Beschwerde des Angehörigen im Interesse des Betroffenen nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG gegen eine von Amts wegen ergangene Entscheidung
BGH v. 8.3.2023 - XII ZB 283/22
Der Sachverhalt:
Der Beteiligte zu 1) wendet sich im Rahmen der Einrichtung einer Betreuung für die Betroffene gegen die Betreuerauswahl. Die im Jahr 1929 geborene Betroffene leidet an einem schweren demenziellen Syndrom, infolge dessen sie ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst besorgen kann. Im September 2020 erteilte sie einem ihrer Söhne, dem Beteiligten zu 1), eine notarielle Vorsorgevollmacht. Im Mai 2021 regte die Tochter der Betroffenen, die Beteiligte zu 2), die Einrichtung einer rechtlichen Betreuung für die Betroffene an. Im darauf eingeleiteten Betreuungsverfahren reichte der Beteiligte zu 1) jeweils in Vertretung für die Betroffene seine Vorsorgevollmacht zur Akte und beantragte Akteneinsicht, die ihm auch gewährt wurde. Bei einem Gespräch der Betreuungsbehörde mit der Betroffenen war der Beteiligte zu 1) anwesend.
Nach einer Stellungnahme der Betreuungsbehörde lehnte das AG die von der Beteiligten zu 2) angeregte Einrichtung einer Betreuung im Hinblick auf die dem Beteiligten zu 1) erteilte Vorsorgevollmacht durch Beschluss vom 11.6.2021 ab. Der hiergegen gerichteten Beschwerde der Beteiligten zu 2) half es sodann unter Hinweis auf die Unwirksamkeit der Vorsorgevollmacht ab und bestellte die Beteiligte zu 5), eine Rechtsanwältin, zur Betreuerin. Das LG wies die dagegen vom Beteiligten zu 1) im eigenen Namen eingelegte Beschwerde, die sich allein gegen die Auswahl der bestellten Betreuerin richtet, zurück.
Die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1) hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) ist unzulässig, weil dem Beteiligten zu 1) die Berechtigung für ein Rechtsmittel im eigenen Namen gefehlt hat.
Eine Beschwerdeberechtigung lässt sich für den Beteiligten zu 1 mit Blick auf die ihm erteilte Vorsorgevollmacht weder aus § 303 Abs. 4 Satz 1 FamFG noch aus § 59 Abs. 1 FamFG herleiten, weil der Beteiligte zu 1) die Beschwerde nicht im Namen der Betroffenen eingelegt hat und er seinerseits durch den Beschluss des AG nicht in eigenen Rechten betroffen ist. Der Beteiligte zu 1) war auch nicht als Abkömmling der Betroffenen zur Einlegung der Beschwerde im eigenen Namen nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG berechtigt. Denn er ist im ersten Rechtszug nicht beteiligt worden. Das Recht zur Beschwerde im eigenen Namen steht einem Angehörigen nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG im Interesse des Betroffenen nur dann zu, wenn der Angehörige - wenngleich nicht zwingend in eben dieser Funktion - im ersten Rechtszug beteiligt worden ist.
Für eine solche Beteiligung i.S.v. §§ 7, 274, 303 Abs. 2 FamFG bedarf es immer eines vom Gericht gewollten Hinzuziehungsaktes, unabhängig davon, ob es sich um einen Muss-Beteiligten i.S.v. § 274 Abs. 1 FamFG oder um einen Kann-Beteiligten nach § 274 Abs. 4 FamFG handelt. Die Hinzuziehung eines Beteiligten kann allerdings auch konkludent erfolgen, etwa durch das Übersenden von Schriftstücken oder die Ladung zu Terminen. Andererseits genügt die bloße Bekanntgabe der die Instanz abschließenden Entscheidung nicht für eine Beteiligung i.S.d. § 7 FamFG. Denn eine Beteiligung setzt notwendigerweise die Möglichkeit voraus, dass die beteiligte Person auf das Verfahren in derselben Instanz Einfluss nehmen kann. Hierbei kommt es darauf an, ob das Gericht dem Beteiligten eine solche Einflussnahme ermöglichen will und dies zumindest konkludent zum Ausdruck bringt.
Gemessen hieran fehlt es vorliegend an einer Beteiligung des Beteiligten zu 1) im ersten Rechtszug und damit an dessen erforderlicher Beschwerdeberechtigung. Das AG hat den Beteiligten zu 1) weder als Vorsorgebevollmächtigten nach § 274 Abs. 1 Nr. 3 FamFG noch als Abkömmling der Betroffenen nach § 274 Abs. 4 Nr. 1 FamFG oder in anderer Eigenschaft ausdrücklich beteiligt. Es hat ihn nach den aufgeführten Grundsätzen auch nicht konkludent zum Betreuungsverfahren hinzugezogen. Insbesondere in der vom AG gewährten Akteneinsicht liegt unter den gegebenen Umständen keine Hinzuziehung des Beteiligten zu 1) als Verfahrensbeteiligter. Denn in der antragsgemäß bewilligten Akteneinsicht liegt keine Hinzuziehung eines Angehörigen, wenn die Akteneinsicht - wie hier - erkennbar allein dazu dient, dessen berechtigtes Informationsinteresse zu befriedigen.
Auch durch die Hinzuziehung des Beteiligten zu 1) in dem auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2) durchgeführten Abhilfeverfahren wurde dieser nicht wie von § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG vorausgesetzt zum Beteiligten im ersten Rechtszug. Denn das auf eine Beschwerde folgende Abhilfeverfahren nach § 68 Abs. 1 Satz 1 FamFG ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats bereits Bestandteil des Beschwerdeverfahrens und gehört deshalb nicht zum ersten Rechtszug i.S.v. § 303 Abs. 2 FamFG. Ein Angehöriger erlangt demnach durch seine Hinzuziehung (erstmals) im Abhilfeverfahren nach § 68 Abs. 1 Satz 1 FamFG nicht nachträglich eine Beschwerdebefugnis nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG. Dies gilt auch dann, wenn sich der Angehörige, der erst im Abhilfeverfahren beteiligt wurde, mit seiner Beschwerde gegen die Betreuungsentscheidung in Gestalt der sie abändernden Abhilfeentscheidung wendet.
Mehr zum Thema:
Kommentierung | FamFG
§ 303 Ergänzende Vorschriften über die Beschwerde
Fröschle in Prütting/Helms, FamFG, Kommentar, 6. Aufl. 2023
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Der Beteiligte zu 1) wendet sich im Rahmen der Einrichtung einer Betreuung für die Betroffene gegen die Betreuerauswahl. Die im Jahr 1929 geborene Betroffene leidet an einem schweren demenziellen Syndrom, infolge dessen sie ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst besorgen kann. Im September 2020 erteilte sie einem ihrer Söhne, dem Beteiligten zu 1), eine notarielle Vorsorgevollmacht. Im Mai 2021 regte die Tochter der Betroffenen, die Beteiligte zu 2), die Einrichtung einer rechtlichen Betreuung für die Betroffene an. Im darauf eingeleiteten Betreuungsverfahren reichte der Beteiligte zu 1) jeweils in Vertretung für die Betroffene seine Vorsorgevollmacht zur Akte und beantragte Akteneinsicht, die ihm auch gewährt wurde. Bei einem Gespräch der Betreuungsbehörde mit der Betroffenen war der Beteiligte zu 1) anwesend.
Nach einer Stellungnahme der Betreuungsbehörde lehnte das AG die von der Beteiligten zu 2) angeregte Einrichtung einer Betreuung im Hinblick auf die dem Beteiligten zu 1) erteilte Vorsorgevollmacht durch Beschluss vom 11.6.2021 ab. Der hiergegen gerichteten Beschwerde der Beteiligten zu 2) half es sodann unter Hinweis auf die Unwirksamkeit der Vorsorgevollmacht ab und bestellte die Beteiligte zu 5), eine Rechtsanwältin, zur Betreuerin. Das LG wies die dagegen vom Beteiligten zu 1) im eigenen Namen eingelegte Beschwerde, die sich allein gegen die Auswahl der bestellten Betreuerin richtet, zurück.
Die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1) hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) ist unzulässig, weil dem Beteiligten zu 1) die Berechtigung für ein Rechtsmittel im eigenen Namen gefehlt hat.
Eine Beschwerdeberechtigung lässt sich für den Beteiligten zu 1 mit Blick auf die ihm erteilte Vorsorgevollmacht weder aus § 303 Abs. 4 Satz 1 FamFG noch aus § 59 Abs. 1 FamFG herleiten, weil der Beteiligte zu 1) die Beschwerde nicht im Namen der Betroffenen eingelegt hat und er seinerseits durch den Beschluss des AG nicht in eigenen Rechten betroffen ist. Der Beteiligte zu 1) war auch nicht als Abkömmling der Betroffenen zur Einlegung der Beschwerde im eigenen Namen nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG berechtigt. Denn er ist im ersten Rechtszug nicht beteiligt worden. Das Recht zur Beschwerde im eigenen Namen steht einem Angehörigen nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG im Interesse des Betroffenen nur dann zu, wenn der Angehörige - wenngleich nicht zwingend in eben dieser Funktion - im ersten Rechtszug beteiligt worden ist.
Für eine solche Beteiligung i.S.v. §§ 7, 274, 303 Abs. 2 FamFG bedarf es immer eines vom Gericht gewollten Hinzuziehungsaktes, unabhängig davon, ob es sich um einen Muss-Beteiligten i.S.v. § 274 Abs. 1 FamFG oder um einen Kann-Beteiligten nach § 274 Abs. 4 FamFG handelt. Die Hinzuziehung eines Beteiligten kann allerdings auch konkludent erfolgen, etwa durch das Übersenden von Schriftstücken oder die Ladung zu Terminen. Andererseits genügt die bloße Bekanntgabe der die Instanz abschließenden Entscheidung nicht für eine Beteiligung i.S.d. § 7 FamFG. Denn eine Beteiligung setzt notwendigerweise die Möglichkeit voraus, dass die beteiligte Person auf das Verfahren in derselben Instanz Einfluss nehmen kann. Hierbei kommt es darauf an, ob das Gericht dem Beteiligten eine solche Einflussnahme ermöglichen will und dies zumindest konkludent zum Ausdruck bringt.
Gemessen hieran fehlt es vorliegend an einer Beteiligung des Beteiligten zu 1) im ersten Rechtszug und damit an dessen erforderlicher Beschwerdeberechtigung. Das AG hat den Beteiligten zu 1) weder als Vorsorgebevollmächtigten nach § 274 Abs. 1 Nr. 3 FamFG noch als Abkömmling der Betroffenen nach § 274 Abs. 4 Nr. 1 FamFG oder in anderer Eigenschaft ausdrücklich beteiligt. Es hat ihn nach den aufgeführten Grundsätzen auch nicht konkludent zum Betreuungsverfahren hinzugezogen. Insbesondere in der vom AG gewährten Akteneinsicht liegt unter den gegebenen Umständen keine Hinzuziehung des Beteiligten zu 1) als Verfahrensbeteiligter. Denn in der antragsgemäß bewilligten Akteneinsicht liegt keine Hinzuziehung eines Angehörigen, wenn die Akteneinsicht - wie hier - erkennbar allein dazu dient, dessen berechtigtes Informationsinteresse zu befriedigen.
Auch durch die Hinzuziehung des Beteiligten zu 1) in dem auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2) durchgeführten Abhilfeverfahren wurde dieser nicht wie von § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG vorausgesetzt zum Beteiligten im ersten Rechtszug. Denn das auf eine Beschwerde folgende Abhilfeverfahren nach § 68 Abs. 1 Satz 1 FamFG ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats bereits Bestandteil des Beschwerdeverfahrens und gehört deshalb nicht zum ersten Rechtszug i.S.v. § 303 Abs. 2 FamFG. Ein Angehöriger erlangt demnach durch seine Hinzuziehung (erstmals) im Abhilfeverfahren nach § 68 Abs. 1 Satz 1 FamFG nicht nachträglich eine Beschwerdebefugnis nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG. Dies gilt auch dann, wenn sich der Angehörige, der erst im Abhilfeverfahren beteiligt wurde, mit seiner Beschwerde gegen die Betreuungsentscheidung in Gestalt der sie abändernden Abhilfeentscheidung wendet.
Kommentierung | FamFG
§ 303 Ergänzende Vorschriften über die Beschwerde
Fröschle in Prütting/Helms, FamFG, Kommentar, 6. Aufl. 2023
6. Aufl./Lfg. 09.2022
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§ 68 Gang des Beschwerdeverfahrens
Abramenko in Prütting/Helms, FamFG, Kommentar, 6. Aufl. 2023
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