18.03.2025

Bundesagentur für Arbeit ist das Aufbringen der Kosten für eine Prozessführung des Insolvenzverwalters nicht zumutbar

Der Bundesagentur für Arbeit ist es nicht zumutbar, die Kosten für eine Prozessführung des Insolvenzverwalters aufzubringen, wenn sie aufgrund von auf sie übergegangenen Ansprüchen einzelner Arbeitnehmer am Insolvenzverfahren beteiligt ist. Die Möglichkeit, ein Erfolgshonorar zu vereinbaren, weil der Insolvenzverwalter im Einzelfall bei verständiger Betrachtung ohne die Vereinbarung eines Erfolgshonorars von der Rechtsverfolgung abgehalten würde, steht der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Insolvenzverwalter nicht entgegen.

BGH v. 13.2.2025 - IX ZB 27/24
Der Sachverhalt:
Mit Beschluss vom 1.7.2019 eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen der L. GmbH (Schuldnerin) und bestellte den Antragsteller zum Insolvenzverwalter. Der Antragsteller begehrt Prozesskostenhilfe (PKH) für eine vom ihm beabsichtigte Klage wegen Insolvenzanfechtung gegen die Antragsgegnerin mit einem voraussichtlichen Streitwert von rd. 515.000 €.

Zum Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses des Insolvenzgerichts zeigte der Antragsteller Masseunzulänglichkeit an. Die Kosten des Rechtsstreits können wegen Unterdeckung nicht aus der Masse erbracht werden. Die Bundesagentur für Arbeit beansprucht aus übergegangenem Recht von früheren Arbeitnehmern der Schuldnerin wegen nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens von ihr im Rahmen der Gleichwohlgewährung erbrachter Arbeitslosengeldzahlungen die Erstattung eines Betrags von rd. 3,1 Mio. € als Masseverbindlichkeit.

Das LG lehnte das Prozesskostenhilfegesuch ab. Das OLG wies die sofortige Beschwerde zurück. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Antragsteller sein bisheriges Begehren weiter. Zudem beantragt er die Bewilligung von PKH für das Rechtsbeschwerdeverfahren. Der BGH hob daraufhin den Beschluss des OLG auf, verwies die Sache zur erneuten Entscheidung dorthin zurück und bewilligte dem Antragsteller ratenfreie PKH für das Rechtsbeschwerdeverfahren unter Beiordnung eines Rechtsanwalts.

Die Gründe:
Rechtsfehlerhaft verneint das OLG die Voraussetzungen des § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO. Danach erhält eine Partei kraft Amtes auf Antrag PKH, wenn die Kosten aus der verwalteten Vermögensmasse nicht aufgebracht werden können und den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten nicht zuzumuten ist, die Kosten aufzubringen. Mit der Begründung des OLG können diese Voraussetzungen nicht verneint werden.

Außer Frage steht zunächst, dass die Kosten nicht aus der Masse aufgebracht werden können. Hiervon ist bei Masseunzulänglichkeit - wie hier - grundsätzlich auszugehen. Geklärt ist in der BGH-Rechtsprechung zudem, dass grundsätzlich auch Massegläubiger am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligte i.S.v. § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO sein können. Ferner ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, wenn das OLG die Zumutbarkeit der Kostenaufbringung für einen Gläubiger in tatrichterlicher Würdigung deshalb bejaht, weil der für ihn durch die Prozessführung des Verwalters erzielbare Mehrbetrag unter angemessener Berücksichtigung des Prozess- und Vollstreckungsrisikos voraussichtlich das 3,2-Fache der aufzuwendenden Mittel beträgt. Jedoch ist es der Bundesagentur, wenn sie aufgrund von auf sie übergegangenen Ansprüchen am Insolvenzverfahren beteiligt ist, entgegen der Auffassung des OLG schon nicht zumutbar, die Kosten für einen von dem Insolvenzverwalter zu führenden Rechtsstreit aufzubringen.

Der BGH hat unter der Geltung der Konkursordnung entschieden, dass dem Verwalter PKH nicht mit der Begründung verweigert werden darf, die Bundesanstalt für Arbeit müsse die Prozesskosten aufbringen, wenn diese aufgrund übergegangener Lohnansprüche wegen Gewährung von Konkursausfallgeld beteiligt sei. Dies hat der Senat unter der Geltung der Insolvenzordnung bestätigt. Die Rechtsauffassung des Senats, dass die Bundesagentur, wenn sie auf sie übergegangene Lohnansprüche der Arbeitnehmer verfolgt, nicht zu den wirtschaftlich Beteiligten gehört, wird von der überwiegenden Meinung im Schrifttum geteilt. Auch die Mehrheit der Oberlandesgerichte hat sich dem angeschlossen. Auf der anderen Seite hat der BGH eine generelle Freistellung des Steuerfiskus von der Kostenaufbringung abgelehnt. Der Senat hält dennoch daran fest, dass der Bundesagentur eine Kostenaufbringung für die Prozessführung des Insolvenzverwalters, wenn sich die Beteiligung auf übergegangene Ansprüche stützt, nicht zumutbar i.S.v. § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO ist. Eine Gleichsetzung der Bundesagentur mit dem Steuerfiskus ist nicht gerechtfertigt.

Zu Unrecht meint die Rechtsbeschwerdeerwiderung, dass vorrangig vor den Voraussetzungen des § 116 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO zu prüfen sei, ob dem Antragsteller die Vereinbarung eines Erfolgshonorars für die von ihm beabsichtigte Prozessführung gem. § 4a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RVG möglich sei. Die Möglichkeit einer Erfolgshonorarvereinbarung stellt im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung von § 116 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO von vornherein keinen zu berücksichtigenden Umstand dar. Die Rechtsbeschwerdeerwiderung lässt die unterschiedliche Funktion des § 4a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RVG auf der einen und diejenige der Gewährung von Prozesskostenhilfe gem. §§ 114 ff ZPO auf der anderen Seite außer Acht. Bei der Vereinbarung eines Erfolgshonorars geht es nach § 4a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RVG allein darum, die Handlungsmöglichkeiten der Partei zu erweitern, die ohne die Möglichkeit der Vereinbarung eines Erfolgshonorars im Hinblick auf unsichere Erfolgsaussichten in der Sache ansonsten womöglich von der Rechtsverfolgung Abstand nehmen könnte. Hingegen besteht der Zweck der in § 4a RVG eingeräumten Möglichkeit, ein Erfolgshonorar zu vereinbaren, nicht darin, den mittellosen Rechtssuchenden, der bei Vorliegen der Voraussetzungen einen Anspruch auf Bewilligung von PKH hat, mittelbar zu zwingen, eine Erfolgshonorarvereinbarung abzuschließen und damit im Unterschied zu einer finanziell besser gestellten Partei, die hierauf nicht eingehen müsste, auf einen Teil seiner realisierten Forderung zu verzichten.

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