Beschwerde in einer Familiensache beim nicht empfangszuständigen OLG: Wiedereinsetzung wegen fehlerhafter Rechtsbehelfsbelehrung
BGH v. 25.1.2023 - XII ZB 29/20Das Verfahren betrifft die Ersetzung der Einwilligung des beteiligten Kindesvaters in die Einbenennung des 2008 geborenen Kindes. Das aus der Ehe der beteiligten Eltern hervorgegangene Kind trägt den Nachnamen des Kindesvaters. Die Ehe wurde im Jahr 2010 geschieden. Die Kindesmutter ist wiederverheiratet und hat den Namen ihres heutigen Ehemanns angenommen. Der Kindesmutter ist das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen worden. Wegen weiterer sorgerechtlicher Befugnisse hat der Kindesvater ihr Vollmacht erteilt.
Die Kindesmutter hat die Ersetzung der Einwilligung des Kindesvaters in die Einbenennung des Kindes beantragt. Das Kind hat der Einbenennung zugestimmt. Das AG wies den Antrag zurück. In der Rechtsbehelfsbelehrung wurde - in fehlerhafter Weise - darauf hingewiesen, dass der Beschluss mit der "sofortigen Beschwerde" angefochten werden könne, welche beim AG "oder" beim OLG einzulegen sei.
Das OLG ersetzte auf das bei ihm von der Kindesmutter eingelegte Rechtsmittel die Einwilligung des Kindesvaters in die Erteilung des Ehenamens für das Kind antragsgemäß.
Der BGH hat auf die Rechtsbeschwerde des Kindesvaters den angefochtenen Beschluss aufgehoben und die Sache an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Die Gründe:
Der angefochtene Beschluss ist nicht bereits wegen Unzulässigkeit der (Erst-)Beschwerde aufzuheben. Denn der Kindesmutter ist von Amts wegen Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdeeinlegungsfrist zu gewähren. Zwar rügt die Rechtsbeschwerde mit Recht, dass die Beschwerde nicht in zulässiger Weise eingelegt worden ist. Die Kindesmutter hat diese nicht, wie in § 64 Abs. 1 Satz 1 FamFG vorgeschrieben, beim AG, sondern beim Beschwerdegericht eingereicht.
Eine Verwerfung der Beschwerde ist dennoch nicht auszusprechen, weil der Kindesmutter von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, was unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falls auch in der Rechtsbeschwerdeinstanz erfolgen kann.
Denn die Kindesmutter war ohne ihr Verschulden verhindert, die gesetzliche Beschwerdefrist einzuhalten. Nach § 17 Abs. 2 FamFG wird ein Fehlen des Verschuldens vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist. Die im Beschluss des AG enthaltene Rechtsbehelfsbelehrung ist fehlerhaft: Entgegen den darin enthaltenen Angaben konnte die (richtig:) Beschwerde nicht in wirksamer Form beim OLG eingelegt werden. Aufgrund der fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung ist der nicht anwaltlich vertretenen Kindesmutter nicht anzulasten, dass sie die Beschwerde beim in der Rechtsbehelfsbelehrung als empfangszuständig angeführten Beschwerdegericht eingelegt hat.
Wird die Beschwerde in einer Familiensache beim nicht empfangszuständigen OLG eingelegt und entscheidet dieses trotz Unzulässigkeit der Beschwerde in der Sache, so kann das Rechtsbeschwerdegericht wegen der versäumten Beschwerdeeinlegungsfrist von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähren, wenn das fehlende Verschulden des Beschwerdeführers offenkundig ist und die zur Nachholung der Beschwerdeeinlegung ausreichende Übersendung der Akten an das AG von Amts wegen zu erfolgen hatte. Das Rechtsbeschwerdegericht kann in diesem Fall die Aktenübersendung selbst veranlassen.
Die Ersetzung der Einwilligung in die Einbenennung ist nur dann für das Kindeswohl erforderlich, wenn gewichtige, über die mit der Einbeziehung des Kindes in die Stieffamilie verbundene typische Interessenlage hinausgehende Gründe hierfür vorliegen (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 24.10.2001 - XII ZB 88/99 - FamRZ 2002, 94). Von einer ohne Einbenennung entstehenden Gefährdung des Kindeswohls ist die Ersetzung der Einwilligung hingegen nicht abhängig.
Soweit der Senat die Ersetzung der Einwilligung des anderen Elternteils über die vorstehend aufgeführten Grundsätze hinausgehend erst dann als erforderlich angesehen hat, wenn konkrete Umstände vorliegen, die das Kindeswohl gefährden, und wenn die Einbenennung daher unerlässlich ist, um Schaden vom Kind abzuwenden (Senatsbeschluss vom 10. März 2005 - XII ZB 153/03 - FamRZ 2005, 889, 890; ebenso zuletzt OLG Saarbrücken FamRZ 2022, 1196), ist daran nicht festzuhalten (insoweit zutreffend auch OLG Frankfurt FamRZ 2022, 264, 265 f.). Denn auch durch die Umstellung des Maßstabs für die Ersetzung der Einwilligung hat der Gesetzgeber eine Kindeswohlgefährdung, welche die Schwelle für die am schwersten wiegenden Eingriffe in das Elternrecht nach § 1666 BGB darstellt, nicht zur Voraussetzung der Ersetzung der Einwilligung erhoben. Gegen eine Heranziehung des Maßstabs der Kindeswohlgefährdung wird dementsprechend vom Beschwerdegericht zu Recht angeführt, dass schon von der gleichzeitig eingeführten Neuregelung in § 1684 Abs. 4 BGB ausdrücklich zwischen Kindeswohlerforderlichkeit und -gefährdung unterschieden wurde.
Ist nach umfassender Abwägung der Kindeswohlbelange und des Kontinuitätsinteresses des namensgebenden Elternteils die Erforderlichkeit der Einbenennung zu bejahen, hat das Familiengericht als mildere Maßnahme stets eine additive Einbenennung zu prüfen. Genügt diese den Belangen des Kindes, wird aber ein darauf gerichteter (Hilfs-)Antrag nicht gestellt, so ist die Ersetzung der Einwilligung abzulehnen.
Aufsatz:
Ersetzung der Zustimmung zur Einbenennung - zu Verfahrensfragen und dem Begriff der Erforderlichkeit
Marcel Schmiegelt, Rpfleger 2022, 101
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