Beschlussersetzungsklage: Zulässigkeit der Klage hängt nicht von der Vorlage weiterer Informationen und Unterlagen an die Eigentümerversammlung ab
BGH v. 14.2.2025 - V ZR 86/24
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Mitglied der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE) und Eigentümer einer im Erdgeschoss gelegenen Wohnung. In einer Eigentümerversammlung im Juni 2022 beantragte er unter Beifügung eines Lichtbildes der geplanten Abdeckung, ihm die Montage von vier Wohnraumentlüftungen mit außenseitig sichtbaren, farblich angepassten Abdeckungen und die hierzu erforderlichen Fassadenbohrungen mit einem Durchmesser von rund 225 mm unter Einhaltung des KfW-Standards zu gestatten. Weitere Unterlagen zu dem Vorhaben hatte der Kläger seinem Antrag nicht beigefügt.
In der Versammlung wurden Bedenken über die Auswirkungen der geplanten Maßnahme auf die Bausubstanz und den KfW-Standard geäußert. Der Antrag wurde anschließend abgelehnt. Mit seiner Klage verlangt der Kläger mit der Begründung, er habe einen Anspruch auf Gestattung der Maßnahme aus § 20 Abs. 3 WEG, die gerichtliche Ersetzung des beantragten Beschlusses.
Das AG wies die Klage als unbegründet ab. Die Berufung des Klägers wies das LG mit der Maßgabe zurück, dass die Klage unzulässig sei. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Urteil des LG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist ein Rechtsschutzbedürfnis für die Klage gegeben.
Im Ausgangspunkt zutreffend nimmt das LG an, dass bei einer Beschlussersetzungsklage das sog. Vorbefassungsgebot gilt. Voraussetzung für eine zulässige Beschlussersetzungsklage ist grundsätzlich, dass sich der Kläger vor der Anrufung des Gerichts um die Beschlussfassung der primär zuständigen Versammlung der Wohnungseigentümer (§ 19 Abs. 1, § 23 Abs. 1 WEG) bemüht. Dies ergibt sich bereits aus § 44 Abs. 1 Satz 2 WEG, wonach die Klage voraussetzt, dass eine notwendige Beschlussfassung unterbleibt. Von Rechtsfehlern beeinflusst ist dagegen die Annahme des LG, bei einer Klage, welche die gerichtliche Ersetzung der Gestattung einer baulichen Maßnahme nach § 20 Abs. 3 WEG zum Gegenstand hat, sei es für eine hinreichende Vorbefassung erforderlich, dass der den Beschluss verlangende Wohnungseigentümer der Eigentümerversammlung die für die Beschlussfassung erforderlichen Informationen verschafft und ihr in diesem Zusammenhang ggf. auch Privatgutachten vorlegt.
Nach der Rechtsprechung des Senats genügt es für die Vorbefassung jedenfalls, dass der Kläger in der Eigentümerversammlung die Beschlussfassung verlangt hat, wie er sie in der Folge von dem Gericht ersetzt verlangt. Danach liegt hier eine hinreichende Vorbefassung vor, weil der Kläger in der Eigentümerversammlung erfolglos versucht hat, eine Beschlussfassung zu erreichen, wie er sie nun mit der Klage geltend macht. Wird mit der Beschlussersetzungsklage die Gestattung einer Maßnahme nach § 20 Abs. 3 WEG verlangt, genügt es - wie sonst auch - für die Vorbefassung, dass der Kläger in der Eigentümerversammlung die Beschlussfassung verlangt hat, wie er sie in der Folge von dem Gericht ersetzt verlangt. Die Zulässigkeit der Klage hängt nicht davon ab, dass der Kläger der Eigentümerversammlung weitere Informationen und Unterlagen vorgelegt hat.
Nach § 20 Abs. 3 WEG kann jeder Wohnungseigentümer verlangen, dass ihm eine bauliche Veränderung gestattet wird, wenn alle Wohnungseigentümer, deren Rechte durch die bauliche Veränderung über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus beeinträchtigt werden, einverstanden sind. Ob der Anspruch eines Wohnungseigentümers auf Gestattung einer baulichen Veränderung das Einverständnis anderer Wohnungseigentümer voraussetzt, hängt entscheidend davon ab, ob sich ein Wohnungseigentümer nach der Verkehrsanschauung verständlicherweise beeinträchtigt fühlen kann.
Der ständigen Senatsrechtsprechung entsprechend sind von einem einzelnen Wohnungseigentümer beabsichtigte Durchbrüche einer tragenden Wand oder Fassadendurchbohrungen nicht ohne weiteres als beeinträchtigende bauliche Veränderungen einzuordnen; ob sich andere Wohnungseigentümer durch derartige Eingriffe in die bauliche Substanz des Gemeinschaftseigentums verständlicherweise beeinträchtigt fühlen können, hängt vielmehr von einer tatrichterlichen Würdigung der Umstände des Einzelfalls ab. Wird die Maßnahme nach fachkundiger Planung und ggf. statischer Berechnung durch ein Fachunternehmen nach den Regeln der Baukunst durchgeführt, kann es an einer Beeinträchtigung der anderen Wohnungseigentümer fehlen; das gilt nicht nur für tragende Innenwände, sondern auch für Außenwände. Etwas anderes ergibt sich insbesondere nicht aus Art. 14 Abs. 1 GG. Denn auf die Eigentumsfreiheit können sich nicht nur die Wohnungseigentümer, die einen Eingriff in die Bausubstanz ablehnen, sondern auch die die Maßnahme verlangenden Wohnungseigentümer berufen.
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Der Kläger ist Mitglied der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE) und Eigentümer einer im Erdgeschoss gelegenen Wohnung. In einer Eigentümerversammlung im Juni 2022 beantragte er unter Beifügung eines Lichtbildes der geplanten Abdeckung, ihm die Montage von vier Wohnraumentlüftungen mit außenseitig sichtbaren, farblich angepassten Abdeckungen und die hierzu erforderlichen Fassadenbohrungen mit einem Durchmesser von rund 225 mm unter Einhaltung des KfW-Standards zu gestatten. Weitere Unterlagen zu dem Vorhaben hatte der Kläger seinem Antrag nicht beigefügt.
In der Versammlung wurden Bedenken über die Auswirkungen der geplanten Maßnahme auf die Bausubstanz und den KfW-Standard geäußert. Der Antrag wurde anschließend abgelehnt. Mit seiner Klage verlangt der Kläger mit der Begründung, er habe einen Anspruch auf Gestattung der Maßnahme aus § 20 Abs. 3 WEG, die gerichtliche Ersetzung des beantragten Beschlusses.
Das AG wies die Klage als unbegründet ab. Die Berufung des Klägers wies das LG mit der Maßgabe zurück, dass die Klage unzulässig sei. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Urteil des LG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist ein Rechtsschutzbedürfnis für die Klage gegeben.
Im Ausgangspunkt zutreffend nimmt das LG an, dass bei einer Beschlussersetzungsklage das sog. Vorbefassungsgebot gilt. Voraussetzung für eine zulässige Beschlussersetzungsklage ist grundsätzlich, dass sich der Kläger vor der Anrufung des Gerichts um die Beschlussfassung der primär zuständigen Versammlung der Wohnungseigentümer (§ 19 Abs. 1, § 23 Abs. 1 WEG) bemüht. Dies ergibt sich bereits aus § 44 Abs. 1 Satz 2 WEG, wonach die Klage voraussetzt, dass eine notwendige Beschlussfassung unterbleibt. Von Rechtsfehlern beeinflusst ist dagegen die Annahme des LG, bei einer Klage, welche die gerichtliche Ersetzung der Gestattung einer baulichen Maßnahme nach § 20 Abs. 3 WEG zum Gegenstand hat, sei es für eine hinreichende Vorbefassung erforderlich, dass der den Beschluss verlangende Wohnungseigentümer der Eigentümerversammlung die für die Beschlussfassung erforderlichen Informationen verschafft und ihr in diesem Zusammenhang ggf. auch Privatgutachten vorlegt.
Nach der Rechtsprechung des Senats genügt es für die Vorbefassung jedenfalls, dass der Kläger in der Eigentümerversammlung die Beschlussfassung verlangt hat, wie er sie in der Folge von dem Gericht ersetzt verlangt. Danach liegt hier eine hinreichende Vorbefassung vor, weil der Kläger in der Eigentümerversammlung erfolglos versucht hat, eine Beschlussfassung zu erreichen, wie er sie nun mit der Klage geltend macht. Wird mit der Beschlussersetzungsklage die Gestattung einer Maßnahme nach § 20 Abs. 3 WEG verlangt, genügt es - wie sonst auch - für die Vorbefassung, dass der Kläger in der Eigentümerversammlung die Beschlussfassung verlangt hat, wie er sie in der Folge von dem Gericht ersetzt verlangt. Die Zulässigkeit der Klage hängt nicht davon ab, dass der Kläger der Eigentümerversammlung weitere Informationen und Unterlagen vorgelegt hat.
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Der ständigen Senatsrechtsprechung entsprechend sind von einem einzelnen Wohnungseigentümer beabsichtigte Durchbrüche einer tragenden Wand oder Fassadendurchbohrungen nicht ohne weiteres als beeinträchtigende bauliche Veränderungen einzuordnen; ob sich andere Wohnungseigentümer durch derartige Eingriffe in die bauliche Substanz des Gemeinschaftseigentums verständlicherweise beeinträchtigt fühlen können, hängt vielmehr von einer tatrichterlichen Würdigung der Umstände des Einzelfalls ab. Wird die Maßnahme nach fachkundiger Planung und ggf. statischer Berechnung durch ein Fachunternehmen nach den Regeln der Baukunst durchgeführt, kann es an einer Beeinträchtigung der anderen Wohnungseigentümer fehlen; das gilt nicht nur für tragende Innenwände, sondern auch für Außenwände. Etwas anderes ergibt sich insbesondere nicht aus Art. 14 Abs. 1 GG. Denn auf die Eigentumsfreiheit können sich nicht nur die Wohnungseigentümer, die einen Eingriff in die Bausubstanz ablehnen, sondern auch die die Maßnahme verlangenden Wohnungseigentümer berufen.
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