Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete durch Einholung eines Sachverständigengutachtens trotz Vorliegen eines Mietspiegels
BGH v. 28.4.2021 - VIII ZR 22/20
Der Sachverhalt:
Die Beklagten sind Mieter einer 80,85 qm großen Vierzimmerwohnung der Klägerin in Berlin. Die zuletzt zu entrichtende Nettokaltmiete belief sich auf rd. 590 €. Mit Schreiben vom 20.7.2017 forderte die Klägerin die Beklagten unter Hinweis auf den Mietspiegel Berlin 2017 auf, einer Erhöhung der Nettokaltmiete ab dem 1.10.2017 um rd. 70 € € auf rd. 660 € zuzustimmen. Das entspricht einer Erhöhung der Nettokaltmiete auf 8,10 €/qm. Die Wohnung ist bei Heranziehung des Mietspiegels 2017 nach Alter, Wohnlage, Ausstattung und Wohnfläche in das Feld I 2 der Mietspiegeltabelle einzuordnen. Dieses weist eine Nettokaltmietenspanne von 5,52 €/qm bis 9,20 €/qm aus. Die Beklagten stimmten der Mieterhöhung nicht zu. Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Zustimmung zu einer Mieterhöhung von bislang rd. 590 € auf rd. 660 € mtl. ab dem 1.10.2017 in Anspruch.
Das AG wies die Klage ab. Es hat den Berliner Mietspiegel 2017 herangezogen und ist anhand der dortigen "Orientierungshilfe für die Spanneneinordnung" zu dem Ergebnis gelangt, die ortsübliche Vergleichsmiete liege unterhalb der bereits entrichteten Nettokaltmiete (7,27 €/m²). Das LG gab der Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete statt. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurück.
Die Gründe:
Mit der vom LG gegebenen Begründung kann ein Anspruch der Klägerin auf Zustimmung zu der geltend gemachten Mieterhöhung nach §§ 558 ff. BGB nicht bejaht werden. Zwar ist es nicht zu beanstanden, dass das LG die Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete auf der Grundlage des seinerseits eingeholten Sachverständigengutachtens anstatt unter der - hier ebenfalls in Betracht kommenden - Heranziehung des Berliner Mietspiegels 2017 bestimmt hat. Jedoch hat das LG den für die Bildung der ortsüblichen Vergleichsmiete maßgeblichen Stichtag rechtsfehlerhaft bestimmt, indem es insoweit auf den Zeitpunkt abgestellt hat, ab dem die Beklagten die erhöhte Miete ggf. schuldeten (1.10.2017), anstatt auf denjenigen, an dem den Beklagten das Mieterhöhungsverlangen vom 20.7.2017 zugegangen ist. Das hat zur Folge, dass sich anhand der bisher getroffenen Feststellungen des LG durch den Senat nicht abschließend beurteilen lässt, ob die von der Klägerin ab dem 1.10.2017 verlangte Miete die ortsübliche Vergleichsmiete nicht übersteigt.
Entgegen der Auffassung der Revision liegt ein revisionsrechtlich beachtlicher Rechtsfehler allerdings nicht bereits deshalb vor, weil das LG die ortsübliche Vergleichsmiete aufgrund eines - von der Klägerin beantragten - gerichtlichen Sachverständigengutachtens und nicht unter Heranziehung des Berliner Mietspiegels 2017 bestimmt hat. Wie der Senat mit - nach der Verkündung der angefochtenen Entscheidung ergangenem - Urteil vom 18.11.2020 (VIII ZR 123/20) entschieden hat, sind die Gerichte grundsätzlich auch dann berechtigt, zur Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete ein von der beweisbelasteten Partei angebotenes Sachverständigengutachten einzuholen, wenn ein Mietspiegel vorliegt, der tabellarisch Mietspannen ausweist und zusätzlich eine Orientierungshilfe für die Spanneneinordnung enthält. Das gilt bei solchen Mietspiegeln nicht nur in den Fällen, in denen zwischen den Parteien Streit über die Voraussetzungen für das Eingreifen bzw. die Reichweite einer dem Mietspiegel ggf. zukommenden Vermutungs- oder Indizwirkung herrscht, sondern unabhängig davon in der Regel auch dann, wenn die ortsübliche Vergleichsmiete unstreitig innerhalb der für das einschlägige Mietspiegelfeld ausgewiesenen Spanne liegt und deshalb lediglich die Einordnung der konkreten Einzelvergleichsmiete in diese Spanne einer Klärung bedarf.
Die Revision beanstandet jedoch mit Recht, dass das LG den für die Bildung der ortsüblichen Vergleichsmiete maßgeblichen Stichtag rechtsfehlerhaft bestimmt hat. Maßgebend für die Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete ist der Zeitpunkt, zu dem das Erhöhungsverlangen dem Mieter zugeht (hier der 20.7.2017) und nicht der - hier vom LG zugrunde gelegte - Zeitpunkt, ab dem der Mieter die erhöhte Miete ggf. schuldet (hier der 1.10.2017). Die nach § 558 Abs. 2 BGB a.F. maßgebliche Vierjahresfrist erstreckt sich demnach vom Zugang des Erhöhungsverlangens an vier Jahre zurück. Im Streitfall ist das Mieterhöhungsverlangen der Klägerin vom 20.7.2017 unstreitig noch im Juli 2017 zugegangen und die Vierjahresfrist entsprechend zu bemessen.
Ohne Erfolg rügt die Revision, der Sachverständige habe die Spanne der ortsüblichen Vergleichsmiete unzureichend ermittelt, indem er es versäumt habe, das volle Spektrum der Entgelte für die 14 herangezogenen Vergleichswohnungen nach der Aussonderung der sog. "Ausreißermieten" in einem zweiten Schritt durch die Bestimmung des "breiten Mittelfelds" der Vergleichsmieten weiter einzugrenzen. Die nach Ansicht der Revision anzuwendende Methode zur Ermittlung der maßgeblichen Einzelvergleichsmiete stellt nicht die einzig in Betracht kommende Methode dar. Vielmehr stehen dem sachverständig beratenen Tatrichter, wenn sich nach der Berücksichtigung von Qualitätsunterschieden in den Wohnwertmerkmalen der zum Vergleich herangezogenen Wohnungen noch eine breite Marktstreuung ergibt, verschiedene Ansätze für die Ermittlung der Einzelvergleichsmiete zur Verfügung, deren Auswahl in seinem Ermessen steht. Lassen sich Besonderheiten bei der Verteilung der Vergleichsmieten nicht feststellen, kann es angemessen sein, auf den arithmetischen Mittelwert abzustellen. Danach ist der vom LG gewählte Ansatz für die Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete nicht zu beanstanden.
BGH online
Die Beklagten sind Mieter einer 80,85 qm großen Vierzimmerwohnung der Klägerin in Berlin. Die zuletzt zu entrichtende Nettokaltmiete belief sich auf rd. 590 €. Mit Schreiben vom 20.7.2017 forderte die Klägerin die Beklagten unter Hinweis auf den Mietspiegel Berlin 2017 auf, einer Erhöhung der Nettokaltmiete ab dem 1.10.2017 um rd. 70 € € auf rd. 660 € zuzustimmen. Das entspricht einer Erhöhung der Nettokaltmiete auf 8,10 €/qm. Die Wohnung ist bei Heranziehung des Mietspiegels 2017 nach Alter, Wohnlage, Ausstattung und Wohnfläche in das Feld I 2 der Mietspiegeltabelle einzuordnen. Dieses weist eine Nettokaltmietenspanne von 5,52 €/qm bis 9,20 €/qm aus. Die Beklagten stimmten der Mieterhöhung nicht zu. Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Zustimmung zu einer Mieterhöhung von bislang rd. 590 € auf rd. 660 € mtl. ab dem 1.10.2017 in Anspruch.
Das AG wies die Klage ab. Es hat den Berliner Mietspiegel 2017 herangezogen und ist anhand der dortigen "Orientierungshilfe für die Spanneneinordnung" zu dem Ergebnis gelangt, die ortsübliche Vergleichsmiete liege unterhalb der bereits entrichteten Nettokaltmiete (7,27 €/m²). Das LG gab der Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete statt. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurück.
Die Gründe:
Mit der vom LG gegebenen Begründung kann ein Anspruch der Klägerin auf Zustimmung zu der geltend gemachten Mieterhöhung nach §§ 558 ff. BGB nicht bejaht werden. Zwar ist es nicht zu beanstanden, dass das LG die Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete auf der Grundlage des seinerseits eingeholten Sachverständigengutachtens anstatt unter der - hier ebenfalls in Betracht kommenden - Heranziehung des Berliner Mietspiegels 2017 bestimmt hat. Jedoch hat das LG den für die Bildung der ortsüblichen Vergleichsmiete maßgeblichen Stichtag rechtsfehlerhaft bestimmt, indem es insoweit auf den Zeitpunkt abgestellt hat, ab dem die Beklagten die erhöhte Miete ggf. schuldeten (1.10.2017), anstatt auf denjenigen, an dem den Beklagten das Mieterhöhungsverlangen vom 20.7.2017 zugegangen ist. Das hat zur Folge, dass sich anhand der bisher getroffenen Feststellungen des LG durch den Senat nicht abschließend beurteilen lässt, ob die von der Klägerin ab dem 1.10.2017 verlangte Miete die ortsübliche Vergleichsmiete nicht übersteigt.
Entgegen der Auffassung der Revision liegt ein revisionsrechtlich beachtlicher Rechtsfehler allerdings nicht bereits deshalb vor, weil das LG die ortsübliche Vergleichsmiete aufgrund eines - von der Klägerin beantragten - gerichtlichen Sachverständigengutachtens und nicht unter Heranziehung des Berliner Mietspiegels 2017 bestimmt hat. Wie der Senat mit - nach der Verkündung der angefochtenen Entscheidung ergangenem - Urteil vom 18.11.2020 (VIII ZR 123/20) entschieden hat, sind die Gerichte grundsätzlich auch dann berechtigt, zur Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete ein von der beweisbelasteten Partei angebotenes Sachverständigengutachten einzuholen, wenn ein Mietspiegel vorliegt, der tabellarisch Mietspannen ausweist und zusätzlich eine Orientierungshilfe für die Spanneneinordnung enthält. Das gilt bei solchen Mietspiegeln nicht nur in den Fällen, in denen zwischen den Parteien Streit über die Voraussetzungen für das Eingreifen bzw. die Reichweite einer dem Mietspiegel ggf. zukommenden Vermutungs- oder Indizwirkung herrscht, sondern unabhängig davon in der Regel auch dann, wenn die ortsübliche Vergleichsmiete unstreitig innerhalb der für das einschlägige Mietspiegelfeld ausgewiesenen Spanne liegt und deshalb lediglich die Einordnung der konkreten Einzelvergleichsmiete in diese Spanne einer Klärung bedarf.
Die Revision beanstandet jedoch mit Recht, dass das LG den für die Bildung der ortsüblichen Vergleichsmiete maßgeblichen Stichtag rechtsfehlerhaft bestimmt hat. Maßgebend für die Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete ist der Zeitpunkt, zu dem das Erhöhungsverlangen dem Mieter zugeht (hier der 20.7.2017) und nicht der - hier vom LG zugrunde gelegte - Zeitpunkt, ab dem der Mieter die erhöhte Miete ggf. schuldet (hier der 1.10.2017). Die nach § 558 Abs. 2 BGB a.F. maßgebliche Vierjahresfrist erstreckt sich demnach vom Zugang des Erhöhungsverlangens an vier Jahre zurück. Im Streitfall ist das Mieterhöhungsverlangen der Klägerin vom 20.7.2017 unstreitig noch im Juli 2017 zugegangen und die Vierjahresfrist entsprechend zu bemessen.
Ohne Erfolg rügt die Revision, der Sachverständige habe die Spanne der ortsüblichen Vergleichsmiete unzureichend ermittelt, indem er es versäumt habe, das volle Spektrum der Entgelte für die 14 herangezogenen Vergleichswohnungen nach der Aussonderung der sog. "Ausreißermieten" in einem zweiten Schritt durch die Bestimmung des "breiten Mittelfelds" der Vergleichsmieten weiter einzugrenzen. Die nach Ansicht der Revision anzuwendende Methode zur Ermittlung der maßgeblichen Einzelvergleichsmiete stellt nicht die einzig in Betracht kommende Methode dar. Vielmehr stehen dem sachverständig beratenen Tatrichter, wenn sich nach der Berücksichtigung von Qualitätsunterschieden in den Wohnwertmerkmalen der zum Vergleich herangezogenen Wohnungen noch eine breite Marktstreuung ergibt, verschiedene Ansätze für die Ermittlung der Einzelvergleichsmiete zur Verfügung, deren Auswahl in seinem Ermessen steht. Lassen sich Besonderheiten bei der Verteilung der Vergleichsmieten nicht feststellen, kann es angemessen sein, auf den arithmetischen Mittelwert abzustellen. Danach ist der vom LG gewählte Ansatz für die Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete nicht zu beanstanden.