Außergerichtliche Inkassokosten können trotz späterer Einschaltung eines Rechtsanwaltes in voller Höhe erstattungsfähig sein
BGH v. 7.12.2022 - VIII ZR 81/21
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist ein regionales Energieversorgungsunternehmen. Sie belieferte den Beklagten mit Gas und Wasser. Da dieser seine Rechnungen nicht bezahlt hatte, mahnte die Klägerin die offenen Beträge mehrfach erfolglos an. Anfang 2019 beauftragte sie einen Inkassodienstleister mit dem Forderungseinzug. Nach weiteren vergeblichen Mahnungen beantragte dieser in Vertretung der Klägerin den Erlass eines Mahnbescheids. Hiergegen erhob der Beklagte - ohne nähere Begründung - Widerspruch. Mit der weiteren gerichtlichen Geltendmachung ihrer Forderungen beauftragte die Klägerin sodann einen Rechtsanwalt.
Die auf Zahlung einer Hauptforderung von 5.035 € gerichtete Klage war vor dem LG erfolgreich. Die von der Klägerin weiter eingeklagten Inkassokosten i.H.v. 480,20 € (1,3 Geschäftsgebühr nebst Auslagenpauschale), hat das LG nur in Höhe der nicht auf die Prozessgebühr anrechenbaren Geschäftsgebühr (0,65 zuzüglich Auslagenpauschale), mithin i.H.v. 250,10 €, als erstattungsfähig angesehen und die weitergehende Klage abgewiesen. Die Berufung hat das LG diesbezüglich zunächst nicht zugelassen. Auf eine Verfassungsbeschwerde der Klägerin hat das BVerfG wegen Verletzung deren Rechts aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG die Entscheidung insoweit aufgehoben, als darin hinsichtlich der Entscheidung über die Nebenforderungen (Inkassokosten) die Berufung nicht zugelassen worden war. Hiernach hat das LG die Berufung zugelassen.
Die auf Zahlung weiterer Inkassokosten in Höhe von 230,10 € gerichtete Berufung der Klägerin blieb vor dem OLG erfolglos. Auf die Revision der Klägerin hat der BGH das Berufungsurteil abgeändert und der Klage stattgegeben.
Gründe:
Rechtsfehlerhaft hat das OLG angenommen, der Anspruch der Klägerin auf Ersatz ihres Verzögerungsschadens (§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB) umfasse nicht die gesamten, von ihr außergerichtlich aufgewandten Inkassokosten. Anders als die Vorinstanz meinte, hat die Klägerin vorliegend mit der Beauftragung eines Inkassodienstleisters zur Einziehung ihrer Forderungen aus den Energielieferungen nicht gegen ihre Schadensminderungspflicht (§ 254 Abs. 2 Satz 1 BGB) verstoßen und muss sich daher nicht so behandeln lassen, als hätte sie den später - nach dem Widerspruch des Beklagten gegen den Mahnbescheid - mit der weiteren gerichtlichen Geltendmachung ihrer Ansprüche beauftragten Rechtsanwalt von vornherein eingeschaltet.
Es entspricht ständiger BGH-Rechtsprechung, dass der Schädiger diejenigen Kosten der Rechtsverfolgung zu ersetzen hat, die aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren. Maßgeblich ist die ex ante-Sicht einer vernünftigen, wirtschaftlich denkenden Person. Dabei sind keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Es kommt darauf an, wie sich die voraussichtliche Abwicklung des Schadensfalls aus der Sicht des Geschädigten darstellt. Infolgedessen war die Einschaltung eines Inkassodienstleisters durch die Klägerin - nachdem der Beklagte in Verzug war - erforderlich und zweckmäßig. Die Klägerin durfte aufgrund des unterbliebenen Bestreitens ihrer Forderungen daher aus ex-ante-Sicht davon ausgehen, dass sie den Beklagten mittels eines Inkassodienstleisters zu einer (Raten-)Zahlung bewegen, bzw. ihre Forderung im Mahnverfahren - vertreten durch den Inkassodienstleister (§ 79 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ZPO) - werde titulieren können.
Infolgedessen waren die - zutreffend - i.H. einer 1,3 Geschäftsgebühr (§ 4 Abs. 5 RDGEG a.F. i.V.m. Nr. 2300 VV RVG a.F.) geltend gemachten Inkassokosten nicht entsprechend der Vorbemerkung Nr. 4 zu Nr. 3100 Anlage 1 zu § 2 RVG i.V.m. § 15a RVG auf eine 0,65 Gebühr zu kürzen. Die Anrechnungsbestimmungen von Teil 3 Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG, § 15a Abs. 1 RVG finden ihren Grund in dem geringeren Einarbeitungs- und Vorbereitungsaufwand, den ein bereits vorgerichtlich mit der Angelegenheit befasster Rechtsanwalt hat, so dass eine Anrechnung nur in Betracht kommt, wenn im Innenverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant eine solche zu erfolgen hat. Entscheidend hierfür ist, ob der Rechtsanwalt zum Zeitpunkt des Entstehens der Verfahrensgebühr schon einen Anspruch auf eine Geschäftsgebühr aus seinem vorprozessualen Tätigwerden erlangt hat. Hat der erstmals im gerichtlichen Verfahren tätige Rechtsanwalt eine solche Gebühr nicht verdient, weil er - wie vorliegend - außergerichtlich noch nicht tätig geworden ist, scheidet eine Anrechnung dagegen aus. So lagen die Dinge hier.
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BGH online
Die Klägerin ist ein regionales Energieversorgungsunternehmen. Sie belieferte den Beklagten mit Gas und Wasser. Da dieser seine Rechnungen nicht bezahlt hatte, mahnte die Klägerin die offenen Beträge mehrfach erfolglos an. Anfang 2019 beauftragte sie einen Inkassodienstleister mit dem Forderungseinzug. Nach weiteren vergeblichen Mahnungen beantragte dieser in Vertretung der Klägerin den Erlass eines Mahnbescheids. Hiergegen erhob der Beklagte - ohne nähere Begründung - Widerspruch. Mit der weiteren gerichtlichen Geltendmachung ihrer Forderungen beauftragte die Klägerin sodann einen Rechtsanwalt.
Die auf Zahlung einer Hauptforderung von 5.035 € gerichtete Klage war vor dem LG erfolgreich. Die von der Klägerin weiter eingeklagten Inkassokosten i.H.v. 480,20 € (1,3 Geschäftsgebühr nebst Auslagenpauschale), hat das LG nur in Höhe der nicht auf die Prozessgebühr anrechenbaren Geschäftsgebühr (0,65 zuzüglich Auslagenpauschale), mithin i.H.v. 250,10 €, als erstattungsfähig angesehen und die weitergehende Klage abgewiesen. Die Berufung hat das LG diesbezüglich zunächst nicht zugelassen. Auf eine Verfassungsbeschwerde der Klägerin hat das BVerfG wegen Verletzung deren Rechts aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG die Entscheidung insoweit aufgehoben, als darin hinsichtlich der Entscheidung über die Nebenforderungen (Inkassokosten) die Berufung nicht zugelassen worden war. Hiernach hat das LG die Berufung zugelassen.
Die auf Zahlung weiterer Inkassokosten in Höhe von 230,10 € gerichtete Berufung der Klägerin blieb vor dem OLG erfolglos. Auf die Revision der Klägerin hat der BGH das Berufungsurteil abgeändert und der Klage stattgegeben.
Gründe:
Rechtsfehlerhaft hat das OLG angenommen, der Anspruch der Klägerin auf Ersatz ihres Verzögerungsschadens (§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB) umfasse nicht die gesamten, von ihr außergerichtlich aufgewandten Inkassokosten. Anders als die Vorinstanz meinte, hat die Klägerin vorliegend mit der Beauftragung eines Inkassodienstleisters zur Einziehung ihrer Forderungen aus den Energielieferungen nicht gegen ihre Schadensminderungspflicht (§ 254 Abs. 2 Satz 1 BGB) verstoßen und muss sich daher nicht so behandeln lassen, als hätte sie den später - nach dem Widerspruch des Beklagten gegen den Mahnbescheid - mit der weiteren gerichtlichen Geltendmachung ihrer Ansprüche beauftragten Rechtsanwalt von vornherein eingeschaltet.
Es entspricht ständiger BGH-Rechtsprechung, dass der Schädiger diejenigen Kosten der Rechtsverfolgung zu ersetzen hat, die aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren. Maßgeblich ist die ex ante-Sicht einer vernünftigen, wirtschaftlich denkenden Person. Dabei sind keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Es kommt darauf an, wie sich die voraussichtliche Abwicklung des Schadensfalls aus der Sicht des Geschädigten darstellt. Infolgedessen war die Einschaltung eines Inkassodienstleisters durch die Klägerin - nachdem der Beklagte in Verzug war - erforderlich und zweckmäßig. Die Klägerin durfte aufgrund des unterbliebenen Bestreitens ihrer Forderungen daher aus ex-ante-Sicht davon ausgehen, dass sie den Beklagten mittels eines Inkassodienstleisters zu einer (Raten-)Zahlung bewegen, bzw. ihre Forderung im Mahnverfahren - vertreten durch den Inkassodienstleister (§ 79 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ZPO) - werde titulieren können.
Infolgedessen waren die - zutreffend - i.H. einer 1,3 Geschäftsgebühr (§ 4 Abs. 5 RDGEG a.F. i.V.m. Nr. 2300 VV RVG a.F.) geltend gemachten Inkassokosten nicht entsprechend der Vorbemerkung Nr. 4 zu Nr. 3100 Anlage 1 zu § 2 RVG i.V.m. § 15a RVG auf eine 0,65 Gebühr zu kürzen. Die Anrechnungsbestimmungen von Teil 3 Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG, § 15a Abs. 1 RVG finden ihren Grund in dem geringeren Einarbeitungs- und Vorbereitungsaufwand, den ein bereits vorgerichtlich mit der Angelegenheit befasster Rechtsanwalt hat, so dass eine Anrechnung nur in Betracht kommt, wenn im Innenverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant eine solche zu erfolgen hat. Entscheidend hierfür ist, ob der Rechtsanwalt zum Zeitpunkt des Entstehens der Verfahrensgebühr schon einen Anspruch auf eine Geschäftsgebühr aus seinem vorprozessualen Tätigwerden erlangt hat. Hat der erstmals im gerichtlichen Verfahren tätige Rechtsanwalt eine solche Gebühr nicht verdient, weil er - wie vorliegend - außergerichtlich noch nicht tätig geworden ist, scheidet eine Anrechnung dagegen aus. So lagen die Dinge hier.
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