Berufsgenossenschaftliche Schutzpflichten gelten auch in Fällen der Überlassung von Arbeitnehmern
OLG Koblenz 22.5.2014, 2 U 574/12Die klagende Berufsgenossenschaft nahm den Beklagten im Wege der Leistungs- und Feststellungsklage auf Ersatz der Aufwendungen in Anspruch, die ihr als Sozialversicherungsträger durch einen Arbeitsunfall ihres Versicherten im November 2002 entstanden waren. Die mit der Errichtung des Daches eines Kantinengebäudes beauftragte Arbeitgeberin des Beklagten verfügte nicht über genügend eigenes Montagepersonal. Die Arbeitgeberin des Geschädigten stellte ihr daher zwei ihrer Arbeitnehmer - darunter den Geschädigten selbst - für die durchzuführenden Arbeiten zur Verfügung. Verantwortlicher auf der Baustelle war der im Bezirk des LG Mainz wohnhafte Beklagte.
Am 21.11.2002 verlor der Geschädigte im Verlauf der Arbeiten das Gleichgewicht und stürzte von einer Mauer 5,50 m tief auf den darunter befindlichen Betonboden. Er zog sich schwerste Schädel- und Wirbelverletzungen zu und ist seitdem querschnittsgelähmt. Die Unfallstelle war zum Unfallzeitpunkt nur in einzelnen Teilflächen mit Sicherheitsnetzen gegen Abstürze gesichert und entsprach nicht den einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften. Hierauf war der Beklagten kurz vor dem Unfall ausdrücklich hingewiesen worden.
Das LG gab der Klage auf Ersatz der überwiegend für Heilbehandlung und Berufshilfe geleisteten Aufwendungen sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige Aufwendungen statt. Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten blieb vor dem OLG erfolglos. Die Revision wurde nicht zugelassen.
Gründe:
Das LG war zutreffend vom Vorliegen eines für die Klägerin eintrittspflichtigen Versicherungsfalls und der Anwendbarkeit der Regressregelung des § 110 Abs. 1 SGB VII ausgegangen.
Der Beklagte hatte den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt. Er war als Verantwortlicher in der konkreten Situation dazu verpflichtet, den ihm unterstellten Arbeitnehmern keine die Gesundheit gefährdenden Arbeiten zuzuweisen. Die Verpflichtung bestand auch gegenüber Arbeitnehmern eines anderen Unternehmens, soweit sie im Rahmen einer vorübergehenden Tätigkeit im Betrieb eingesetzt wurden. Diese Sorgfaltspflichten hatte der Beklagte sogar in ungewöhnlich hohem Maße verletzt. Dem geschädigten Arbeitnehmer war hingegen kein Mitverschulden anzulasten, da er lediglich einer Anordnung seines weisungsbefugten Vorgesetzten entsprochen hatte.
Die Haftung des Beklagten wurde auch nicht durch arbeitsrechtliche Grundsätze zur Arbeitnehmerhaftung relativiert. Soweit die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung im Einzelfall im Hinblick auf ein mögliches Missverhältnis zwischen dem Verdienst des haftenden Arbeitnehmers - hier des Beklagten - und dem Schadensrisiko seiner Tätigkeit bzw. einer ihm drohenden wirtschaftlichen Existenzgefährdung Haftungserleichterungen in Betracht zieht, bedurfte es im vorliegenden Fall nicht der Heranziehung dieser Grundsätze. Schließlich kann der Sozialversicherungsträger nach seinem Ermessen unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers aufgrund der hier einschlägigen Regelung des § 110 Abs. 2 SGB VII auf Ersatzansprüche ganz oder teilweise verzichten. Es gab für die klagende Berufsgenossenschaft aber keinen Anlass für einen derartigen Verzicht, da der Betriebshaftpflichtversicherer der Arbeitgeberin des Beklagten für den vom Beklagten verursachten Schaden einzutreten hatte.
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