Corona: Kein Rechtsweg zu den Familiengerichten bei Vorgehen gegen schulische Behörden
BGH v. 3.11.2021 - XII ZB 289/21
Der Sachverhalt:
Die Beteiligten zu 2) und 3) suchten mit Schreiben vom 13.3.2021 beim Familiengericht darum nach, ein Verfahren nach § 1666 BGB zu eröffnen und gegenüber den Lehrkräften und der Schulleitung der von ihren seinerzeit 8- und 14-jährigen Kindern besuchten Grund- und Regelschule einstweilig anzuordnen, die schulintern getroffenen Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), insbesondere Abstandsgebote und die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, vorläufig auszusetzen.
Das Familiengericht untersagte im Wege der einstweiligen Anordnung den Leitungen und Lehrern sowie den Vorgesetzten der Schulleitungen der von den beteiligten Kindern besuchten Schulen, für diese und alle weiteren an den Schulen unterrichteten Kinder und Schüler anzuordnen oder vorzuschreiben, im Unterricht und auf dem Schulgelände eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, Mindestabstände untereinander oder zu anderen Personen einzuhalten und an Schnelltests zur Feststellung des Virus SARS-CoV-2 teilzunehmen. Ferner gebot es den Leitungen und Lehrern der Schulen sowie den Vorgesetzten der Schulleitungen, für die beteiligten Kinder und alle weiteren an den Schulen unterrichteten Kinder und Schüler den Präsenzunterricht aufrechtzuerhalten.
Auf die sofortige Beschwerde des Freistaats (Beteiligter zu 5) hob das OLG die einstweilige Anordnung auf, erklärte den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig und stellte das Verfahren ein. Die hiergegen gerichteten Rechtsbeschwerden der betroffenen Kinder und der Beteiligten zu 2) und 3) hatten vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde war die vom Beteiligten zu 5) erhobene Erstbeschwerde zulässig. Zwar überprüft das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist (§ 17 a Abs. 5 GVG). Das Überprüfungsverbot nach dieser Vorschrift setzt aber voraus, dass die erste Instanz nicht gegen unverzichtbare Verfahrensgrundsätze des § 17 a GVG verstoßen hat. Der Ausschluss der Prüfung gilt damit nicht, wenn die Zulässigkeit des Rechtswegs trotz Rüge nicht durch Vorabbeschluss, sondern entgegen § 17 a Abs. 3 Satz 2 GVG erst in der Sachentscheidung bejaht wurde. Unterlässt das erstinstanzliche Gericht eine nach § 17 a Abs. 3 Satz 2 GVG gebotene Vorabentscheidung, kann die Rechtswegzuständigkeit also noch im Rahmen eines Rechtsmittels gegen die Sachentscheidung geprüft werden. Daneben kann die Entscheidung nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung auch mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden. Im Übrigen setzt die Übergabe des Beschlusses an die Geschäftsstelle als Voraussetzung für dessen Erlass eine Empfangnahme durch den Urkundsbeamten voraus.
Zu Recht hat das OLG den eigenen Rechtsweg gem. § 17 a Abs. 2 GVG für unzulässig erklärt. Es hat das an das Familiengericht gerichtete Schreiben der Beteiligten zu 2) und 3) vom 13.3.2021 in rechtlich nicht zu beanstandender Weise dahin ausgelegt, dass gegen die Schule gerichtete Unterlassungsverlangen durchgesetzt werden sollen. Über derartige Unterlassungsansprüche hätten gem. § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO die Verwaltungsgerichte zu entscheiden. Sie betreffen das Schulverhältnis als Rechtsverhältnis zwischen dem Schüler und einer öffentlichen, von einer Gebietskörperschaft getragenen Schule, deren Handeln in inneren Schulangelegenheiten einschließlich der Schulordnungsmaßnahmen der öffentlichen Gewalt zugerechnet wird. Davon erfasst werden auch von der Schule angeordnete Infektionsschutzmaßnahmen.
Eine daneben parallel bestehende Regelungskompetenz auf Grundlage des § 1666 BGB ist den Familiengerichten nicht eröffnet. Diese Vorschrift ermöglicht es den Gerichten in erster Linie, Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, die Personensorgeberechtigten zur Einhaltung ihrer Schutzpflichten gegenüber dem Kind anzuhalten; als ultima ratio kommt hierbei die Entziehung der elterlichen Sorge in Betracht (§ 1666 Abs. 3 Nr. 6 BGB). Zwar kann in besonders gelagerten Fällen bei Angelegenheiten der Personensorge auch eine Maßnahme gegen einen Dritten erfolgen (§ 1666 Abs. 4 BGB), wenn von dessen Verhalten eine Gefahr für das Kindeswohl ausgeht. Eine Befugnis des Familiengerichts zum Erlass von Anordnungen zur Durchsetzung des Kindeswohls gegenüber Behörden ist damit aber nicht verbunden. Im Übrigen kommt eine Verweisung des Verfahrens an das Verwaltungsgericht wegen unüberwindbar verschiedener Prozessmaximen beider Verfahrensordnungen nicht in Betracht.
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Die Beteiligten zu 2) und 3) suchten mit Schreiben vom 13.3.2021 beim Familiengericht darum nach, ein Verfahren nach § 1666 BGB zu eröffnen und gegenüber den Lehrkräften und der Schulleitung der von ihren seinerzeit 8- und 14-jährigen Kindern besuchten Grund- und Regelschule einstweilig anzuordnen, die schulintern getroffenen Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), insbesondere Abstandsgebote und die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, vorläufig auszusetzen.
Das Familiengericht untersagte im Wege der einstweiligen Anordnung den Leitungen und Lehrern sowie den Vorgesetzten der Schulleitungen der von den beteiligten Kindern besuchten Schulen, für diese und alle weiteren an den Schulen unterrichteten Kinder und Schüler anzuordnen oder vorzuschreiben, im Unterricht und auf dem Schulgelände eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, Mindestabstände untereinander oder zu anderen Personen einzuhalten und an Schnelltests zur Feststellung des Virus SARS-CoV-2 teilzunehmen. Ferner gebot es den Leitungen und Lehrern der Schulen sowie den Vorgesetzten der Schulleitungen, für die beteiligten Kinder und alle weiteren an den Schulen unterrichteten Kinder und Schüler den Präsenzunterricht aufrechtzuerhalten.
Auf die sofortige Beschwerde des Freistaats (Beteiligter zu 5) hob das OLG die einstweilige Anordnung auf, erklärte den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig und stellte das Verfahren ein. Die hiergegen gerichteten Rechtsbeschwerden der betroffenen Kinder und der Beteiligten zu 2) und 3) hatten vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde war die vom Beteiligten zu 5) erhobene Erstbeschwerde zulässig. Zwar überprüft das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist (§ 17 a Abs. 5 GVG). Das Überprüfungsverbot nach dieser Vorschrift setzt aber voraus, dass die erste Instanz nicht gegen unverzichtbare Verfahrensgrundsätze des § 17 a GVG verstoßen hat. Der Ausschluss der Prüfung gilt damit nicht, wenn die Zulässigkeit des Rechtswegs trotz Rüge nicht durch Vorabbeschluss, sondern entgegen § 17 a Abs. 3 Satz 2 GVG erst in der Sachentscheidung bejaht wurde. Unterlässt das erstinstanzliche Gericht eine nach § 17 a Abs. 3 Satz 2 GVG gebotene Vorabentscheidung, kann die Rechtswegzuständigkeit also noch im Rahmen eines Rechtsmittels gegen die Sachentscheidung geprüft werden. Daneben kann die Entscheidung nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung auch mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden. Im Übrigen setzt die Übergabe des Beschlusses an die Geschäftsstelle als Voraussetzung für dessen Erlass eine Empfangnahme durch den Urkundsbeamten voraus.
Zu Recht hat das OLG den eigenen Rechtsweg gem. § 17 a Abs. 2 GVG für unzulässig erklärt. Es hat das an das Familiengericht gerichtete Schreiben der Beteiligten zu 2) und 3) vom 13.3.2021 in rechtlich nicht zu beanstandender Weise dahin ausgelegt, dass gegen die Schule gerichtete Unterlassungsverlangen durchgesetzt werden sollen. Über derartige Unterlassungsansprüche hätten gem. § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO die Verwaltungsgerichte zu entscheiden. Sie betreffen das Schulverhältnis als Rechtsverhältnis zwischen dem Schüler und einer öffentlichen, von einer Gebietskörperschaft getragenen Schule, deren Handeln in inneren Schulangelegenheiten einschließlich der Schulordnungsmaßnahmen der öffentlichen Gewalt zugerechnet wird. Davon erfasst werden auch von der Schule angeordnete Infektionsschutzmaßnahmen.
Eine daneben parallel bestehende Regelungskompetenz auf Grundlage des § 1666 BGB ist den Familiengerichten nicht eröffnet. Diese Vorschrift ermöglicht es den Gerichten in erster Linie, Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, die Personensorgeberechtigten zur Einhaltung ihrer Schutzpflichten gegenüber dem Kind anzuhalten; als ultima ratio kommt hierbei die Entziehung der elterlichen Sorge in Betracht (§ 1666 Abs. 3 Nr. 6 BGB). Zwar kann in besonders gelagerten Fällen bei Angelegenheiten der Personensorge auch eine Maßnahme gegen einen Dritten erfolgen (§ 1666 Abs. 4 BGB), wenn von dessen Verhalten eine Gefahr für das Kindeswohl ausgeht. Eine Befugnis des Familiengerichts zum Erlass von Anordnungen zur Durchsetzung des Kindeswohls gegenüber Behörden ist damit aber nicht verbunden. Im Übrigen kommt eine Verweisung des Verfahrens an das Verwaltungsgericht wegen unüberwindbar verschiedener Prozessmaximen beider Verfahrensordnungen nicht in Betracht.
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