung von Familien- und Haushaltsangehörigen in § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB ist bei der Einfügung des § 577a Abs. 1a BGB durch das Mietrechtsänderungsgesetz vom 11.3.2013 der Regelung des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB nachgebildet worden. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers soll zur Auslegung der Vorschrift auf die zu § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden. Als Anknüpfungspunkt dafür, wie weit der Kreis der Familienangehörigen in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB zu ziehen ist, hatte der Senat zuvor bereits in seinem Urteil vom 27.1.2010 (VIII ZR 159/09) die Wertungen der Regelungen über ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen herangezogen. Diese konkretisieren mit Rücksicht auf eine typisierte persönliche Nähebeziehung den Kreis privilegierter Familienangehöriger, und zwar unabhängig davon, ob tatsächlich eine persönliche Bindung besteht.
Damit sind diejenigen Personen, denen das Prozessrecht ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen gewährt, unabhängig vom Vorliegen eines konkreten, tatsächlichen Näheverhältnisses Familienangehörige gem. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB, zu deren Gunsten eine Eigenbedarfskündigung ausgesprochen werden kann. Hierunter fallen Ehegatten auch dann, wenn sie getrennt leben, ein Scheidungsantrag bereits eingereicht oder die Scheidung vollzogen ist. Denn gem. § 383 Abs. 1 Nr. 2 ZPO (ebenso nach § 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO) ist ein Ehegatte selbst dann zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt, wenn die Ehe nicht mehr besteht. Für den Begriff des Familienangehörigen gem. § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB gilt dasselbe; auch insoweit ist der Ehegatte unabhängig vom Fortbestand der Ehe Familienangehöriger, so dass die Sperrfrist bei Erwerb durch Ehegatten oder geschiedene Ehegatten nicht eingreift.