beA: Überprüfung der Vollständigkeit eines fristwahrenden elektronischen Dokumentes vor dessen Signierung
BGH v. 8.3.2022 - VI ZB 78/21
Der Sachverhalt:
Der Beklagte wurde erstinstanzlich vom LG zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt. Gegen das ihm am 26.2.2021 zugestellte Urteil legte der Beklagte fristgerecht Berufung ein. Am 26.4.2021 ging beim OLG aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) der Instanzbevollmächtigten des Beklagten ein qualifiziert signierter Schriftsatz ein, der mit "Berufungsbegründung" überschrieben war, aber nur aus einer Seite bestand. Nach Mitteilung der Geschäftsstelle des Berufungssenats, dass der angefügte Schriftsatz nur aus der ersten Seite bestehe, ging am Morgen des 27.4.2021 sodann die vollständige, fünfseitige Berufungsbegründung ein. Am 3.5.2021 beantragte der Beklagte die Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist.
Zur Begründung trug der Beklagte vor, seine Rechtsanwältin habe am Morgen des 26.4.2021 ihre Sekretärin angewiesen, die fertige Berufungsbegründung zur Signierung in die Anwaltssoftware einzustellen. Unmittelbar vor dem Signierungsvorgang habe seine Rechtsanwältin das eingestellte Dokument darauf geprüft, ob es sich um das richtige Dokument gehandelt habe. Ferner habe sie den Schriftsatz, bestehend aus insgesamt fünf Seiten, auch nochmals im Hinblick auf das zuständige Gericht, Aktenzeichen, Parteibezeichnung, die gestellten Anträge und die Vollständigkeit des Schriftsatzes geprüft. Auf Seite 1 habe sie noch einen kleinen Tippfehler festgestellt und ihre Sekretärin angewiesen, diesen auszubessern und die Berufungsbegründung sodann abschließend zur Signatur einzustellen. Unmittelbar vor dem erneuten Signaturvorgang habe die Rechtsanwältin den Schriftsatz nochmals geöffnet und überprüft, ob die angewiesene Änderung auf Seite 1 übernommen worden sei. Die Rechtsanwältin habe dabei festgestellt, dass die Büroangestellte den Tippfehler weisungsgemäß ausgebessert habe, und habe anschließend das Dokument signiert. Danach habe die Büroangestellte das Dokument per beA verschickt.
Im Nachgang habe sich herausgestellt, dass die Sekretärin weisungsgemäß den Fehler auf Seite 1 ausgebessert habe. Die geänderte Seite habe sie für die Papier-Handakte ausgedruckt. Anschließend habe sie das Word-Dokument in ein PDF-Dokument umgewandelt, um es sodann in die Anwaltssoftware zur Signierung einzustellen. Bei dem Print-to-PDF-Vorgang habe das Programm die Einstellung des vorangegangenen Druckvorgangs, nämlich Ausdruck nur der Seite 1, übernommen. Das habe die sonst sehr zuverlässige, geschulte und erfahrene Sekretärin übersehen. Die Rechtsanwältin sei ihren Pflichten nachgekommen. Nach der korrekten Änderung des Tippfehlers habe sie davon ausgehen können und müssen, dass der Schriftsatz im Übrigen genau wie zuvor vollständig eingestellt worden sei. Für die Rechtsanwältin habe daher kein Anlass bestanden, den restlichen Schriftsatz nochmals bis zum Ende durchzusehen. Zur Glaubhaftmachung legte der Beklagte eine anwaltliche Versicherung seiner Rechtsanwältin und eine eidesstattliche Versicherung von deren Sekretärin vor.
Das OLG wies den Antrag auf Wiedereinsetzung zurück und verwarf die Berufung als unzulässig. Die Rechtsbeschwerde des Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Die Zurückweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ist nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat nicht glaubhaft gemacht, dass er ohne ein ihm nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten daran gehindert gewesen wäre, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten.
Es gehört zu den Aufgaben eines Verfahrensbevollmächtigten, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig erstellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Dabei gehört die Erstellung fristwahrender Rechtsmittel oder Rechtsmittelbegründungen zu den Aufgaben, die ein Rechtsanwalt seinem angestellten Büropersonal nicht übertragen darf, ohne das Arbeitsergebnis auf seine Richtigkeit und Vollständigkeit selbst sorgfältig zu überprüfen. Ein Rechtsanwalt handelt daher schuldhaft, wenn er eine Rechtsmittelbegründungsschrift unterschreibt, ohne sie zuvor auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen. Dies gilt auch, wenn ein Schriftsatz zum zweiten Mal vorgelegt wird. Dass ein Rechtsanwalt bei der ersten Vorlage des fehlerhaften Schriftsatzes seiner Kontrollpflicht nachgekommen und die richtigen Anweisungen zur Korrektur gegeben hat, ist nicht entscheidend. Maßgebend ist vielmehr, dass der - bislang nicht unterzeichnete - Schriftsatz ein weiteres Mal in seinen eigenen Kontroll- und damit auch Verantwortungsbereich gelangt. Unterzeichnet er ihn diesmal ungeprüft, ist dies einer stets schuldhaften Blankounterzeichnung gleichzustellen.
Nichts anderes kann im elektronischen Rechtsverkehr für die elektronische Signatur gelten. Eine qualifizierte elektronische Signatur hat die gleiche Rechtswirkung wie eine handschriftliche Unterschrift. Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Signierung eines elektronischen Dokuments entsprechen daher ebenso denen bei der Leistung einer Unterschrift wie sie bei der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs per beA denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax entsprechen. Auch bei der Signierung eines ein Rechtsmittel oder eine Rechtsmittelbegründung enthaltenden fristwahrenden elektronischen Dokumentes (§ 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO) gehört es daher zu den nicht auf das Büropersonal übertragbaren Pflichten eines Rechtsanwalts, das zu signierende Dokument zuvor selbst sorgfältig auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu prüfen.
Demzufolge hat die Instanzbevollmächtigte des Beklagten sorgfaltswidrig gehandelt, als sie das ihr im zweiten Durchgang zur Signierung zugeleitete elektronische Dokument zwar geöffnet und auf Korrektur des im ersten Durchgang monierten Tippfehlers, nicht aber auf Vollständigkeit im Übrigen überprüft hat. Eine erneute Überprüfung war hier nicht deshalb entbehrlich, weil die Instanzbevollmächtigte des Beklagten im ersten Durchgang das ihr zur Signierung zugeleitete Dokument vollständig überprüft und ihrer Sekretärin die Einzelanweisung erteilt hatte, den Tippfehler auf der ersten Seite der Berufungsbegründung zu korrigieren. Ursächlich dafür, dass das fehlerhafte Dokument per beA an das Berufungsgericht übermittelt und dadurch die Berufungsbegründungsfrist versäumt wurde, war der Umstand, dass die Instanzbevollmächtigte des Beklagten es ungeprüft signiert hat. Damit hat sie eine neue Gefahr geschaffen. Diese bereits für den herkömmlichen Schriftverkehr entwickelten Grundsätze gelten umso mehr für den elektronischen Rechtsverkehr.
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Der Beklagte wurde erstinstanzlich vom LG zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt. Gegen das ihm am 26.2.2021 zugestellte Urteil legte der Beklagte fristgerecht Berufung ein. Am 26.4.2021 ging beim OLG aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) der Instanzbevollmächtigten des Beklagten ein qualifiziert signierter Schriftsatz ein, der mit "Berufungsbegründung" überschrieben war, aber nur aus einer Seite bestand. Nach Mitteilung der Geschäftsstelle des Berufungssenats, dass der angefügte Schriftsatz nur aus der ersten Seite bestehe, ging am Morgen des 27.4.2021 sodann die vollständige, fünfseitige Berufungsbegründung ein. Am 3.5.2021 beantragte der Beklagte die Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist.
Zur Begründung trug der Beklagte vor, seine Rechtsanwältin habe am Morgen des 26.4.2021 ihre Sekretärin angewiesen, die fertige Berufungsbegründung zur Signierung in die Anwaltssoftware einzustellen. Unmittelbar vor dem Signierungsvorgang habe seine Rechtsanwältin das eingestellte Dokument darauf geprüft, ob es sich um das richtige Dokument gehandelt habe. Ferner habe sie den Schriftsatz, bestehend aus insgesamt fünf Seiten, auch nochmals im Hinblick auf das zuständige Gericht, Aktenzeichen, Parteibezeichnung, die gestellten Anträge und die Vollständigkeit des Schriftsatzes geprüft. Auf Seite 1 habe sie noch einen kleinen Tippfehler festgestellt und ihre Sekretärin angewiesen, diesen auszubessern und die Berufungsbegründung sodann abschließend zur Signatur einzustellen. Unmittelbar vor dem erneuten Signaturvorgang habe die Rechtsanwältin den Schriftsatz nochmals geöffnet und überprüft, ob die angewiesene Änderung auf Seite 1 übernommen worden sei. Die Rechtsanwältin habe dabei festgestellt, dass die Büroangestellte den Tippfehler weisungsgemäß ausgebessert habe, und habe anschließend das Dokument signiert. Danach habe die Büroangestellte das Dokument per beA verschickt.
Im Nachgang habe sich herausgestellt, dass die Sekretärin weisungsgemäß den Fehler auf Seite 1 ausgebessert habe. Die geänderte Seite habe sie für die Papier-Handakte ausgedruckt. Anschließend habe sie das Word-Dokument in ein PDF-Dokument umgewandelt, um es sodann in die Anwaltssoftware zur Signierung einzustellen. Bei dem Print-to-PDF-Vorgang habe das Programm die Einstellung des vorangegangenen Druckvorgangs, nämlich Ausdruck nur der Seite 1, übernommen. Das habe die sonst sehr zuverlässige, geschulte und erfahrene Sekretärin übersehen. Die Rechtsanwältin sei ihren Pflichten nachgekommen. Nach der korrekten Änderung des Tippfehlers habe sie davon ausgehen können und müssen, dass der Schriftsatz im Übrigen genau wie zuvor vollständig eingestellt worden sei. Für die Rechtsanwältin habe daher kein Anlass bestanden, den restlichen Schriftsatz nochmals bis zum Ende durchzusehen. Zur Glaubhaftmachung legte der Beklagte eine anwaltliche Versicherung seiner Rechtsanwältin und eine eidesstattliche Versicherung von deren Sekretärin vor.
Das OLG wies den Antrag auf Wiedereinsetzung zurück und verwarf die Berufung als unzulässig. Die Rechtsbeschwerde des Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Die Zurückweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ist nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat nicht glaubhaft gemacht, dass er ohne ein ihm nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten daran gehindert gewesen wäre, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten.
Es gehört zu den Aufgaben eines Verfahrensbevollmächtigten, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig erstellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Dabei gehört die Erstellung fristwahrender Rechtsmittel oder Rechtsmittelbegründungen zu den Aufgaben, die ein Rechtsanwalt seinem angestellten Büropersonal nicht übertragen darf, ohne das Arbeitsergebnis auf seine Richtigkeit und Vollständigkeit selbst sorgfältig zu überprüfen. Ein Rechtsanwalt handelt daher schuldhaft, wenn er eine Rechtsmittelbegründungsschrift unterschreibt, ohne sie zuvor auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen. Dies gilt auch, wenn ein Schriftsatz zum zweiten Mal vorgelegt wird. Dass ein Rechtsanwalt bei der ersten Vorlage des fehlerhaften Schriftsatzes seiner Kontrollpflicht nachgekommen und die richtigen Anweisungen zur Korrektur gegeben hat, ist nicht entscheidend. Maßgebend ist vielmehr, dass der - bislang nicht unterzeichnete - Schriftsatz ein weiteres Mal in seinen eigenen Kontroll- und damit auch Verantwortungsbereich gelangt. Unterzeichnet er ihn diesmal ungeprüft, ist dies einer stets schuldhaften Blankounterzeichnung gleichzustellen.
Nichts anderes kann im elektronischen Rechtsverkehr für die elektronische Signatur gelten. Eine qualifizierte elektronische Signatur hat die gleiche Rechtswirkung wie eine handschriftliche Unterschrift. Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Signierung eines elektronischen Dokuments entsprechen daher ebenso denen bei der Leistung einer Unterschrift wie sie bei der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs per beA denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax entsprechen. Auch bei der Signierung eines ein Rechtsmittel oder eine Rechtsmittelbegründung enthaltenden fristwahrenden elektronischen Dokumentes (§ 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO) gehört es daher zu den nicht auf das Büropersonal übertragbaren Pflichten eines Rechtsanwalts, das zu signierende Dokument zuvor selbst sorgfältig auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu prüfen.
Demzufolge hat die Instanzbevollmächtigte des Beklagten sorgfaltswidrig gehandelt, als sie das ihr im zweiten Durchgang zur Signierung zugeleitete elektronische Dokument zwar geöffnet und auf Korrektur des im ersten Durchgang monierten Tippfehlers, nicht aber auf Vollständigkeit im Übrigen überprüft hat. Eine erneute Überprüfung war hier nicht deshalb entbehrlich, weil die Instanzbevollmächtigte des Beklagten im ersten Durchgang das ihr zur Signierung zugeleitete Dokument vollständig überprüft und ihrer Sekretärin die Einzelanweisung erteilt hatte, den Tippfehler auf der ersten Seite der Berufungsbegründung zu korrigieren. Ursächlich dafür, dass das fehlerhafte Dokument per beA an das Berufungsgericht übermittelt und dadurch die Berufungsbegründungsfrist versäumt wurde, war der Umstand, dass die Instanzbevollmächtigte des Beklagten es ungeprüft signiert hat. Damit hat sie eine neue Gefahr geschaffen. Diese bereits für den herkömmlichen Schriftverkehr entwickelten Grundsätze gelten umso mehr für den elektronischen Rechtsverkehr.
- Aufsatz: Schultzky - Elektronische Kommunikation im Zivilprozess (MDR 2022, 201)
- Aufsatz: Herberger - e-Curia: Ein Modell für den elektronischen Rechtsverkehr? (MDR 2021, 1508)
- Aktionsmodul Zivilrecht
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