11.04.2022

Beeinträchtigung des Zugangs zum Sondereigentum durch in der Einfahrt haltendes Lieferfahrzeug

Beeinträchtigen oder erschweren andere Wohnungseigentümer oder Dritte den Zugang zum Sondereigentum durch Hindernisse im Bereich des gemeinschaftlichen Eigentums, können Unterlassungs- oder Beseitigungsansprüche gem. § 9a Abs. 2 WEG allein durch die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer geltend gemacht werden; das gilt auch dann, wenn die Hindernisse brandschutzrechtlich unzulässig sind (hier: Halten in einer Feuerwehrzufahrt). Ein Beschluss der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, der im Widerspruch zu bauordnungsrechtlichen Vorschriften eine Duldung des regelmäßigen Haltens von Lieferfahrzeugen in der auf dem Grundstück der Wohnungseigentümer befindlichen Feuerwehrzufahrt zusagt, ist nichtig.

BGH v. 28.1.2022 - V ZR 106/21
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist Mitglied einer Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE). Die in Hessen gelegene Anlage besteht aus mehreren Gebäuden. Die Wohnung der Klägerin, die sie selbst nutzt, befindet sich im Dachgeschoss des Hinterhofgebäudes. Die Beklagte betreibt als Mieterin einer Teileigentumseinheit im Vorderhaus einen Supermarkt. In den Hinterhof gelangen Fußgänger entweder über eine Durchfahrt, die als Feuerwehrzufahrt dient ("Rampe"), oder über einen danebenliegenden Fußweg mit mehreren Treppenstufen.

Die GdWE fasste im September 2008 unter Mitwirkung der Klägerin einstimmig folgenden Beschluss: "Zur Vermeidung einer möglichen gerichtlichen Klärung wird zwischen den Parteien folgendes vereinbart: Der Lieferverkehr des R.-Marktes wird bis auf ein Lieferfahrzeug pro Tag vollständig auf einer von der Stadt einzurichtenden Lieferzone vor dem Eingang des R.-Marktes abgewickelt. Die WEG duldet auf eigenes Risiko des Liefernden ein Lieferfahrzeug pro Tag auf der Rampe in der Zeit von 7:00 Uhr bis 12:00 Uhr. Spätestens nach zwei Jahren sollte vom R.-Markt gemeinsam mit der WEG geprüft werden, ob nicht eine vollständige Anlieferung über die Lieferzone vor dem R.-Markt möglich ist."

Zwischenzeitlich wurde im öffentlichen Straßenraum für die Lieferzeiten eine Parkverbotszone eingerichtet, die jedoch häufig durch parkende Fahrzeuge blockiert wird. Derzeit nutzt die Beklagte die Feuerwehrzufahrt zweimal wöchentlich für die Dauer von jeweils eineinhalb Stunden zur Anlieferung von Waren. Da die Lieferfahrzeuge die stufenlose Rampe auf der gesamten Breite blockieren, kann die gehbehinderte Klägerin in dieser Zeit nur über den Fußweg mit den Treppenstufen zu ihrer Wohnung gelangen. Die Bauaufsichtsbehörde lehnt ein Einschreiten ab. Mit der Klage will die Klägerin erreichen, dass die Beklagte die Benutzung der Zufahrt unterlässt. Ferner macht sie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten geltend.

Das LG wies die Klage ab. Vor der mündlichen Verhandlung über die Berufung der Klägerin wandte sich die Hausverwaltung im Mai 2021 mit einem Schreiben an das Gericht. Darin wiederholte sie den Beschluss aus dem Jahr 2008 und führte aus: "Die im Beschluss genannte Rampe, die teilweise zugleich als Feuerwehrzufahrt dient, gehört zum Gemeinschaftseigentum. Als Vertreterin der WEG teilen wir mit, dass die mit der Nutzung der Rampe/Feuerwehrzufahrt in Zusammenhang stehenden Rechte von der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ausgeübt werden." Das OLG gab dem Unterlassungsantrag statt und wies die Berufung im Übrigen zurück. Die Revision der Beklagten und die Anschlussrevision der Klägerin hatten vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Vorliegend betrifft die behauptete direkte Störung die im gemeinschaftlichen Eigentum stehende Zufahrt zu den Gebäuden und nicht den räumlichen Bereich des Sondereigentums der Klägerin. Störungen des gemeinschaftlichen Eigentums können gem. § 9a Abs. 2 WEG grundsätzlich allein durch die GdWE abgewehrt werden, und zwar auch dann, wenn dadurch der Verkehrswert des Sondereigentums sinkt oder dessen Vermietbarkeit erschwert wird. Solche mittelbaren Folgen reichen nicht aus, um eine Störung des Sondereigentums und damit eine eigene Ausübungsbefugnis des Sondereigentümers zu begründen. Dies war bereits für das vor dem 1.12.2020 geltende Recht nach der Vergemeinschaftung von Ansprüchen anerkannt, und es gilt erst recht für die Neufassung des WEG, mit der der Gesetzgeber gerade für Ansprüche gem. § 1004 Abs. 1 BGB eine einheitliche Ausübung durch die GdWE gewährleisten wollte.

Daran gemessen lässt sich die Prozessführungsbefugnis der Klägerin nicht aus dem Sondereigentum ableiten. Beeinträchtigen oder erschweren andere Wohnungseigentümer oder - wie hier - Dritte den Zugang zum Sondereigentum durch Hindernisse im Bereich des gemeinschaftlichen Eigentums, können Unterlassungs- oder Beseitigungsansprüche gem. § 9a Abs. 2 WEG allein durch die GdWE geltend gemacht werden; das gilt auch dann, wenn die Hindernisse brandschutzrechtlich unzulässig sind.

Die Prozessführungsbefugnis der Klägerin ergibt sich hier aber daraus, dass sie für ihre vor dem 1.12.2020 eingereichte Klage nach dem WEG in der damals geltenden Fassung gegeben ist. Der Beschluss vom 11.9.2008 steht dem nicht entgegen, und die GdWE hat einer Fortführung des Verfahrens nach Inkrafttreten des neuen WEG nicht widersprochen. Die daher maßgebliche Prozessführungsbefugnis der Klägerin nach altem Recht ist gegeben und besteht fort. Der Beschluss vom 11.9.2008 über die Vergemeinschaftung der Ansprüche steht der Prozessführung der Klägerin nicht entgegen, weil er gegen § 5 Abs. 2 HBO verstößt und sich gem. § 23 Abs. 4 Satz 1 WEG insgesamt als nichtig erweist.

Der Beschluss verstößt gegen § 5 Abs. 2 HBO. Auf privaten Grundstücken findet die (bußgeldbewehrte) Vorschrift des § 12 Abs. 1 Nr. 5 StVO, die das Halten vor und in Feuerwehrzufahrten im öffentlichen Straßenraum verbietet, keine Anwendung. Insoweit regelt aber das maßgebliche hessische Baupolizeirecht in § 5 Abs. 2 Satz 1 HBO, dass eine Feuerwehrzufahrt ständig freigehalten werden muss, und gem. § 5 Abs. 2 Satz 2 HBO (heute § 5 Abs. 2 Satz 3 HBauO) dürfen Fahrzeuge dort nicht abgestellt werden. Infolgedessen besteht auch in Feuerwehrzufahrten, die sich auf hessischen Privatgrundstücken befinden, ein absolutes Halteverbot. Danach verstößt die durch den Beschluss vom 11.9.2008 ausgesprochene Duldung gegen § 5 Abs. 2 HBO.

Dies hat die Nichtigkeit des Beschlusses vom 11.9.2008 zur Folge. Ein Beschluss der GdWE, der - wie hier - im Widerspruch zu bauordnungsrechtlichen Vorschriften eine Duldung des regelmäßigen Haltens von Lieferfahrzeugen in der auf dem Grundstück der Wohnungseigentümer befindlichen Feuerwehrzufahrt zusagt, ist nichtig (§ 23 Abs. 4 Satz 1 WEG).

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