Bestellung eines Betreuers trotz Vorsorgevollmacht?
BGH v. 13.12.2023 - XII ZB 334/22
Der Sachverhalt:
Die im Jahr 1946 geborene Betroffene leidet an einer Demenz. Die Beteiligten zu 1) und 2) sind Brüder und die Enkel der Betroffenen. Die Betroffene hatte dem Beteiligten zu 1) seit August 2012 mehrfach (Vorsorge-)Vollmachten erteilt, zuletzt im Juli 2020. Auf Anregung des Beteiligten zu 1) wurde im September 2020 ein Betreuungsverfahren eingeleitet. Der zwischenzeitlich mandatierte Verfahrensbevollmächtigte der Betroffenen reichte am 8.12.2020 eine vom Ortsgericht beglaubigte Vorsorgevollmacht zur Akte, welche die Betroffene dem Beteiligten zu 2) am 6.10.2020 erteilt hatte. Zudem widerrief er alle dem Beteiligten zu 1) eventuell erteilten Vollmachten der Betroffenen.
Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Geschäftsfähigkeit der Betroffenen am 6.10.2020 hörte das AG die Betroffene persönlich an und stellte durch Beschluss fest, dass die dem Beteiligten zu 2) erteilte Vorsorgevollmacht vom 6.10.2020 wirksam sei und die dem Beteiligten zu 1) erteilten Vollmachten wirksam widerrufen worden seien. Ferner bestellte das AG die Beteiligte zu 3) zur berufsmäßigen Kontrollbetreuerin mit dem Aufgabenkreis "Geltendmachung von Rechten der Betroffenen gegenüber dem Beteiligten zu 2) und Überwachung der Vorsorgevollmacht vom 6.10.2020".
Die dagegen gerichtete Beschwerde des Beteiligten zu 1) wies das LG nach Einholung eines ärztlichen Zeugnisses zur Fähigkeit der Betroffenen, den von ihr Bevollmächtigten hinreichend zu überwachen, sowie nach persönlicher Anhörung der Betroffenen zurück. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1), mit der er weiter geltend macht, dass die ihm erteilten Vollmachten nicht wirksam widerrufen und die Vollmacht für den Beteiligten zu 2) am 6.10.2020 nicht wirksam erteilt worden seien.
Auf die Rechtsbeschwerde hob der BGH den Beschluss des LG auf und verwies die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Der angefochtene Beschluss unterliegt schon deshalb der Aufhebung nach § 74 Abs. 5 FamFG, weil das LG keine hinreichenden Feststellungen zur Eignung des Beteiligten zu 2) als Vorsorgebevollmächtigter getroffen hat.
Ein Betreuer darf nach § 1814 Abs. 3 Satz 1 BGB (bis 31.12.2022: § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB) nur bestellt werden, wenn dies erforderlich ist. An der Erforderlichkeit fehlt es, soweit die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten gleichermaßen besorgt werden können (§ 1814 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BGB; bis 31.12.2022: § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB). Eine wirksame Vorsorgevollmacht steht daher der Bestellung eines Betreuers grundsätzlich entgegen. Eine Betreuung kann aber gleichwohl erforderlich sein, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen, insbesondere weil zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch jenen eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründet.
Letzteres ist der Fall, wenn der Bevollmächtigte mangels Befähigung oder wegen erheblicher Bedenken an seiner Redlichkeit als ungeeignet erscheint. Über Art und Umfang der zur Frage der Eignung des Bevollmächtigten durchzuführenden Ermittlungen entscheidet das Tatgericht nach pflichtgemäßem Ermessen. Sofern erhebliche Zweifel an der Befähigung oder Redlichkeit des Bevollmächtigten bestehen und sich die Gefahr für das Wohl des Betroffenen durch die Bestellung eines Kontrollbetreuers nach §§ 1815 Abs. 3, 1820 Abs. 3 FamFG (bis 31.12.2022: § 1896 Abs. 3 BGB) nicht hinreichend abwenden lässt, ist eine Vollbetreuung einzurichten. Liegen dagegen lediglich Mängel bei der Vollmachtausübung vor, die behebbar sind, erfordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz grundsätzlich zunächst den Versuch, mittels eines zu bestellenden Kontrollbetreuers auf den Bevollmächtigten positiv einzuwirken.
Das LG hat sich mit der Frage, ob der Beteiligte zu 2) geeignet ist, die Angelegenheiten der Betroffenen zu besorgen, nicht näher befasst, sondern lediglich ausgeführt, dass die Betroffene über nicht unerhebliche Vermögenswerte verfüge, deren Verwaltung komplex und aufwändig sein dürfte, so dass die Eignung des Beteiligten zu 2) fraglich erscheine. Die sowohl von der Kontrollbetreuerin als auch vom Beteiligten zu 1) im Beschwerdeverfahren geäußerten Bedenken hinsichtlich der Eignung des Beteiligten zu 2) hat es in seinem Beschluss dagegen nicht aufgegriffen. Es hat allerdings in einer Verfügung an das AG darauf hingewiesen, dass die inzwischen vorliegenden Erkenntnisse der Kontrollbetreuerin bzgl. der Eignung des Beteiligten zu 2) einen Widerruf der Vollmacht rechtfertigen dürften, der indes (noch) nicht vom Aufgabenkreis umfasst sei. Diesen erheblichen Zweifeln an der Eignung des Beteiligten zu 2) hätte das LG jedoch selbst nachgehen müssen, weil im Falle fehlender Eignung des Vorsorgebevollmächtigten statt einer Kontrollbetreuung eine Vollbetreuung für die Betroffene einzurichten wäre.
Mehr zum Thema:
Rechtsprechung (siehe Leitsätze):
§ 1896 II BGB a.F.: Vorsorgebevollmächtigter hat notwendige Hilfen zu besorgen, muss diese aber nicht selbst leisten
BGH vom 16.11.2022 - XII ZB 212/22
FamRZ 2023, 308
Kommentierung | BGB
§ 1814 Voraussetzungen
Reh in Bienwald, Betreuungsrecht, Kommentar, 7. Aufl. 2023
Kommentierung | BGB
§ 1815 Umfang der Betreuung
Reh in Bienwald, Betreuungsrecht, Kommentar, 7. Aufl. 2023
Kommentierung | BGB
§ 1820 Vorsorgevollmacht und Kontrollbetreuung
Reh/C. Bienwald in Bienwald, Betreuungsrecht, Kommentar, 7. Aufl. 2023
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BGH online
Die im Jahr 1946 geborene Betroffene leidet an einer Demenz. Die Beteiligten zu 1) und 2) sind Brüder und die Enkel der Betroffenen. Die Betroffene hatte dem Beteiligten zu 1) seit August 2012 mehrfach (Vorsorge-)Vollmachten erteilt, zuletzt im Juli 2020. Auf Anregung des Beteiligten zu 1) wurde im September 2020 ein Betreuungsverfahren eingeleitet. Der zwischenzeitlich mandatierte Verfahrensbevollmächtigte der Betroffenen reichte am 8.12.2020 eine vom Ortsgericht beglaubigte Vorsorgevollmacht zur Akte, welche die Betroffene dem Beteiligten zu 2) am 6.10.2020 erteilt hatte. Zudem widerrief er alle dem Beteiligten zu 1) eventuell erteilten Vollmachten der Betroffenen.
Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Geschäftsfähigkeit der Betroffenen am 6.10.2020 hörte das AG die Betroffene persönlich an und stellte durch Beschluss fest, dass die dem Beteiligten zu 2) erteilte Vorsorgevollmacht vom 6.10.2020 wirksam sei und die dem Beteiligten zu 1) erteilten Vollmachten wirksam widerrufen worden seien. Ferner bestellte das AG die Beteiligte zu 3) zur berufsmäßigen Kontrollbetreuerin mit dem Aufgabenkreis "Geltendmachung von Rechten der Betroffenen gegenüber dem Beteiligten zu 2) und Überwachung der Vorsorgevollmacht vom 6.10.2020".
Die dagegen gerichtete Beschwerde des Beteiligten zu 1) wies das LG nach Einholung eines ärztlichen Zeugnisses zur Fähigkeit der Betroffenen, den von ihr Bevollmächtigten hinreichend zu überwachen, sowie nach persönlicher Anhörung der Betroffenen zurück. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1), mit der er weiter geltend macht, dass die ihm erteilten Vollmachten nicht wirksam widerrufen und die Vollmacht für den Beteiligten zu 2) am 6.10.2020 nicht wirksam erteilt worden seien.
Auf die Rechtsbeschwerde hob der BGH den Beschluss des LG auf und verwies die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Der angefochtene Beschluss unterliegt schon deshalb der Aufhebung nach § 74 Abs. 5 FamFG, weil das LG keine hinreichenden Feststellungen zur Eignung des Beteiligten zu 2) als Vorsorgebevollmächtigter getroffen hat.
Ein Betreuer darf nach § 1814 Abs. 3 Satz 1 BGB (bis 31.12.2022: § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB) nur bestellt werden, wenn dies erforderlich ist. An der Erforderlichkeit fehlt es, soweit die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten gleichermaßen besorgt werden können (§ 1814 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BGB; bis 31.12.2022: § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB). Eine wirksame Vorsorgevollmacht steht daher der Bestellung eines Betreuers grundsätzlich entgegen. Eine Betreuung kann aber gleichwohl erforderlich sein, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen, insbesondere weil zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch jenen eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründet.
Letzteres ist der Fall, wenn der Bevollmächtigte mangels Befähigung oder wegen erheblicher Bedenken an seiner Redlichkeit als ungeeignet erscheint. Über Art und Umfang der zur Frage der Eignung des Bevollmächtigten durchzuführenden Ermittlungen entscheidet das Tatgericht nach pflichtgemäßem Ermessen. Sofern erhebliche Zweifel an der Befähigung oder Redlichkeit des Bevollmächtigten bestehen und sich die Gefahr für das Wohl des Betroffenen durch die Bestellung eines Kontrollbetreuers nach §§ 1815 Abs. 3, 1820 Abs. 3 FamFG (bis 31.12.2022: § 1896 Abs. 3 BGB) nicht hinreichend abwenden lässt, ist eine Vollbetreuung einzurichten. Liegen dagegen lediglich Mängel bei der Vollmachtausübung vor, die behebbar sind, erfordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz grundsätzlich zunächst den Versuch, mittels eines zu bestellenden Kontrollbetreuers auf den Bevollmächtigten positiv einzuwirken.
Das LG hat sich mit der Frage, ob der Beteiligte zu 2) geeignet ist, die Angelegenheiten der Betroffenen zu besorgen, nicht näher befasst, sondern lediglich ausgeführt, dass die Betroffene über nicht unerhebliche Vermögenswerte verfüge, deren Verwaltung komplex und aufwändig sein dürfte, so dass die Eignung des Beteiligten zu 2) fraglich erscheine. Die sowohl von der Kontrollbetreuerin als auch vom Beteiligten zu 1) im Beschwerdeverfahren geäußerten Bedenken hinsichtlich der Eignung des Beteiligten zu 2) hat es in seinem Beschluss dagegen nicht aufgegriffen. Es hat allerdings in einer Verfügung an das AG darauf hingewiesen, dass die inzwischen vorliegenden Erkenntnisse der Kontrollbetreuerin bzgl. der Eignung des Beteiligten zu 2) einen Widerruf der Vollmacht rechtfertigen dürften, der indes (noch) nicht vom Aufgabenkreis umfasst sei. Diesen erheblichen Zweifeln an der Eignung des Beteiligten zu 2) hätte das LG jedoch selbst nachgehen müssen, weil im Falle fehlender Eignung des Vorsorgebevollmächtigten statt einer Kontrollbetreuung eine Vollbetreuung für die Betroffene einzurichten wäre.
Rechtsprechung (siehe Leitsätze):
§ 1896 II BGB a.F.: Vorsorgebevollmächtigter hat notwendige Hilfen zu besorgen, muss diese aber nicht selbst leisten
BGH vom 16.11.2022 - XII ZB 212/22
FamRZ 2023, 308
Kommentierung | BGB
§ 1814 Voraussetzungen
Reh in Bienwald, Betreuungsrecht, Kommentar, 7. Aufl. 2023
Kommentierung | BGB
§ 1815 Umfang der Betreuung
Reh in Bienwald, Betreuungsrecht, Kommentar, 7. Aufl. 2023
Kommentierung | BGB
§ 1820 Vorsorgevollmacht und Kontrollbetreuung
Reh/C. Bienwald in Bienwald, Betreuungsrecht, Kommentar, 7. Aufl. 2023
Aktionsmodul Familienrecht:
Online-Unterhaltsrechner mit jeweils den aktuellen Werten der Düsseldorfer Tabelle. Top Inhalte online: FamRZ und FamRZ-Buchreihe von Gieseking, FamRB von Otto Schmidt, "Gerhardt" von Wolters Kluwer und vielen Standardwerken. Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO: Für Fachanwälte mit Beiträgen zum Selbststudium mit Lernerfolgskontrolle und Fortbildungszertifikat. 4 Wochen gratis nutzen!