Beschleunigungsbeschwerde in einer Kindschaftssache
OLG Braunschweig v. 16.8.2021 - 1 WF 97/21
Der Sachverhalt:
Der Kindesvater wandte sich mit der Beschleunigungsbeschwerde vom 16.7.2021 gegen die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens, das die Prüfung von Maßnahmen zur Abwendung einer Gefährdung des seelischen Wohls seiner jetzt neun Jahre alten Tochter betraf. Diese lebt seit der Trennung der Eltern im Juni 2015 im Haushalt der Kindesmutter. Umgang mit dem Kindesvater fand zunächst für zwei bis längstens dreieinhalb Stunden wöchentlich statt, wobei es dem Mädchen durchgehend schwergefallen ist, sich auf direkte Kontakte mit ihm einzulassen und sich von der Mutter zu lösen. Seit November 2019 lässt die Kindesmutter keinen Umgang mehr zu, weil die Tochter. über sexuelle Handlungen des Vaters berichtet habe. Das auf ihre Anzeige eingeleitete Strafverfahren wurde am 14.10.2020 mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt.
Das AG hat auf Anregung des Kindesvaters mit richterlicher Verfügung vom 6.12.2019 das vorliegende Verfahren zur Prüfung der Anordnung von Maßnahmen zur Abwendung einer Gefährdung des Kindeswohls eingeleitet. Mit Beschluss vom 11.2.2020 hat es die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Klärung einer etwaigen Kindeswohlgefährdung im mütterlichen und väterlichen Haushalt sowie zu der Frage angeordnet, ob der Trennung des Kindes von der elterlichen Familie durch ambulante öffentliche Hilfen begegnet werden könne. Zum Sachverständigen wurde Prof. Dr. J. bestellt und eine Frist zur Vorlage des Gutachtens zum 31.8.2020 bestimmt.
Mit Schreiben vom 11.3.2020 gab der Gutachter bekannt, dass seine Versuche, Kontakt zu der Kindesmutter aufzunehmen, erfolglos geblieben seien. Diese teilte mit Schriftsatz vom 30.3.2020 mit, dass sie den Gutachter wegen fehlender Neutralität ablehne. Mit richterlicher Verfügung vom 18.8.2020 wurde der Gutachter um Fortsetzung der Begutachtung ersucht. Am 10.12.2020 teilte die Kindesmutter mit, grundsätzlich keine Bedenken gegen eine Begutachtung zu haben, Prof. Dr. J. aber erneut als Gutachter abzulehnen. Prof. Dr. J. hat am 18.3.2021 ein psychologisches Gutachten vorgelegt, in dem er zu dem Ergebnis gekommen war, dass das seelische Wohl der Tochter im mütterlichen Haushalt wie auch bei einem Wechsel in den väterlichen Haushalt oder einer Fremdunterbringung gefährdet sei.
Mit richterlichem Schreiben vom 5.5.2021 wurden die Beteiligten darauf hingewiesen, dass auch das Gericht das Gutachten als ungenügend erachte, beabsichtigt sei, ein neues Gutachten einzuholen und Frau C. mit der Erstattung zu beauftragen. Daraufhin hat der Kindesvater am 26.5.2021 eine Beschleunigungsrüge erhoben, da die bisherige Verfahrensdauer in jeder Hinsicht nicht dem Vorrang- und Beschleunigungsgebot gemäß § 155 Abs. 1 FamFG entspreche.
Das AG hat die Beschleunigungsrüge zurückgewiesen. Auch die Beschleunigungsbeschwerde des Kindesvaters vor dem OLG blieb erfolglos.
Die Gründe:
Die Beschleunigungsbeschwerde ist nicht begründet, da nicht festgestellt werden konnte, dass die erstinstanzliche Verfahrensführung den Anforderungen des Beschleunigungsgebots aus § 155 Abs. 1 FamFG widersprochen hat.
Das Beschleunigungsgebot aus § 155 Abs. 1 FamFG gilt in jeder Lage des Verfahrens und ist u.a. bei der Anberaumung von Terminen, bei der Fristsetzung für die Abgabe eines Gutachtens oder der Bekanntgabe von Entscheidungen zu beachten. Maßstab der beschleunigten Verfahrensführung ist das in allen Phasen des Verfahrens vorrangig zu beachtende Gebot der individuellen Orientierung am Kindeswohl aus § 1697a BGB.
Einer zügigen Beendigung des Verfahrens stand jedoch bereits die zugrundeliegende Problematik eines jahrelangen elterlichen Konfliktes mit einhergehender seelischer Belastung der betroffenen Tochter entgegen, für die bisher von keinem der Beteiligten ein dem AG umsetzbarer erscheinender Lösungsansatz vorgetragen wurde. Dabei fehlt es offenbar insbesondere an konkreten Erkenntnissen dazu, welche sorgerechtlichen Maßnahmen einer Kindeswohlgefährdung entgegenwirken könnten, ohne dass die Tochter dadurch seelischen Belastungen ausgesetzt wird, deren erwartbaren anderweitigen Nachteilen ihre Entwicklung ebenfalls nachhaltig beeinträchtigen werden:
Abgesehen davon, dass es sich bei der Einholung eines Gutachtens ohnehin um eine der Überprüfung im Beschleunigungsverfahren kaum zugängliche Maßnahme der richterlichen Amtsermittlungspflicht handelt, erscheint die Klärung des Sachverhalts angesichts der Belange des betroffenen Mädchens und der Zerstrittenheit der Eltern auch dem Senat alternativlos. Einer zeitnahen Entscheidung steht derzeit zudem die Qualität des vorgelegten Gutachtens des Prof. Dr. J. entgegen, welches das AG für unzureichend im Hinblick auf die Verwertbarkeit für eine gerichtliche Entscheidung erachtet. Der Kindesvater hat sich hingegen zu der Verwertbarkeit des Gutachtens nicht geäußert.
Um zu einer tragfähigen Entscheidung über den künftigen Verbleib des betroffenen Kindes zu kommen, war das AG bei dieser Sachlage daher gehalten, die Sinnhaftigkeit einer Aufforderung an den bisherigen Sachverständigen zu einer grundlegenden, umfassenden Überarbeitung seines Gutachtens gegenüber einer gesonderten Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen abzuwägen. Dabei ist es zu dem nachvollziehbaren Ergebnis gekommen, dass von einer Erläuterung und Ergänzung des vorgelegten Gutachtens abzusehen und umgehend ein neues Gutachten einzuholen sei. Gründe, die diesen Erwägungen unter dem Gesichtspunkt des Beschleunigungsgebotes entgegengehalten werden könnten, vermag der Senat nicht zu erkennen.
Linkhinweis:
Den Volltext der Entscheidung finden Sie in der Datenbank Otto Schmidt online.
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Der Kindesvater wandte sich mit der Beschleunigungsbeschwerde vom 16.7.2021 gegen die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens, das die Prüfung von Maßnahmen zur Abwendung einer Gefährdung des seelischen Wohls seiner jetzt neun Jahre alten Tochter betraf. Diese lebt seit der Trennung der Eltern im Juni 2015 im Haushalt der Kindesmutter. Umgang mit dem Kindesvater fand zunächst für zwei bis längstens dreieinhalb Stunden wöchentlich statt, wobei es dem Mädchen durchgehend schwergefallen ist, sich auf direkte Kontakte mit ihm einzulassen und sich von der Mutter zu lösen. Seit November 2019 lässt die Kindesmutter keinen Umgang mehr zu, weil die Tochter. über sexuelle Handlungen des Vaters berichtet habe. Das auf ihre Anzeige eingeleitete Strafverfahren wurde am 14.10.2020 mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt.
Das AG hat auf Anregung des Kindesvaters mit richterlicher Verfügung vom 6.12.2019 das vorliegende Verfahren zur Prüfung der Anordnung von Maßnahmen zur Abwendung einer Gefährdung des Kindeswohls eingeleitet. Mit Beschluss vom 11.2.2020 hat es die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Klärung einer etwaigen Kindeswohlgefährdung im mütterlichen und väterlichen Haushalt sowie zu der Frage angeordnet, ob der Trennung des Kindes von der elterlichen Familie durch ambulante öffentliche Hilfen begegnet werden könne. Zum Sachverständigen wurde Prof. Dr. J. bestellt und eine Frist zur Vorlage des Gutachtens zum 31.8.2020 bestimmt.
Mit Schreiben vom 11.3.2020 gab der Gutachter bekannt, dass seine Versuche, Kontakt zu der Kindesmutter aufzunehmen, erfolglos geblieben seien. Diese teilte mit Schriftsatz vom 30.3.2020 mit, dass sie den Gutachter wegen fehlender Neutralität ablehne. Mit richterlicher Verfügung vom 18.8.2020 wurde der Gutachter um Fortsetzung der Begutachtung ersucht. Am 10.12.2020 teilte die Kindesmutter mit, grundsätzlich keine Bedenken gegen eine Begutachtung zu haben, Prof. Dr. J. aber erneut als Gutachter abzulehnen. Prof. Dr. J. hat am 18.3.2021 ein psychologisches Gutachten vorgelegt, in dem er zu dem Ergebnis gekommen war, dass das seelische Wohl der Tochter im mütterlichen Haushalt wie auch bei einem Wechsel in den väterlichen Haushalt oder einer Fremdunterbringung gefährdet sei.
Mit richterlichem Schreiben vom 5.5.2021 wurden die Beteiligten darauf hingewiesen, dass auch das Gericht das Gutachten als ungenügend erachte, beabsichtigt sei, ein neues Gutachten einzuholen und Frau C. mit der Erstattung zu beauftragen. Daraufhin hat der Kindesvater am 26.5.2021 eine Beschleunigungsrüge erhoben, da die bisherige Verfahrensdauer in jeder Hinsicht nicht dem Vorrang- und Beschleunigungsgebot gemäß § 155 Abs. 1 FamFG entspreche.
Das AG hat die Beschleunigungsrüge zurückgewiesen. Auch die Beschleunigungsbeschwerde des Kindesvaters vor dem OLG blieb erfolglos.
Die Gründe:
Die Beschleunigungsbeschwerde ist nicht begründet, da nicht festgestellt werden konnte, dass die erstinstanzliche Verfahrensführung den Anforderungen des Beschleunigungsgebots aus § 155 Abs. 1 FamFG widersprochen hat.
Das Beschleunigungsgebot aus § 155 Abs. 1 FamFG gilt in jeder Lage des Verfahrens und ist u.a. bei der Anberaumung von Terminen, bei der Fristsetzung für die Abgabe eines Gutachtens oder der Bekanntgabe von Entscheidungen zu beachten. Maßstab der beschleunigten Verfahrensführung ist das in allen Phasen des Verfahrens vorrangig zu beachtende Gebot der individuellen Orientierung am Kindeswohl aus § 1697a BGB.
Einer zügigen Beendigung des Verfahrens stand jedoch bereits die zugrundeliegende Problematik eines jahrelangen elterlichen Konfliktes mit einhergehender seelischer Belastung der betroffenen Tochter entgegen, für die bisher von keinem der Beteiligten ein dem AG umsetzbarer erscheinender Lösungsansatz vorgetragen wurde. Dabei fehlt es offenbar insbesondere an konkreten Erkenntnissen dazu, welche sorgerechtlichen Maßnahmen einer Kindeswohlgefährdung entgegenwirken könnten, ohne dass die Tochter dadurch seelischen Belastungen ausgesetzt wird, deren erwartbaren anderweitigen Nachteilen ihre Entwicklung ebenfalls nachhaltig beeinträchtigen werden:
Abgesehen davon, dass es sich bei der Einholung eines Gutachtens ohnehin um eine der Überprüfung im Beschleunigungsverfahren kaum zugängliche Maßnahme der richterlichen Amtsermittlungspflicht handelt, erscheint die Klärung des Sachverhalts angesichts der Belange des betroffenen Mädchens und der Zerstrittenheit der Eltern auch dem Senat alternativlos. Einer zeitnahen Entscheidung steht derzeit zudem die Qualität des vorgelegten Gutachtens des Prof. Dr. J. entgegen, welches das AG für unzureichend im Hinblick auf die Verwertbarkeit für eine gerichtliche Entscheidung erachtet. Der Kindesvater hat sich hingegen zu der Verwertbarkeit des Gutachtens nicht geäußert.
Um zu einer tragfähigen Entscheidung über den künftigen Verbleib des betroffenen Kindes zu kommen, war das AG bei dieser Sachlage daher gehalten, die Sinnhaftigkeit einer Aufforderung an den bisherigen Sachverständigen zu einer grundlegenden, umfassenden Überarbeitung seines Gutachtens gegenüber einer gesonderten Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen abzuwägen. Dabei ist es zu dem nachvollziehbaren Ergebnis gekommen, dass von einer Erläuterung und Ergänzung des vorgelegten Gutachtens abzusehen und umgehend ein neues Gutachten einzuholen sei. Gründe, die diesen Erwägungen unter dem Gesichtspunkt des Beschleunigungsgebotes entgegengehalten werden könnten, vermag der Senat nicht zu erkennen.
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