30.05.2023

Außerordentliche Kündigung eines Fitnessstudiovertrags wegen pandemiebedingter Nachteile nur im Ausnahmefall

Die außerordentliche Kündigung eines Fitnessstudiovertrags durch den Kunden mit der Begründung, er könne wegen pandemiebedingten Betriebsschließungen und -beschränkungen das Fitnessstudio nicht im vertraglich vereinbarten Umfang nutzen, kommt nur im Ausnahmefall in Betracht. Zum Zeitpunkt des zweiten Lockdowns wurde in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung verbreitet die Auffassung vertreten, ein Fitnessstudiovertrag sei wegen Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB dahingehend anzupassen, dass sich die vereinbarte Vertragslaufzeit um die Zeit, in der das Fitnessstudio geschlossen werden musste, verlängert.

BGH v. 19.4.2023 - XII ZR 24/22
Der Sachverhalt:
Die Klägerin war seit Dezember 2019 Mitglied im Fitnessstudio der Beklagten mit einer Laufzeit von 100 Wochen. Aufgrund der Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie musste die Beklagte das Fitnessstudio vom 17.3.2020 bis Mitte Mai 2020 (erster Lockdown) schließen. Die Mitgliedsbeiträge von monatlich 34,95 € für diesen Zeitraum zog sie weiterhin vom Konto der Klägerin ein. Sie bot der Klägerin aber kostenlose Trainingswochen nach Wiedereröffnung des Fitnessstudios an. Am 31.5.2020 unterzeichnete die Klägerin einen von der Beklagten vorbereiteten "Ruhezeitantrag" über eine Unterbrechung der Mitgliedschaft für zehn Wochen.

Nach der Wiedereröffnung des Fitnessstudios bestanden aufgrund der hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie verschiedene Nutzungseinschränkungen, insbesondere konnten die Duschen und die Sauna nicht genutzt werden. Am 2.11.2020 musste die Klägerin das Fitnessstudio erneut schließen. Während dieses zweiten Lockdowns, der bis zum 31.5.2021 dauerte, zog die Beklagte keine Mitgliedsbeiträge ein.

Die Klägerin kündigte am 25.11.2020 ihre Mitgliedschaft zum 30.11.2020. Die Beklagte wies die Kündigung zurück. Die Klägerin begehrte gerichtlich die Feststellung, dass das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien infolge der Kündigung vom 25.11.2020 mit Ablauf des 30.11.2020, hilfsweise mit Ablauf des 16.11.2021, weiter hilfsweise mit Ablauf des 25.1.2022 beendet wurde. Das AG hat der Klage unter Klageabweisung im Übrigen im Hinblick auf den zweiten Hilfsantrag stattgegeben. LG und BGH haben die Entscheidung bestätigt.

Gründe:
Der zwischen den Parteien abgeschlossene Fitnessstudiovertrag wurde trotz der von der Klägerin erklärten außerordentlichen Kündigung erst mit Ablauf der vertraglich vereinbarten und einverständlich verlängerten Laufzeit zum 25.1.2022 beendet.

Der Senat hat nach Erlass des angefochtenen Berufungsurteils entschieden, dass es dem Betreiber eines Fitnessstudios in dem Zeitraum, in dem er aufgrund hoheitlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie sein Studio schließen musste, rechtlich unmöglich i.S.v. § 275 Abs. 1 BGB war, seinen Kunden die Möglichkeit zur vertragsgemäßen Nutzung des Fitnessstudios zu gewähren und damit seine vertraglich geschuldete Hauptleistungspflicht zu erfüllen. Dies führte dazu, dass der Betreiber des Fitnessstudios während des Schließungszeitraums von seiner Leistungsverpflichtung frei wurde, er aber gem. § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB seinen Anspruch auf die Gegenleistung verlor und bereits gezahltes Nutzungsentgelt zurückerstatten muss. Deshalb musste die Klägerin im vorliegenden Fall während des Zeitraums der erneuten Schließung des Fitnessstudios ab dem 2.11.2020 bis zu dessen Wiedereröffnung nach Ende des zweiten Lockdowns keine Zahlungen mehr an die Beklagte erbringen. Da diese nach den getroffenen Feststellungen während des erneuten Schließungszeitraums auch keine Beiträge mehr eingezogen hatte, musste die Klägerin nicht fürchten, zu Unrecht geleistete Beiträge nicht mehr zurückzuerhalten und damit das Insolvenzrisiko der Beklagten tragen zu müssen.

Zwar trifft es zu, dass bei einem Fitnessstudiovertrag mit mehrmonatiger fester Vertragslaufzeit gegen Zahlung eines monatlich fällig werdenden Entgelts der Betreiber des Fitnessstudios seinem Vertragspartner die Möglichkeit, fortlaufend das Studio zu betreten und die Trainingsgeräte zu nutzen, schuldet. Denn der Zweck eines Fitnessstudiovertrags liegt in der regelmäßigen sportlichen Betätigung und damit entweder in der Erreichung bestimmter Fitnessziele oder zumindest der Erhaltung von Fitness und körperlicher Gesundheit. Die Klägerin konnte jedoch während des Lockdowns auch nicht auf ein anderes Fitnessstudio ausweichen, weil alle Fitnessstudios im Bundesgebiet schließen mussten. Weshalb die Bindung an den abgeschlossenen Vertrag, ohne dass damit eine wirtschaftliche Belastung einherging, es der Klägerin unmöglich gemacht oder erschwert haben soll, sich anderen sportlichen Betätigungen zur Erreichung ihrer Fitnessziele zuzuwenden, nicht ersichtlich war.

Zwar traf letztlich auch zu, dass eine Vertragspartei, die von der anderen Vertragspartei etwas verlangt, das ihr nach dem Vertrag nicht geschuldet ist, oder ein Gestaltungsrecht ausübt, das nicht besteht, ihre Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB verletzt und sich ein Recht zur außerordentlichen Kündigung auch aus der Verletzung von Schutzpflichten nach § 241 Abs. 2 BGB ergeben kann. Die Verletzung vertraglicher Pflichten berechtigt zur außerordentlichen Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses jedoch nur, wenn sie so schwerwiegend ist, dass durch sie das Vertrauensverhältnis zwischen den Vertragspartnern in einem Maß beeinträchtigt wird, dass dem Kündigenden ein Festhalten an dem Vertrag nicht mehr zumutbar ist. Und dies war vorliegend nicht der Fall. Denn zum Zeitpunkt des zweiten Lockdowns wurde in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung verbreitet die Auffassung vertreten, ein Fitnessstudiovertrag sei wegen Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB dahingehend anzupassen, dass sich die vereinbarte Vertragslaufzeit um die Zeit, in der das Fitnessstudio geschlossen werden musste, verlängert.

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Aufsatz
Andreas Gran
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