Baustellen müssen auch im Winter nicht unbedingt über einen Notweg verfügen
BGH 25.2.2014, VI ZR 299/13Der Geschädigte bog im Februar 2010 gegen 15.00 Uhr bei winterlichen Verhältnissen von seiner Wohnung aus in eine Straße, in der die Beklagte zu 1) im Auftrag der Beklagten zu 2) seit Mitte September 2009 Tiefbauarbeiten durchführte. Diese waren wegen winterlicher Verhältnisse von Dezember 2009 bis Mitte März 2010 unterbrochen worden. Die Straße war infolgedessen halbseitig gesperrt und nur für den Anliegerverkehr freigegeben. Die Absperrung umfasste auch den im Bau befindlichen Gehweg auf der rechten Seite. Der gegenüberliegende Gehweg auf der linken Seite war jedoch bereits fertiggestellt, gestreut und für Fußgänger begehbar.
Der Geschädigte kam beim Versuch die Straße zu überqueren, um auf den gegenüberliegenden Bürgersteig zu gelangen, infolge einer unter dem Schnee verborgenen starken Eisglätte zu Fall und schlug dabei mit dem Hinterkopf auf. Er wurde am Folgetag wegen eines Schädelhirntraumas stationär ins Krankenhaus aufgenommen. Er ist inzwischen ein Pflegefall. Die Straße unterfiel nicht der Räum- und Streupflicht.
Die Klägerinnen - ein gesetzlicher Krankenversicherer und ein gesetzlicher Pflegeversicherer - verlangten von der beklagten Tief- und Straßenbaugesellschaft sowie von der Stadt aus übergegangenem Recht Schadensersatz. Sie machten geltend, die Beklagten hätten ihre Verkehrssicherungspflicht deshalb verletzt, weil auf der rechten Seite der Straße im Bereich der Baustelle kein Notweg für Fußgänger vorhanden gewesen sei und deshalb Fußgänger bei winterlichen Verhältnissen die Straße überqueren mussten, um zu dem auf der anderen Seite befindlichen Bürgersteig zu gelangen.
Das LG gab der Klage unter Berücksichtigung eines Mitverschuldensanteils von 30 % dem Grunde nach statt; das OLG wies sie insgesamt ab. Die Revision der Kläger vor dem BGH blieb erfolglos.
Gründe:
Die Beklagte zu 1) hatte keine gegenüber dem Geschädigten bestehende Verkehrssicherungspflicht verletzt. Eine solche folgte insbesondere nicht aus § 45 Abs. 2, Abs. 6 StVO i.V.m. Teil A Abschn. 1.3 Abs. 11 der Richtlinie für Sicherheit von Arbeitsstellen (RSA).
Die RSA sieht nicht vor, dass ein in den Bereich einer Baustelle fallender Gehweg unter allen Umständen - etwa durch einen Notweg - offen gehalten werden muss. Auch ein Anspruch auf unveränderte Nutzungsmöglichkeit der Straße im Rahmen des Gemeingebrauchs besteht nicht (Teil A 1.3.3 Abs. 2 RSA). Denn den Fußgängern kann zugemutet werden, während einer Baumaßnahme die Straßenseite zu wechseln und den gegenüberliegenden Gehweg zu benutzen. Dies gilt grundsätzlich auch bei winterlichen Verhältnissen.
Und selbst, wenn man hier von einer Pflicht zum Notweg ausgegangen wäre, hätte aus dessen Fehlen keine Haftung wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht hergeleitet werden können. Zwar bieten die RSA Anhaltspunkte für die Verkehrsregelung in Baustellenbereichen. Nach allgemeinen Grundsätzen stellen sie jedoch als untergesetzliche Norm keine verbindliche Regelung der Sorgfaltsanforderungen des Sicherungspflichtigen dar. Sie weisen auch ausdrücklich darauf hin, dass neben den speziellen Vorschriften des Straßenverkehrsrechts bei der Einrichtung und Absicherung von Arbeitsstellen auf Straßen insbesondere die Bestimmungen des BGB zu beachten sind. Dementsprechend blieb für die Gefahrensituation vor Ort maßgebend, wie sie sich für einen verständigen Beobachter darstellte.
Infolgedessen musste sich ein Verstoß gegen eine Vorschrift der RSA unter Verkehrssicherungsgesichtspunkten nicht notwendigerweise haftungsbegründend auswirken. Die Beklagten waren aus Gründen der Verkehrssicherungspflicht nicht gehalten, trotz des auf der gegenüberliegenden Seite vorhandenen Gehwegs im Baustellenbereich zusätzlich einen Notweg für Fußgänger zur Verfügung zu stellen, um diesen bei winterlichen Verhältnissen an dieser Stelle ein Überqueren der Feldstraße zu ersparen. Denn dass eine nicht der Räum- und Streupflicht unterfallende Straße bei winterlichen Verhältnissen überquert werden muss, gehört zum allgemeinen Lebensrisiko eines Fußgängers.
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