Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge gegen den ausdrücklich erklärten Willen eines 13jährigen Kindes
AG Frankenthal v. 1.6.2021 - 71 F 108/21
Der Sachverhalt:
Die Beteiligten sind die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern eines 13jährigen Kindes. Die Mutter begehrt die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge. Zwischen dem Kind und dem Antragsgegner bestand seit geraumer Zeit kein Kontakt mehr; jedenfalls seit ungefähr zwei Jahren ist der Kontakt gänzlich abgebrochen. Die Eltern kommunizieren ebenfalls kaum miteinander, die Mutter hat die wesentlichen Entscheidungen für das bei ihr wohnende Kind in der Vergangenheit alleine getroffen. Die Kommunikation beschränkte sich im genannten Zeitraum auf WhatsApp-Chats. Der Vater zahlt für das Kind Kindesunterhalt. Die Mutter beantragte die Übertragung der alleinigen Sorge auf sich. Zum einen entspreche dies dem Wunsch des Kindes, zum anderen sei der Antragsgegner an dem Kind nicht interessiert und übe daher die elterliche Sorge faktisch nicht aus. Der Antragsgegner hat sich dem Antrag widersetzt. Er hat anerkannt, dass er sich zuletzt wenig um das Kind gekümmert hat, möchte aber an der elterlichen Sorge festhalten.
Das AG hat den Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge zurückgewiesen.
Die Gründe:
Gemäß § 1671 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 2 BGB kann jeder Elternteil, wenn Eltern nicht nur vorübergehend getrennt leben und ihnen die elterliche Sorge gemeinsam zusteht, beantragen, dass ihm das Familiengericht die elterliche Sorge alleine überträgt. Dem Antrag ist stattzugeben, soweit zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Gleichgültigkeit eines Elternteils kann nur dann Grundlage für eine gerichtliche Entscheidung der elterlichen Sorge werden, wenn der betreffende Elternteil sich überhaupt nicht um das Kind kümmert. Mangelndes Engagement muss aber nicht zur alleinigen Sorge führen, wenn die Eltern sonst zusammenarbeiten können und das gebotene Maß an Gemeinsamkeiten und wenigstens ein gewisses Interesse für das Kind vorhanden ist. Ein Elternteil kann für die Entwicklung des Kindes zurücktreten und damit weniger wichtig bleiben, während der Andere für die tägliche Erziehungsarbeit zuständig war und ist, ohne dass sich weitere Auswirkungen für die Entwicklung des Kindes ergeben. Oft haben sich die Eltern für dieses Modell auch schon vor der Trennung entschieden - dann treten ohnehin keine Änderungen ein. Motivlage und tatsächliche Hintergründe entziehen sich einer Bewertung von außen fast zwingend. Erkennbare Zurückhaltung ist kein Zeichen von Verantwortungslosigkeit. Verzicht für sich kann wohlbedacht sein, auch um gerade das Kind belastenden Streit zu vermeiden. Maßstab ist wie immer das Wohl des Kindes. Zeigt ein Elternteil aber nachhaltig kein Interesse an der Entwicklung des Kindes und pflegt keinerlei Kontakt zum Kind, sondern überlässt dem anderen Elternteil die Sorge mit allen Entscheidungen alleine, dann stellt sich berechtigt die Frage, welche gemeinsame Sorge hier noch ausgeübt wird, sodass auf Antrag die Sorge auf den diese tatsächlich ausübenden Elternteil ggf. zu übertragen ist.
Mit diesem Maßstab ist die gemeinsame elterliche Sorge im vorliegenden Fall nicht aufzuheben. Zwar ist der Antragstellerin zuzugestehen, dass sich die Kommunikation auf ein Mindestmaß beschränkt. Allerdings haben sich auch keine Umstände ergeben, zu denen etwa der Antragsgegner für die Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht zur Verfügung gestanden hätte. Eine gewisse aktive Grundverantwortung übt der Antragsgegner zudem dadurch aus, dass er den Kindesunterhalt regelmäßig bezahlt. Schließlich ergibt sich aus den vorgelegten Chatverlaufsprotokollen, dass der Antragsgegner grundsätzlich an dem Kind Interesse gezeigt hat. Vor diesem Hintergrund kann von einer gänzlichen Gleichgültigkeit nicht ausgegangen werden, wenngleich durch die Tatsache, dass sich der Antragsgegner etwa zu den letzten Geburtstagen des Kindes nicht gemeldet hat, nachvollziehbar der Anschein einer Interessenlosigkeit zu sehen ist. Weiter ist zu berücksichtigen, dass sich keine zu entscheidenden Konflikte der Eltern in wesentlichen Belangen abzeichnen, der Vater sich in jeder Hinsicht kooperationsbereit erklärt hat und Entscheidungen von wesentlicher Bedeutung, die das Einvernehmen beider Eltern voraussetzen würden, nicht bevorstehen. In der Vergangenheit haben die Eltern eine Kindeswohl dienliche Entscheidung praktizieren können. Die Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge ist auch vor dem Hintergrund, dass sich das Kind in der persönlichen Anhörung ausdrücklich für die Alleinsorge der Mutter ausgesprochen hat, geboten. Zwar ist der Wunsch des nunmehr 13jährigen Kindes grundsätzlich anzuerkennen. Indes kommt ihm nicht die alleinige oder entscheidende Bedeutung zu. Denn es ist im Rahmen der persönlichen Anhörung offenbar geworden, dass das Kind aufgrund der Erfahrungen der letzten beiden Jahre von dem Antragsgegner enttäuscht ist, diesen indes jedoch nicht gänzlich und dauerhaft ausschließen möchte. Eine Auseinandersetzung mit dem Vater und der Vater-Sohn-Beziehung entspricht auch entwicklungspsychologisch der weiteren persönlichen Entwicklung des Kindes am besten, sodass das Gericht insgesamt die Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge auch vor diesem Hintergrund als kindeswohldienlicher ansieht.
AG Frankenthal PM vom 17.6.2021
Die Beteiligten sind die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern eines 13jährigen Kindes. Die Mutter begehrt die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge. Zwischen dem Kind und dem Antragsgegner bestand seit geraumer Zeit kein Kontakt mehr; jedenfalls seit ungefähr zwei Jahren ist der Kontakt gänzlich abgebrochen. Die Eltern kommunizieren ebenfalls kaum miteinander, die Mutter hat die wesentlichen Entscheidungen für das bei ihr wohnende Kind in der Vergangenheit alleine getroffen. Die Kommunikation beschränkte sich im genannten Zeitraum auf WhatsApp-Chats. Der Vater zahlt für das Kind Kindesunterhalt. Die Mutter beantragte die Übertragung der alleinigen Sorge auf sich. Zum einen entspreche dies dem Wunsch des Kindes, zum anderen sei der Antragsgegner an dem Kind nicht interessiert und übe daher die elterliche Sorge faktisch nicht aus. Der Antragsgegner hat sich dem Antrag widersetzt. Er hat anerkannt, dass er sich zuletzt wenig um das Kind gekümmert hat, möchte aber an der elterlichen Sorge festhalten.
Das AG hat den Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge zurückgewiesen.
Die Gründe:
Gemäß § 1671 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 2 BGB kann jeder Elternteil, wenn Eltern nicht nur vorübergehend getrennt leben und ihnen die elterliche Sorge gemeinsam zusteht, beantragen, dass ihm das Familiengericht die elterliche Sorge alleine überträgt. Dem Antrag ist stattzugeben, soweit zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Gleichgültigkeit eines Elternteils kann nur dann Grundlage für eine gerichtliche Entscheidung der elterlichen Sorge werden, wenn der betreffende Elternteil sich überhaupt nicht um das Kind kümmert. Mangelndes Engagement muss aber nicht zur alleinigen Sorge führen, wenn die Eltern sonst zusammenarbeiten können und das gebotene Maß an Gemeinsamkeiten und wenigstens ein gewisses Interesse für das Kind vorhanden ist. Ein Elternteil kann für die Entwicklung des Kindes zurücktreten und damit weniger wichtig bleiben, während der Andere für die tägliche Erziehungsarbeit zuständig war und ist, ohne dass sich weitere Auswirkungen für die Entwicklung des Kindes ergeben. Oft haben sich die Eltern für dieses Modell auch schon vor der Trennung entschieden - dann treten ohnehin keine Änderungen ein. Motivlage und tatsächliche Hintergründe entziehen sich einer Bewertung von außen fast zwingend. Erkennbare Zurückhaltung ist kein Zeichen von Verantwortungslosigkeit. Verzicht für sich kann wohlbedacht sein, auch um gerade das Kind belastenden Streit zu vermeiden. Maßstab ist wie immer das Wohl des Kindes. Zeigt ein Elternteil aber nachhaltig kein Interesse an der Entwicklung des Kindes und pflegt keinerlei Kontakt zum Kind, sondern überlässt dem anderen Elternteil die Sorge mit allen Entscheidungen alleine, dann stellt sich berechtigt die Frage, welche gemeinsame Sorge hier noch ausgeübt wird, sodass auf Antrag die Sorge auf den diese tatsächlich ausübenden Elternteil ggf. zu übertragen ist.
Mit diesem Maßstab ist die gemeinsame elterliche Sorge im vorliegenden Fall nicht aufzuheben. Zwar ist der Antragstellerin zuzugestehen, dass sich die Kommunikation auf ein Mindestmaß beschränkt. Allerdings haben sich auch keine Umstände ergeben, zu denen etwa der Antragsgegner für die Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht zur Verfügung gestanden hätte. Eine gewisse aktive Grundverantwortung übt der Antragsgegner zudem dadurch aus, dass er den Kindesunterhalt regelmäßig bezahlt. Schließlich ergibt sich aus den vorgelegten Chatverlaufsprotokollen, dass der Antragsgegner grundsätzlich an dem Kind Interesse gezeigt hat. Vor diesem Hintergrund kann von einer gänzlichen Gleichgültigkeit nicht ausgegangen werden, wenngleich durch die Tatsache, dass sich der Antragsgegner etwa zu den letzten Geburtstagen des Kindes nicht gemeldet hat, nachvollziehbar der Anschein einer Interessenlosigkeit zu sehen ist. Weiter ist zu berücksichtigen, dass sich keine zu entscheidenden Konflikte der Eltern in wesentlichen Belangen abzeichnen, der Vater sich in jeder Hinsicht kooperationsbereit erklärt hat und Entscheidungen von wesentlicher Bedeutung, die das Einvernehmen beider Eltern voraussetzen würden, nicht bevorstehen. In der Vergangenheit haben die Eltern eine Kindeswohl dienliche Entscheidung praktizieren können. Die Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge ist auch vor dem Hintergrund, dass sich das Kind in der persönlichen Anhörung ausdrücklich für die Alleinsorge der Mutter ausgesprochen hat, geboten. Zwar ist der Wunsch des nunmehr 13jährigen Kindes grundsätzlich anzuerkennen. Indes kommt ihm nicht die alleinige oder entscheidende Bedeutung zu. Denn es ist im Rahmen der persönlichen Anhörung offenbar geworden, dass das Kind aufgrund der Erfahrungen der letzten beiden Jahre von dem Antragsgegner enttäuscht ist, diesen indes jedoch nicht gänzlich und dauerhaft ausschließen möchte. Eine Auseinandersetzung mit dem Vater und der Vater-Sohn-Beziehung entspricht auch entwicklungspsychologisch der weiteren persönlichen Entwicklung des Kindes am besten, sodass das Gericht insgesamt die Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge auch vor diesem Hintergrund als kindeswohldienlicher ansieht.