Bei Rückzahlungsverlangen wegen Rücktritts sind Gegenforderungen bei Bemessung des Werts des Beschwerdegegenstands mindernd zu berücksichtigen
BGH v. 12.10.2021 - VIII ZR 255/20
Der Sachverhalt:
Die Klägerin erwarb im April 2016 von der Beklagten einen neuen VW Caddy 1,6 TDI zum Preis von rd. 18.500 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestattet, der über eine Steuerungssoftware verfügt, die erkennt, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand befindet. Die Software aktiviert in diesem Fall den "Modus 1", der den Stickoxidausstoß verringert. Im normalen Fahrbetrieb schaltet sich dagegen der "Modus 0" ein, der zu einem höheren Stickoxidaustritt führt. In der Bestellung ist auf Seite 2 unter Sonderausstattungen vermerkt: "EA 189 Motor!!!" Im Jahr 2018 erklärte die Klägerin die Anfechtung ihrer auf Abschluss des Kaufvertrags gerichteten Willenserklärung und - hilfsweise - den Rücktritt vom Vertrag. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht wies das Fahrzeug einen Kilometerstand von rd. 52.000 auf.
Die Klägerin nimmt die Beklagte - gestützt auf §§ 812 ff., §§ 346 ff. BGB sowie zusätzlich auf einen deliktischen Schadensersatzanspruch nach §§ 826, 249 BGB - auf (Rück-)Zahlung einer angeblichen Kaufpreisforderung i.H.v. rd. 20.500 € nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs und gegen Zahlung einer von der Beklagten noch darzulegenden Nutzungsentschädigung, in Anspruch. Zudem beantragte sie Zahlung von Zinsen i.H.v. 4 % aus der von ihr geltend gemachten Hauptforderung seit dem 22.6.2016 bis zum 16.12.2018 und weiter die Feststellung, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs im Annahmeverzug befinde. Außerdem begehrt sie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. rd. 1.800 €.
Das LG gab der Klage überwiegend statt und verurteilte die Beklagte u.a., an die Klägerin 20.500 € nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs und Zahlung einer Nutzungsentschädigung i.H.v. rd. 3.000 € - ausgehend von einer Gesamtfahrleistung von 300.000 km und einem Kilometerstand von rd. 40.000 - zu zahlen. Ferner stellte es den Annahmeverzug der Beklagten fest und verurteilte diese zur Zahlung eines Teils der geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Im Übrigen wies es die Klage ab. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Die Klägerin ist u.a. der Ansicht, das LG habe einen zu hohen Betrag als Nutzungsentschädigung vom Kaufpreis in Abzug gebracht; es sei von einer regelmäßigen Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 500.000 km auszugehen. Das OLG wies die Klage insgesamt ab. Die Revision zum BGH wurde nicht zugelassen, der Streitwert für das Berufungsverfahren auf rd. 20.500 € festgesetzt.
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Denn der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer übersteigt 20.000 € nicht (§ 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).
Die Klägerin ist durch die Zurückweisung ihrer Berufung und durch die Stattgabe der Berufung der Beklagten, also durch die dadurch ausgesprochene vollständige Abweisung der Klage, lediglich i.H.v. rd. 19.100 € beschwert, weil von der geltend gemachten Hauptforderung die der Beklagten zugebilligte Nutzungsentschädigung in Abzug zu bringen ist.
Für die Bemessung der Beschwer kommt es zwar nur auf das Interesse des Rechtsmittelklägers an der Abänderung der angegriffenen Entscheidung an. Bei der Abweisung einer Klage auf Leistung gegen Gegenleistung (Zug um Zug) ist für die Berechnung der Beschwer des Klägers allein die von ihm begehrte Leistung, auch wenn die geschuldete Gegenleistung den höheren Wert hat. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Kläger im Klageantrag die dem Beklagten geschuldete Leistung anbietet. Jedoch sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch Fälle anerkannt, in denen eine vom Kläger anspruchsmindernd berücksichtigte Gegenforderung bei der Berechnung der Beschwer in Abzug zu bringen ist. So ist bei der Geltendmachung eines deliktischen Ersatzanspruchs nach §§ 823 ff., § 249 BGB die von dem Kläger selbst bezifferte Nutzungsentschädigung als Vorteil abzuziehen, wozu es nicht einmal einer Gestaltungserklärung oder Einrede des Schuldners bedarf.
Auch in den Fällen, in denen - wie hier - ein Rückzahlungsanspruch auf eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gestützt wird, steht dem Kläger grundsätzlich nur ein Anspruch auf den nach Saldierung der wechselseitigen Ansprüche verbleibenden Überschuss zu, so dass nur dieser Saldo der Berechnung des Werts des Beschwerdegegenstands zugrunde gelegt werden darf. Hierbei handelt es sich um einen Fall der Anrechnung, die von Amts wegen zu berücksichtigen ist, ohne dass es einer dahingehenden Erklärung der Partei bedarf. Bei einem - hier hilfsweise geltend gemachten - Rückzahlungsanspruch nach Rücktritt (§§ 346 ff. BGB) werden die gegenseitigen Forderungen zwar nicht automatisch saldiert. Gleichwohl sind Gegenforderungen bei der Bemessung des Werts des Beschwerdegegenstands dann mindernd zu berücksichtigen, wenn der Rückgewährgläubiger Rückzahlung Zug um Zug gegen Erstattung einer (bezifferten) Gegenforderung begehrt. Denn darin liegt sofern kein Aufrechnungsverbot besteht - eine zum Erlöschen der geringeren Gegenforderung führende (konkludente) Aufrechnung. Der Wert der Beschwer bemisst sich daher in solchen Fällen allein nach der Höhe des sich zugunsten des Klägers ergebenden (bezifferten) Saldos.
Diese Grundsätze finden auch im Streitfall Anwendung. Die Klägerin hat zwar die Höhe der von ihr der Beklagten zugebilligten Nutzungsentschädigung auch im Berufungsverfahren nicht konkret beziffert. Sie hat aber in der Berufungsbegründung angegeben, dass sie sich nur insoweit gegen die Berechnung der Nutzungsentschädigung durch das Landgericht wende, als dieses seiner Entscheidung nicht eine Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs i.H.v. 500.000 km zugrunde gelegt hat. Damit hat sie zugleich erklärt, dass sie sich auf dieser Grundlage eine Nutzungsentschädigung von der geltend gemachten Hauptforderung im Wege der Aufrechnung abziehen lässt. Eine Aufrechnung ist bereits dann wirksam erklärt worden, wenn die zur Aufrechnung gestellten Forderungen hinreichend bestimmt sind. Das ist auch hier der Fall, denn der Gebrauchsvorteil berechnet sich unter Zugrundelegung der zeitanteiligen linearen Wertminderung, die bei Neufahrzeugen ausgehend vom Bruttokaufpreis anhand eines Vergleichs zwischen tatsächlichem Gebrauch (gefahrene Kilometer) und voraussichtlicher Nutzungsdauer (erwartete Gesamtlaufleistung) zu bestimmen ist. Damit stehen im Streitfall alle Parameter zur Berechnung der Nutzungsentschädigung fest.
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Die Klägerin nimmt die Beklagte - gestützt auf §§ 812 ff., §§ 346 ff. BGB sowie zusätzlich auf einen deliktischen Schadensersatzanspruch nach §§ 826, 249 BGB - auf (Rück-)Zahlung einer angeblichen Kaufpreisforderung i.H.v. rd. 20.500 € nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs und gegen Zahlung einer von der Beklagten noch darzulegenden Nutzungsentschädigung, in Anspruch. Zudem beantragte sie Zahlung von Zinsen i.H.v. 4 % aus der von ihr geltend gemachten Hauptforderung seit dem 22.6.2016 bis zum 16.12.2018 und weiter die Feststellung, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs im Annahmeverzug befinde. Außerdem begehrt sie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. rd. 1.800 €.
Das LG gab der Klage überwiegend statt und verurteilte die Beklagte u.a., an die Klägerin 20.500 € nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs und Zahlung einer Nutzungsentschädigung i.H.v. rd. 3.000 € - ausgehend von einer Gesamtfahrleistung von 300.000 km und einem Kilometerstand von rd. 40.000 - zu zahlen. Ferner stellte es den Annahmeverzug der Beklagten fest und verurteilte diese zur Zahlung eines Teils der geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Im Übrigen wies es die Klage ab. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Die Klägerin ist u.a. der Ansicht, das LG habe einen zu hohen Betrag als Nutzungsentschädigung vom Kaufpreis in Abzug gebracht; es sei von einer regelmäßigen Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 500.000 km auszugehen. Das OLG wies die Klage insgesamt ab. Die Revision zum BGH wurde nicht zugelassen, der Streitwert für das Berufungsverfahren auf rd. 20.500 € festgesetzt.
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Denn der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer übersteigt 20.000 € nicht (§ 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).
Die Klägerin ist durch die Zurückweisung ihrer Berufung und durch die Stattgabe der Berufung der Beklagten, also durch die dadurch ausgesprochene vollständige Abweisung der Klage, lediglich i.H.v. rd. 19.100 € beschwert, weil von der geltend gemachten Hauptforderung die der Beklagten zugebilligte Nutzungsentschädigung in Abzug zu bringen ist.
Für die Bemessung der Beschwer kommt es zwar nur auf das Interesse des Rechtsmittelklägers an der Abänderung der angegriffenen Entscheidung an. Bei der Abweisung einer Klage auf Leistung gegen Gegenleistung (Zug um Zug) ist für die Berechnung der Beschwer des Klägers allein die von ihm begehrte Leistung, auch wenn die geschuldete Gegenleistung den höheren Wert hat. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Kläger im Klageantrag die dem Beklagten geschuldete Leistung anbietet. Jedoch sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch Fälle anerkannt, in denen eine vom Kläger anspruchsmindernd berücksichtigte Gegenforderung bei der Berechnung der Beschwer in Abzug zu bringen ist. So ist bei der Geltendmachung eines deliktischen Ersatzanspruchs nach §§ 823 ff., § 249 BGB die von dem Kläger selbst bezifferte Nutzungsentschädigung als Vorteil abzuziehen, wozu es nicht einmal einer Gestaltungserklärung oder Einrede des Schuldners bedarf.
Auch in den Fällen, in denen - wie hier - ein Rückzahlungsanspruch auf eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gestützt wird, steht dem Kläger grundsätzlich nur ein Anspruch auf den nach Saldierung der wechselseitigen Ansprüche verbleibenden Überschuss zu, so dass nur dieser Saldo der Berechnung des Werts des Beschwerdegegenstands zugrunde gelegt werden darf. Hierbei handelt es sich um einen Fall der Anrechnung, die von Amts wegen zu berücksichtigen ist, ohne dass es einer dahingehenden Erklärung der Partei bedarf. Bei einem - hier hilfsweise geltend gemachten - Rückzahlungsanspruch nach Rücktritt (§§ 346 ff. BGB) werden die gegenseitigen Forderungen zwar nicht automatisch saldiert. Gleichwohl sind Gegenforderungen bei der Bemessung des Werts des Beschwerdegegenstands dann mindernd zu berücksichtigen, wenn der Rückgewährgläubiger Rückzahlung Zug um Zug gegen Erstattung einer (bezifferten) Gegenforderung begehrt. Denn darin liegt sofern kein Aufrechnungsverbot besteht - eine zum Erlöschen der geringeren Gegenforderung führende (konkludente) Aufrechnung. Der Wert der Beschwer bemisst sich daher in solchen Fällen allein nach der Höhe des sich zugunsten des Klägers ergebenden (bezifferten) Saldos.
Diese Grundsätze finden auch im Streitfall Anwendung. Die Klägerin hat zwar die Höhe der von ihr der Beklagten zugebilligten Nutzungsentschädigung auch im Berufungsverfahren nicht konkret beziffert. Sie hat aber in der Berufungsbegründung angegeben, dass sie sich nur insoweit gegen die Berechnung der Nutzungsentschädigung durch das Landgericht wende, als dieses seiner Entscheidung nicht eine Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs i.H.v. 500.000 km zugrunde gelegt hat. Damit hat sie zugleich erklärt, dass sie sich auf dieser Grundlage eine Nutzungsentschädigung von der geltend gemachten Hauptforderung im Wege der Aufrechnung abziehen lässt. Eine Aufrechnung ist bereits dann wirksam erklärt worden, wenn die zur Aufrechnung gestellten Forderungen hinreichend bestimmt sind. Das ist auch hier der Fall, denn der Gebrauchsvorteil berechnet sich unter Zugrundelegung der zeitanteiligen linearen Wertminderung, die bei Neufahrzeugen ausgehend vom Bruttokaufpreis anhand eines Vergleichs zwischen tatsächlichem Gebrauch (gefahrene Kilometer) und voraussichtlicher Nutzungsdauer (erwartete Gesamtlaufleistung) zu bestimmen ist. Damit stehen im Streitfall alle Parameter zur Berechnung der Nutzungsentschädigung fest.
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