22.08.2014

Baurechtlich zulässige Ausnutzung des Erbbaugrundstücks kann Geschäftsgrundlage darstellen

Die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses baurechtlich zulässige Ausnutzung des Erbbaugrundstücks ist für das Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung eines Erbbaurechtsvertrages regelmäßig ein wesentlicher Umstand. Sie kann als solcher durchaus Geschäftsgrundlage i.S.v. § 313 BGB sein.

BGH 23.5.2014, V ZR 208/12
Der Sachverhalt:
Die Kläger sind die Erben der im Verlauf des Rechtsstreits verstorbenen A. Diese hatte der Beklagten 1964 an einem 104 qm großen, im Innenstadtbereich einer Großstadt gelegenen Grundstück ein Erbbaurecht mit einer Laufzeit von 50 Jahren bis Ende 2014 bestellt. Darin wurde u.a. bestimmt, dass die Beklagte berechtigt sei, das auf dem Grundstück vorhandene Haus abbrechen zu lassen und durch ein neues Gebäude zu ersetzen, für dessen Gestaltung ausschließlich die baurechtlichen Vorschriften verbindlich seien. Der Erbbauzins betrug 33.000 DM jährlich.

Bei Vertragsschluss gab es für das Gebiet keinen Bebauungsplan. Das Haus auf dem Erbbaugrundstück hatte zwei Obergeschosse und ein Dachgeschoss. Der Bebauungsplan aus dem Jahr 1966 sah eine bauliche Nutzbarkeit des Grundstücks mit einer Geschossflächenzahl von 3,0 vor. Im Jahr 2008 beschloss die Stadt einen auf das Vorhaben der Beklagten - einen Neubau auf mehreren Grundstücken unter Einbeziehung des Erbbaugrundstücks - bezogenen Bebauungsplan, der die Geschossflächenzahl nicht mehr begrenzte und lediglich eine maximale Firsthöhe von 22,5 m vorsah. Die Beklagte errichtete einen Neubau mit zwei Tief- und fünf Obergeschossen.

Danach verhandelten die Parteien ohne Erfolg über eine Anpassung des Erbbauzinses. Die Kläger verlangten Zahlung eines erhöhten Erbbauzinses von mind. 156.000 € jährlich für die Zeit von Januar 2011 bis Dezember 2014 sowie eine Nachzahlung von mind. 68.992 € für die Zeit von Februar 2010 bis Ende 2010. LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Revision der Kläger hob der BGH das Berufungsurteil insoweit auf, als die Berufung gegen die Abweisung der Zahlungsanträge zurückgewiesen worden war und wies die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Gründe:
Das Berufungsgericht hatte rechtsfehlerhaft einen Anspruch wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB verneint.

Entgegen seiner Auffassung konnte ein solcher Anspruch nicht schon deshalb ausgeschlossen werden, weil dem Erbbaurechtsvertrag ein Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen der Nutzbarkeit des Erbbaugrundstücks und der Höhe des Erbbauzinses nicht zu entnehmen war. Das ist nämlich gerade Voraussetzung für einen Anspruch nach § 313 Abs. 1 BGB. Geschäftsgrundlage eines Vertrags kann nicht sein, was die Parteien vereinbart haben, sondern lediglich das, was sie ihrer Vereinbarung zugrunde gelegt haben. Die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage können nur einschlägig sein, wenn die Parteien zur Abhängigkeit des Erbbauzinses von der baulichen Nutzung des Erbbaugrundstücks nichts vereinbart haben.

Weiter verkannte das Berufungsgericht, dass die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses baurechtlich zulässige Ausnutzung des Erbbaugrundstücks für das Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung eines Erbbaurechtsvertrages regelmäßig ein wesentlicher Umstand ist und als solcher Geschäftsgrundlage i.S.v. § 313 BGB sein kann. Die baurechtlich zulässige Nutzung des Erbbaugrundstücks ist ein für das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung wesentlicher Umstand. Der Erbbauzins ist das von dem Erbbauberechtigten zu zahlende Entgelt für die Bestellung des Erbbaurechts. Die Äquivalenz der in einem Erbbaurechtsvertrag vereinbarten gegenseitigen Leistungen ist dann gegeben, wenn der Erbbauzins dem Wert des Erbbaurechts entspricht.

Bestimmt sich die vertraglich zulässige bauliche Nutzung des Erbbaurechtsgrundstücks nach dem öffentlich-rechtlichen Bauplanungsrecht (sog. dynamische Verweisung), führt eine Erhöhung der zulässigen Nutzung grundsätzlich nicht zu einer Störung des Äquivalenzverhältnisses und damit nicht zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage. Anders kann es ausnahmsweise liegen, wenn sich das Maß der baulichen Nutzung in einem von den Parteien nicht erwarteten Umfang erhöht. War eine Erhöhung der baulichen Nutzung, wie sie auf Grund des Bebauungsplans aus dem Jahr 2008 realisiert wurde, im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht zu erwarten, konnte auch dem Umstand, dass der Erbbauberechtigte nach dem Vertrag einen Neubau errichten durfte, eine Übernahme des Risikos von Störungen des Gleichgewichts zwischen dem Erbbauzins und dem Wert des Erbbaurechts durch Erweiterungen der baulichen Nutzbarkeit nicht entnommen werden.

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