Berufung gegen Scheinurteil?
OLG Celle v. 29.11.2023 - 14 U 75/23
Der Sachverhalt:
Zwischen den Parteien war streitig, ob das klägerische Fahrzeug durch einen ungesichert auf der Straße liegenden Schildständer beschädigt wurde, der zu einer Baustelle gehörte, die von der Beklagten zu 2) eingerichtet und betrieben worden war. Der Kläger hatte die Klage zunächst gegen die Beklagte zu 1) erhoben. In der mündlichen Verhandlung vom 5.10.2022 hat das LG gegen den Kläger ein Versäumnisurteil erlassen, gegen das dieser Einspruch eingelegt und der "LK. GmbH" den Streit verkündet hat. Diese ist dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten zu 1) beigetreten.
In der mündlichen Verhandlung über den Einspruch hat der Klägervertreter erklärt, dass er die Klage gegen die Beklagte zu 1) zurücknehme, und hat beantragt, der Beklagtenseite die Kosten aufzuerlegen. Danach hat der Klägervertreter die Anträge aus der Klagschrift beantragt, gegen die Streitverkündete Klage zu erheben (der neue Antrag ist entgegen § 162 Abs. 1 ZPO lt. Protokoll nicht genehmigt worden). Der Beklagtenvertreter hat erklärt, dass er auch die Beklagten zu 2), die LK. GmbH, vertrete, und hat beantragt, die Klage abzuweisen und die Kosten der Klagrücknahme dem Kläger aufzuerlegen.
Das LG hat sodann die Beklagte zu 2) wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten zu 2) hat das OLG das Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.
Die Gründe:
Es handelte sich bei dem landgerichtlichen Urteil um ein wirkungsloses Urteil, das die Instanz nicht beendet hatte. Auch bei sog. Scheinurteilen ist die Einlegung des bei wirksamer Verkündung statthaften Rechtsmittels, hier also der Berufung, zulässig, um den äußeren Anschein einer wirksamen gerichtlichen Entscheidung zu beseitigen (vgl. OLG Frankfurt MDR, 1991, 62; Feskorn, in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, Vorbem. § 300 Rn. 14 ff. mwN). Auf die danach statthafte Berufung gegen ein solches Urteil ist dieses aufzuheben und der Rechtsstreit an das erstinstanzliche Gericht zurückzuverweisen. Eine Sachentscheidung des Berufungsgerichts gem. § 540 ZPO ist nicht möglich.
Und so lag der Fall hier. Das LG hatte die Beklagtenseite in einem bereits nicht mehr rechtshängigen Rechtsstreit ausgewechselt und sodann durch Urteil gegen die (neue) Beklagte zu 2) entschieden, ohne dass zuvor eine (neue) Klage gegen die Beklagte zu 2) rechtshängig geworden wäre. Eine Klage kann gem. § 269 Abs. 1 ZPO ohne Einwilligung des Beklagten nur bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung zurückgenommen werden. Die mündliche Verhandlung beginnt mit dem Stellen der Anträge (§ 137 Abs. 1 ZPO). Wird die Klage zurückgenommen, so ist der Rechtsstreit als nicht anhängig anzusehen, § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO. Es handelt sich bei der Rücknahmeerklärung um eine Prozesshandlung, die bedingungsfeindlich und nicht widerruflich ist (hierzu: Greger, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 269, Rn. 12 ff. mwN).
Der Klägervertreter hatte in der mündlichen Verhandlung die Rücknahme der Klage erklärt, damit war die Rechtshängigkeit der Klage entfallen. Eine Klagerweiterung oder Klagänderung war nicht mehr möglich. Soweit das LG auf den nach der mündlichen Verhandlung erfolgten schriftsätzlichen Protest des Beklagtenvertreters gemeint hatte, es liege eine "Teilklagerücknahme" vor, war diese Ansicht unhaltbar. Denn ausweislich des Protokolls war die Klage gegen die zu diesem Zeitpunkt einzige Beklagte zu 1) zurückgenommen worden.
Es war auch keine Zustimmung der Beklagten zu 1) zu der Rücknahme erforderlich, denn bei zulässigem Einspruch des Klägers gegen ein klageabweisendes Versäumnisurteil war die Zurücknahme der Klage auch ohne Einwilligung des Beklagten noch möglich. Für die Begründung eines neuen Prozessrechtsverhältnisses gegen die Beklagte zu 2) hätte der Klägervertreter eine neue Klage gegen die Beklagte zu 2) erheben müssen. Auch der Umstand, dass sich der Beklagtenvertreter auf den Rechtsstreit für die Beklagte zu 2) eingelassen hatte, führte nicht zu ihrer Parteistellung.
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Zwischen den Parteien war streitig, ob das klägerische Fahrzeug durch einen ungesichert auf der Straße liegenden Schildständer beschädigt wurde, der zu einer Baustelle gehörte, die von der Beklagten zu 2) eingerichtet und betrieben worden war. Der Kläger hatte die Klage zunächst gegen die Beklagte zu 1) erhoben. In der mündlichen Verhandlung vom 5.10.2022 hat das LG gegen den Kläger ein Versäumnisurteil erlassen, gegen das dieser Einspruch eingelegt und der "LK. GmbH" den Streit verkündet hat. Diese ist dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten zu 1) beigetreten.
In der mündlichen Verhandlung über den Einspruch hat der Klägervertreter erklärt, dass er die Klage gegen die Beklagte zu 1) zurücknehme, und hat beantragt, der Beklagtenseite die Kosten aufzuerlegen. Danach hat der Klägervertreter die Anträge aus der Klagschrift beantragt, gegen die Streitverkündete Klage zu erheben (der neue Antrag ist entgegen § 162 Abs. 1 ZPO lt. Protokoll nicht genehmigt worden). Der Beklagtenvertreter hat erklärt, dass er auch die Beklagten zu 2), die LK. GmbH, vertrete, und hat beantragt, die Klage abzuweisen und die Kosten der Klagrücknahme dem Kläger aufzuerlegen.
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Es handelte sich bei dem landgerichtlichen Urteil um ein wirkungsloses Urteil, das die Instanz nicht beendet hatte. Auch bei sog. Scheinurteilen ist die Einlegung des bei wirksamer Verkündung statthaften Rechtsmittels, hier also der Berufung, zulässig, um den äußeren Anschein einer wirksamen gerichtlichen Entscheidung zu beseitigen (vgl. OLG Frankfurt MDR, 1991, 62; Feskorn, in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, Vorbem. § 300 Rn. 14 ff. mwN). Auf die danach statthafte Berufung gegen ein solches Urteil ist dieses aufzuheben und der Rechtsstreit an das erstinstanzliche Gericht zurückzuverweisen. Eine Sachentscheidung des Berufungsgerichts gem. § 540 ZPO ist nicht möglich.
Und so lag der Fall hier. Das LG hatte die Beklagtenseite in einem bereits nicht mehr rechtshängigen Rechtsstreit ausgewechselt und sodann durch Urteil gegen die (neue) Beklagte zu 2) entschieden, ohne dass zuvor eine (neue) Klage gegen die Beklagte zu 2) rechtshängig geworden wäre. Eine Klage kann gem. § 269 Abs. 1 ZPO ohne Einwilligung des Beklagten nur bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung zurückgenommen werden. Die mündliche Verhandlung beginnt mit dem Stellen der Anträge (§ 137 Abs. 1 ZPO). Wird die Klage zurückgenommen, so ist der Rechtsstreit als nicht anhängig anzusehen, § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO. Es handelt sich bei der Rücknahmeerklärung um eine Prozesshandlung, die bedingungsfeindlich und nicht widerruflich ist (hierzu: Greger, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 269, Rn. 12 ff. mwN).
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Es war auch keine Zustimmung der Beklagten zu 1) zu der Rücknahme erforderlich, denn bei zulässigem Einspruch des Klägers gegen ein klageabweisendes Versäumnisurteil war die Zurücknahme der Klage auch ohne Einwilligung des Beklagten noch möglich. Für die Begründung eines neuen Prozessrechtsverhältnisses gegen die Beklagte zu 2) hätte der Klägervertreter eine neue Klage gegen die Beklagte zu 2) erheben müssen. Auch der Umstand, dass sich der Beklagtenvertreter auf den Rechtsstreit für die Beklagte zu 2) eingelassen hatte, führte nicht zu ihrer Parteistellung.
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