Baulärm von benachbarter Großbaustelle rechtfertigt nicht zwangsläufig einen Anspruch auf Mietminderung
BGH v. 24.11.2021 - VIII ZR 258/19
Der Sachverhalt:
Die Kläger sind seit dem Jahr 2011 Mieter einer in einem Mehrfamilienhaus gelegenen Wohnung der Beklagten in Berlin, deren monatliche Bruttowarmmiete rund 777 € beträgt. Ab November 2017 errichtete die Streithelferin der Beklagten auf einem Grundstück gegenüber, das bis dahin als Kleingartenkolonie genutzt worden war, vier Wohngebäude mit sechs bis acht Vollgeschossen samt Unterkellerung und einer Tiefgarage.
Die Kläger hielten wegen des durch diese Baustelle auf ihre Wohnung einwirkenden Baulärms sowie wegen mit den Baumaßnahmen verbundener Staubentwicklung eine Mietminderung von 30 % seit November 2017 für angemessen. Das AG hat festgestellt, dass die Kläger seit Juni 2018 bis zur Beendigung der Außenarbeiten berechtigt seien, die Bruttowarmmiete für die von ihnen angemietete Wohnung um 15 % zu mindern; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Auf die Berufungen der Kläger, der Beklagten und der Streithelferin hat das LG das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert. Es hat die Beklagte zur Rückzahlung von rund 816 € (für die Monate November 2017 bis Mai 2018) nebst Zinsen verurteilt und zudem festgestellt, dass die Bruttowarmmiete für die von den Klägern angemietete Wohnung seit Juni 2018 bis einschließlich 17.7.2019 um 15 % gemindert gewesen sei; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Auf die Revision der Beklagten hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben, als darin zum Nachteil der Beklagten erkannt worden war und die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.
Gründe:
Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann eine Minderung der Miete gem. § 536 Abs. 1 BGB und demzufolge auch ein Anspruch der Kläger auf Rückzahlung überzahlter Miete aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB sowie auf Feststellung einer entsprechenden Mietminderung nicht bejaht werden. Das LG hat hinsichtlich der von ihm angenommenen Minderung der Miete um 15 % wegen Lärm- und Schmutzimmissionen, die von der Baustelle der Streithelferin auf die von den Klägern angemietete Wohnung eingewirkt haben sollen, unter pauschalem Verweis auf vermeintliche Typizitäten und unter bewusster Abweichung von der einschlägigen Senatsrechtsprechung bereits nicht die erforderlichen Feststellungen getroffen, ob und in welchem Ausmaß derartige Immissionen tatsächlich erfolgt sind und ob hierdurch eine mehr als nur unerhebliche Minderung der Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch eingetreten ist (§ 536 Abs. 1 Satz 2, 3 BGB).
Das Berufungsgericht ist rechtsfehlerhaft vom Vorliegen einer stillschweigend getroffenen Beschaffenheitsvereinbarung zur "Freiheit der Wohnung von Baulärm" und einem hiernach die Kläger zur Minderung der Miete berechtigenden Mangel ausgegangen. Mit Erfolg wendet sich die Revision gegen die Annahme des LG, dass die Freiheit einer Wohnung von Baulärm (mangels Existenz einer benachbarten Baustelle bei Abschluss des Mietvertrags, sonstiger beidseitiger Kenntnis eines entsprechenden Vorhabens oder ausdrücklicher abweichen-der Absprachen) regelmäßig und auch vorliegend stillschweigend Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung sei, da "im großstädtischen Kontext Baumaßnahmen zwar nicht unüblich sind, aber selbst dort und auch in Berlin die ganz überwiegende Mehrzahl der Mietwohnungen von entsprechenden Maßnahmen und den damit verbundenen erheblichen zusätzlichen Immissionen nicht betroffen ist".
Mit seinem allerdings erst nach Erlass des Berufungsurteils ergangenen Urteil vom 29.4.2020 hat der Senat darauf hingewiesen, dass diese Sichtweise mit seiner ständigen Rechtsprechung zu den Anforderungen an eine mietvertragliche Beschaffenheitsvereinbarung nicht zu vereinbaren ist (VIII ZR 31/18). Denn auch eine konkludente Beschaffenheitsvereinbarung setzt zwei übereinstimmende Willenserklärungen voraus. Für die Annahme einer solchen Willensübereinstimmung bezüglich einer "Umweltbedingung" reicht es jedoch nicht aus, dass der Mieter bei Vertragsschluss einen von außen auf die Mietsache (nicht) einwirkenden Umstand - wie hier die Abwesenheit von Baulärm - in einer für ihn vorteilhaften Weise wahrnimmt und er sich (möglicherweise auch) wegen dieses Umstands dafür entscheidet, die Wohnung anzumieten.
Es kommt vor allem darauf an, welche Regelung die Mietvertragsparteien bei sachgerechter Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte als redliche Vertragspartner getroffen hätten, wenn ihnen bei Vertragsschluss die von ihnen nicht bedachte Entwicklung in Gestalt der erhöhten Immissionsbelastung bewusst gewesen wäre. Hiernach begründen bei Fehlen anderslautender Beschaffenheitsvereinbarungen nachträglich erhöhte Geräusch- und Schmutzimmissionen durch Dritte jedenfalls dann grundsätzlich keinen gem. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB zur Mietminderung führenden Mangel einer Mietwohnung, wenn auch der Vermieter sie ohne eigene Abwehr- oder Entschädigungsmöglichkeiten als unwesentlich oder ortsüblich hinnehmen muss (§ 906 BGB); insoweit nimmt der Wohnungsmieter an der jeweiligen Situationsgebundenheit des Mietgrundstücks teil (Senatsurteile vom 29.4.2015, VIII ZR 197/14 und vom 29.4.2020, VIII ZR 31/18). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.
Ausgehend von der Nichtbeachtung der Grundsätze der einschlägigen Senatsrechtsprechung und der daraus resultierenden rechtsfehlerhaften Annahme, die Freiheit der Wohnung von Baulärm sei auch vorliegend Gegenstand einer stillschweigenden Beschaffenheitsvereinbarung geworden, hat das Berufungsgericht bislang nicht die erforderlichen Feststellungen dazu getroffen, ob und insbesondere in welchem Umfang im Streitfall die von den Klägern behaupteten Geräusch- und Schmutzimmissionen vorgelegen haben und ob hierdurch eine mehr als nur unerhebliche Minderung der Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch eingetreten ist (§ 536 Abs. 1 Satz 2, 3 BGB). Diese Feststellungen wird es nunmehr nachholen müssen.
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Die Kläger sind seit dem Jahr 2011 Mieter einer in einem Mehrfamilienhaus gelegenen Wohnung der Beklagten in Berlin, deren monatliche Bruttowarmmiete rund 777 € beträgt. Ab November 2017 errichtete die Streithelferin der Beklagten auf einem Grundstück gegenüber, das bis dahin als Kleingartenkolonie genutzt worden war, vier Wohngebäude mit sechs bis acht Vollgeschossen samt Unterkellerung und einer Tiefgarage.
Die Kläger hielten wegen des durch diese Baustelle auf ihre Wohnung einwirkenden Baulärms sowie wegen mit den Baumaßnahmen verbundener Staubentwicklung eine Mietminderung von 30 % seit November 2017 für angemessen. Das AG hat festgestellt, dass die Kläger seit Juni 2018 bis zur Beendigung der Außenarbeiten berechtigt seien, die Bruttowarmmiete für die von ihnen angemietete Wohnung um 15 % zu mindern; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Auf die Berufungen der Kläger, der Beklagten und der Streithelferin hat das LG das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert. Es hat die Beklagte zur Rückzahlung von rund 816 € (für die Monate November 2017 bis Mai 2018) nebst Zinsen verurteilt und zudem festgestellt, dass die Bruttowarmmiete für die von den Klägern angemietete Wohnung seit Juni 2018 bis einschließlich 17.7.2019 um 15 % gemindert gewesen sei; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Auf die Revision der Beklagten hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben, als darin zum Nachteil der Beklagten erkannt worden war und die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.
Gründe:
Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann eine Minderung der Miete gem. § 536 Abs. 1 BGB und demzufolge auch ein Anspruch der Kläger auf Rückzahlung überzahlter Miete aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB sowie auf Feststellung einer entsprechenden Mietminderung nicht bejaht werden. Das LG hat hinsichtlich der von ihm angenommenen Minderung der Miete um 15 % wegen Lärm- und Schmutzimmissionen, die von der Baustelle der Streithelferin auf die von den Klägern angemietete Wohnung eingewirkt haben sollen, unter pauschalem Verweis auf vermeintliche Typizitäten und unter bewusster Abweichung von der einschlägigen Senatsrechtsprechung bereits nicht die erforderlichen Feststellungen getroffen, ob und in welchem Ausmaß derartige Immissionen tatsächlich erfolgt sind und ob hierdurch eine mehr als nur unerhebliche Minderung der Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch eingetreten ist (§ 536 Abs. 1 Satz 2, 3 BGB).
Das Berufungsgericht ist rechtsfehlerhaft vom Vorliegen einer stillschweigend getroffenen Beschaffenheitsvereinbarung zur "Freiheit der Wohnung von Baulärm" und einem hiernach die Kläger zur Minderung der Miete berechtigenden Mangel ausgegangen. Mit Erfolg wendet sich die Revision gegen die Annahme des LG, dass die Freiheit einer Wohnung von Baulärm (mangels Existenz einer benachbarten Baustelle bei Abschluss des Mietvertrags, sonstiger beidseitiger Kenntnis eines entsprechenden Vorhabens oder ausdrücklicher abweichen-der Absprachen) regelmäßig und auch vorliegend stillschweigend Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung sei, da "im großstädtischen Kontext Baumaßnahmen zwar nicht unüblich sind, aber selbst dort und auch in Berlin die ganz überwiegende Mehrzahl der Mietwohnungen von entsprechenden Maßnahmen und den damit verbundenen erheblichen zusätzlichen Immissionen nicht betroffen ist".
Mit seinem allerdings erst nach Erlass des Berufungsurteils ergangenen Urteil vom 29.4.2020 hat der Senat darauf hingewiesen, dass diese Sichtweise mit seiner ständigen Rechtsprechung zu den Anforderungen an eine mietvertragliche Beschaffenheitsvereinbarung nicht zu vereinbaren ist (VIII ZR 31/18). Denn auch eine konkludente Beschaffenheitsvereinbarung setzt zwei übereinstimmende Willenserklärungen voraus. Für die Annahme einer solchen Willensübereinstimmung bezüglich einer "Umweltbedingung" reicht es jedoch nicht aus, dass der Mieter bei Vertragsschluss einen von außen auf die Mietsache (nicht) einwirkenden Umstand - wie hier die Abwesenheit von Baulärm - in einer für ihn vorteilhaften Weise wahrnimmt und er sich (möglicherweise auch) wegen dieses Umstands dafür entscheidet, die Wohnung anzumieten.
Es kommt vor allem darauf an, welche Regelung die Mietvertragsparteien bei sachgerechter Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte als redliche Vertragspartner getroffen hätten, wenn ihnen bei Vertragsschluss die von ihnen nicht bedachte Entwicklung in Gestalt der erhöhten Immissionsbelastung bewusst gewesen wäre. Hiernach begründen bei Fehlen anderslautender Beschaffenheitsvereinbarungen nachträglich erhöhte Geräusch- und Schmutzimmissionen durch Dritte jedenfalls dann grundsätzlich keinen gem. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB zur Mietminderung führenden Mangel einer Mietwohnung, wenn auch der Vermieter sie ohne eigene Abwehr- oder Entschädigungsmöglichkeiten als unwesentlich oder ortsüblich hinnehmen muss (§ 906 BGB); insoweit nimmt der Wohnungsmieter an der jeweiligen Situationsgebundenheit des Mietgrundstücks teil (Senatsurteile vom 29.4.2015, VIII ZR 197/14 und vom 29.4.2020, VIII ZR 31/18). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.
Ausgehend von der Nichtbeachtung der Grundsätze der einschlägigen Senatsrechtsprechung und der daraus resultierenden rechtsfehlerhaften Annahme, die Freiheit der Wohnung von Baulärm sei auch vorliegend Gegenstand einer stillschweigenden Beschaffenheitsvereinbarung geworden, hat das Berufungsgericht bislang nicht die erforderlichen Feststellungen dazu getroffen, ob und insbesondere in welchem Umfang im Streitfall die von den Klägern behaupteten Geräusch- und Schmutzimmissionen vorgelegen haben und ob hierdurch eine mehr als nur unerhebliche Minderung der Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch eingetreten ist (§ 536 Abs. 1 Satz 2, 3 BGB). Diese Feststellungen wird es nunmehr nachholen müssen.
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